Berliner Kulturzentrum:Ein Retter für das Humboldt-Forum?

Neil MacGregor

Sicher nicht auf einen ruhigen Rentiersposten aus: Der Museumsleiter, Autor und versierte Kulturvermittler Neil MacGregor.

(Foto: dpa)

Neil MacGregor, bisher Chef des British Museums, kommt als "Gründungsintendant" an das Berliner Humboldt-Forum. Der prominente Museumsmanager ist eine spektakuläre Personalie für die Hauptstadt.

Von Johan Schloemann

Der Wunsch, der in Berlin schon seit Monaten gehegt wurde, wird Wirklichkeit: Neil MacGregor, bislang Direktor des Britischen Museums in London, übernimmt die Gründungsintendanz des Humboldt-Forums. Das hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) am Mittwoch verkündet. Der Brite soll der noch etwas wolkigen Idee eines debattenfreudigen Weltmuseums Leben einhauchen, welches im teilrekonstruierten Stadtschloss der Hohenzollern entsteht - in jener leeren Mitte der Hauptstadt, die seit dem Ende der DDR und seit dem Abriss des Palastes der Republik unbehaust ist.

Für Berlin muss diese spektakuläre Personalie wie eine Bestätigung dafür erscheinen, dass die Stadt endgültig wieder zu einer der großen kulturellen Metropolen der Welt aufgestiegen ist. Immerhin hat Neil MacGregor vor einigen Jahren schon mal die Leitung des Metropolitan Museum in New York ausgeschlagen. Und das Humboldt-Forum - benannt nach den beiden Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt, die für die Vielfalt der Sprachen, des Wissens und der Kulturen stehen - soll ein einzigartiges Experiment werden, eine Art Übersetzung des ethnologischen Museums in die globale Wissenskultur der Gegenwart. Neil MacGregor nennt dieses Projekt aus Anlass seiner Berufung "eine historische Chance für Deutschland, für Europa, für die ganze Welt".

Allerdings ist MacGregor, einer der erfolgreichsten Museumsmanager unserer Zeit, vorerst nicht - und wahrscheinlich auch gar nicht - als eigentlicher Direktor in Berlin vorgesehen. Er wird im Oktober Vorsitzender eines dreiköpfigen Gremiums, das "Gründungsintendanz" genannt wird und außerdem aus dem Archäologen Hermann Parzinger und dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp besteht, also den ohnehin beteiligten Vertretern der zwei Hauptakteure des Humboldt-Forums: der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Humboldt-Universität.

Interessanter Gast für die Berliner Vielfliegerlounge

Als Neil MacGregor am Mittwoch in London seinen Abschied vom Britischen Museum zum Jahresende verkündete, sagte er, es sei für ihn, den 68-Jährigen, jetzt Zeit für den "Rückzug von der Vollzeitbeschäftigung". Neben seiner Berliner Tätigkeit will er künftig außerdem das Weltkulturmuseum im indischen Mumbai beraten sowie mit der BBC die nächste seiner erfolgreichen Radioserien entwickeln. Sie soll diesmal von "Faith and Society", Glaube und Gesellschaft, handeln. Die Vielfliegerlounge in Berlin-Tegel kann sich auf einen sehr interessanten Gast einstellen.

Für Jubel auf den Straßen von Berlin, über die neue Weltgeltung und darüber, dass uns jetzt die Engländer alle wieder lieb haben - für solchen Jubel ist es also noch zu früh. Und doch könnte sich der Einstieg von Neil MacGregor in das große, lange Zeit umstrittene nationale Globalprojekt der deutschen Kulturpolitik als Glücksfall erweisen. Wer diesen Mann einmal gelesen, gehört, erlebt hat, der wird es nämlich für unmöglich halten, dass er den Berliner Beiratsvorsitz bloß als einen ehrenvollen Rentiersposten begreift.

Nein, wenn es gut läuft, dann kann Neil MacGregor wirklich ein Mastermind des Humboldt-Forums werden. Dafür ist er in dreierlei Weise qualifiziert. Erstens natürlich durch seine Erfahrung als Chef eines der ältesten und wichtigsten kulturgeschichtlichen Museen überhaupt: Das British Museum, das er seit 2002 geleitet hat, verzeichnete im letzten Berichtsjahr nicht weniger als 6,7 Millionen Besucher. Sammlungen und Ausstellungen reichen von der Prähistorie bis zur Gegenwart.

London verwahrt die Parthenon-Skulpturen von der Athener Akropolis, was MacGregor stets im Sinne eines Völker verbindenden Universalmuseums gegen die Ansprüche Griechenlands verteidigte; es beherbergt aber auch Glanzstücke der vorderasiatischen Kulturen, die damit, so muss man es jedenfalls derzeit sehen, vor dem Bildersturm des "Islamischen Staates" geschützt sind. MacGregor, selbst Kunsthistoriker, öffnete das Britische Museum für viele Kulturen und rüstete das Haus mit konzeptionellen und architektonischen Umbauten für die Zukunft. Sein Nachfolger in London ist übrigens noch nicht bekannt. Ebenso erfolgreich hat MacGregor vorher die National Gallery in London geleitet.

Ein fremder und zugleich naher Blick auf die Kultur

Die zweite Qualifikation für Berlin ist Neil MacGregors kenntnisreiche Affinität zur deutschen Kultur. Eine Neigung, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien verbreiteter war, heute dort aber immer noch als eher exotisch zu gelten hat, trotz der Begeisterung junger Briten für das junge Berlin. MacGregor spricht hervorragend Deutsch, und zuletzt hat er in der Ausstellung "Germany. Memories of a Nation" mit begleitender BBC-Serie die deutsche Geschichte und Kultur seinen Landsleuten so beeindruckend vielfältig und anschaulich nahegebracht, wie es hier kaum ein deutscher Geschichtslehrer vermag. Dabei hat er einige überholte nationale Mythen (Hermannsschlacht und so weiter) vielleicht etwas zu pathetisch aufgewärmt, aber das war wohl aus didaktischen Gründen unvermeidlich.

Und mit der Didaktik sind wir bei der dritten Eigenschaft Neil MacGregors, die in Berlin sehr willkommen ist: Er ist nie nur als Verwalter, sondern immer als erster Vermittler und Erzähler der ihm anvertrauten Sammlungen aufgetreten. Davon kann man hierzulande viel lernen. Mit seinen Radiobeiträgen und Büchern ("Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten", "Shakespeares ruhelose Welt"), die auch in Deutschland Bestseller wurden, möchte MacGregor "die Botschaften entziffern, die Objekte durch die Zeiten senden - Botschaften über Völker und Orte, über Umwelten und wechselseitige Beeinflussungen, über verschiedene historische Augenblicke und über unsere eigene Zeit, die sich darin widerspiegelt".

Dies schrieb MacGregor vor ein paar Jahren, es ist aber auch schon so etwas wie der Anfang eines Programms für das Humboldt-Forum, das die Objekte der außereuropäischen Kulturen auf dem Schlossplatz dem archäologischen Weltmuseum der Museumsinsel gegenüberzustellen hat. Da könnte der fremde und zugleich nahe Blick aus London helfen: Neil MacGregor ist tief in der Tradition verankert; als schottischer Aufklärer, er ist in Glasgow geboren, steht er aber auch für den Abschied von der Meistererzählung der westlichen Zivilisation. Und für eine Globalgeschichte, die sich anhand unzähliger menschlicher Artefakte erzählen lässt. Good luck.

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