Berliner Staatsoper: neuer Intendant:Wer denkt sich so was aus?

Personalie mit Verwöhnaroma: Die Berliner Staatsoper hat besetzungstechnisch kein glückliches Händchen. 2010 wird nun Jürgen Flimm Intendant.

Stephan Speicher

Berlin hat drei vollgültige Opernhäuser, aber kein rechtes Glück damit. Die Fülle der Möglichkeiten ist einzigartig, aber man müsste sie nutzen. Dazu fällt der Politik nichts ein, dem amtierenden Senat so wenig wie seinen Vorgängern seit den späten achtziger Jahren.

Berliner Staatsoper: neuer Intendant: Ein brodelnder Vulkan sieht anders aus: Jürgen Flimm äußert sich nicht zu künstlerischen Leidenschaften oder Abneigungen.

Ein brodelnder Vulkan sieht anders aus: Jürgen Flimm äußert sich nicht zu künstlerischen Leidenschaften oder Abneigungen.

(Foto: Foto: dpa)

Am besten steht noch die Komische Oper da. Zweimal hatte sie außerordentliches Glück mit ihren Chefdirigenten Yakov Kreizberg und Kirill Petrenko, die Besetzungspolitik war glänzend und wenn auch die Tradition des "realistischen Musiktheaters", wie es ihr Gründer Walter Felsenstein entwickelte, sich abschwächen musste, so bleibt von diesem Geist und Korpsgeist noch so viel übrig, dem Haus Zusammenhalt zu geben.

Gewachsenes Ungenügen

Die Deutsche Oper, im Westen in der Bismarckstraße gelegen, ist seit Jahren ein künstlerischer Sanierungsfall. Die amtierende Intendantin Kirsten Harms, vor vier Jahren aus Kiel mit hohem Lob nach Berlin gekommen, hat sich nicht durchsetzen können; seit Monaten schon wird für sie ein Nachfolger gesucht.

Tatsächlich aber leidet das Haus nicht so sehr an ihrer aktuellen Schwäche, vielmehr an einem seit langer Zeit sich aufbauenden Ungenügen. Über 19 Jahre war Götz Friedrich Intendant, zunächst mit großen Erfolgen, dann mit nachlassender Kraft, aber immer wieder mit Vertragsverlängerungen ausgestattet; die Politik wollte dem in der Tat verdienten Mann bis zu seinem Tod 2000 seine Grenze nicht zeigen.

Der Nachfolger Udo Zimmermann war mit dem Erbe überfordert wie die kommissarischen Chefs Eberhard Sense und Peter Sauerbaum; jetzt steckt Kirsten Harms in der Tinte. Die Geschichte könnte den Berliner Senat lehren, dass das ewige Weiter so! in die Grube führt. Aber der Berliner Senat und namentlich seine Kultursenatoren lernen nicht gerne.

Jetzt hat Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister, der nebenbei auch das Amt des Kultursenators versieht, einen neuen Intendanten der Staatsoper Unter den Linden vorgestellt: Jürgen Flimm, derzeit noch Chef der Salzburger Festspiele, wo sein Vertrag 2011 ausläuft. Schon im nächsten Jahr soll er parallel zu den Salzburger Verpflichtungen in Berlin beratend arbeiten, ab 2010 dann als Intendant.

Flimm ist so recht eine Wowereit-Entscheidung, prominent, gut nachgefragt, Sozialdemokrat der Fraktion Fettlebe. Unvergessen bei denen, die dabei waren, ist sein Auftritt im Wahlkampf 2005, als er in einer Diskussion zum Thema "Kultur als Lebensmittel" in der Berliner "Kulturbrauerei" seinen herzlichen Umgang mit Gerhard Schröder herausstellte und das Publikum, darunter mutmaßlich viele Hartz-IV-Empfänger, wissen ließ, dass im Kanzleramt beste französische Rotweine entkorkt wurden. Diese Neigung zu Luxus und Verwöhnaroma ist ihm auch als Regisseur nicht fremd. Seine bislang aufwendigste Opern-Arbeit, der "Ring" in Bayreuth 2000, fiel auf mit einer Reihe von Witzen, die auf die Distinktionsmerkmale der besseren Kreise von heute berechnet waren.

Zenit überschritten

Als Regisseur war Flimm nie ein Revolutionär, er neigt zum liebevollen, manchmal auch putzigen Ausmalen von Kleinigkeiten, regelmäßig in Rufweite hinter der Mode. In der psychologischen Durcharbeitung liegen seine Stärken. Als Regisseur aber will er zunächst in Berlin nicht arbeiten, "muss nicht sein, kann aber sein".

Wenn er sein Amt antritt, wird er 69 Jahre alt sein; dass er sich im Zenit seiner künstlerischen Kraft oder seines planerischen Ingenium befände, glauben nur wenige. Auf der kurzfristig angesetzten Pressekonferenz machte er keinerlei Bemerkungen zu künstlerischen Leidenschaften oder Abneigungen, auch auf Nachfrage war ihm nichts zu entlocken, was einen Hinweis auf die von ihm zu verantwortenden Spielzeiten geben könnte. Mit seinem "Freund Daniel" (Barenboim) habe er eine ganze Nacht in New York über die Aufgabe diskutiert.

Schade, dass von diesen vielen Stunden nicht einmal fünf Minuten für die Öffentlichkeit berichtenswert waren. Um an den Sprachwissenschaftler Professor Galetti zu erinnern: Wir wissen nicht, ob Jürgen Flimm je ein Vulkan war, als sicher kann gelten, dass er erloschen ist.

Was mag Berlin an ihm finden? Kulturstaatssekretär André Schmitz, wurde gewitzelt, habe während seines Referendardienstes auch mal am Thalia-Theater gearbeitet, das Flimm damals leitete. So werden Personalentscheidungen möglicherweise getroffen. Aber auch der aggressiv-behäbige Geschmack Klaus Wowereits, der ernsthafte Anteilnahme an den Künsten nie hat erkennen lassen, wird schon gut zu Flimm passen.

Und unbedingt ist an Daniel Barenboim zu denken. Dirigenten sind machtbewusste Persönlichkeiten, er ist es in noch einmal gesteigertem Maße. Dass Barenboim mit Flimm persönlich befreundet sei, was Flimm eifrig bestätigte, das muss man nicht zum Nennwert nehmen. So liegt es nahe, dass Barenboim, der sich für Regiefragen nicht besonders interessiert, in dem alternden Flimm einen Intendanten sieht, der seine Kreise nicht stört. Und Wowereit, der sonst die Dinge nicht gern aus der Hand gibt, lässt Barenboim gewähren. In der Tat hat dieser viel für die Staatsoper getan, die Staatskapelle verdankt ihm Großes. Aber er behandelt das Haus auch als sein persönliches Instrument, das ist auf die Dauer der Beziehung gefährlich. Die Deutsche Oper zeigt es.

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