Berliner Eisbärenbaby soll versteigert werden:Um Knut ist Wut

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit will den Eisbären Knut in einer Internet-Versteigerung verkaufen - zur Sanierung des maroden Hauptstadt-Haushalts. Der Plan hat Befürworter, stößt aber auch auf heftigen Widerspruch.

Eike Schrimm, Bernd Graff und Christian Kortmann

Der Bürgermeister weiß, dass er gerade vor einem sehr schweren Gang steht. Schon vor dem Willy-Brandt-Haus hat er sich durch eine aufgebrachte Menschenmenge kämpfen müssen, die ihrem Party-Meister "Kaltherzigkeit, Unmenschlichkeit und Bürokratismus" vorwirft. "Ist es in Deutschland wieder so weit?", steht auf einem Plakat, "Müssen wieder Bären geopfert werden?", auf einem anderen, "Nie wieder Bruno!" auf dem nächsten. Ein Häufchen Kreuzberger Autonomer reckt einen fast lebensgroßen Plüsch-Eisbären in die Höhe, dem sie ein Anarchie-"A" mit schwarzem Autolack auf Stirn und Schnauze gesprüht haben. Buh-Rufe sind noch die harmlosesten Unmutsbezeugungen, die Wowereit entgegengezischt werden.

An die 1000 aufgebrachte Berliner haben sich eingefunden, um Wowereit am Betreten der SPD-Zentrale zu hindern. Die üblichen Personenschützer bahnen ihm eine Gasse. Selten musste ein Politiker seinen Rücken derart durchdrücken. Doch Wowereit ist angeschlagen, ohne Zweifel. Selten sah man ihn, den ewig Gutgelaunten, so hilflos und schutzbedürftig.

Nicht nur draußen vor der Tür schlägt dem Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt Ungemach entgegen. Auch drinnen herrscht Untergangsstimmung. Wowereit muss vor die Partei-Gremien treten, um seinen am Freitag noch aberwitzig erschienenen Plan zu rechtfertigen, der sich binnen Stunden spektakulär konkretisierte: Wowereit will Knut, den Eisbären der Herzen, verkaufen.

Natürlich findet die Aussprache hinter verschlossenen Türen statt. Ein Vertrauter des Arbeitsministers Franz Müntefering kennt aber schon Details des Coups. Demnach sei am Freitag ein führendes, in Berlin ansässiges Online-Auktionshaus direkt an Wowereit heran getreten, um ihm das Angebot zu machen, das der beliebte Politiker offenbar nicht ablehnen konnte. Der Plan ist ebenso einfach wie logisch: Um Berlins desaströsen Haushalt zu sanieren, soll die Hauptstadt die jüngste Reinkarnation ihres Wappentieres zu Geld machen.

Schröders Bärendienst

Zwei in Las Vegas wohnhafte Entertainer deutscher Herkunft, die sich auf Tierdressuren spezialisiert haben, hätten bereits ein erstes, erstaunlich hohes Gebot hinterlegt. Obwohl die Namen nicht fallen, ist jedem klar, dass es sich bei diesen Tierdompteuren um Siegfried und Roy handelt. Auch die personalpolitische Handschrift ist unverkennbar: Jung kaufen, handzahm machen, auf die Bühne bringen. Damit nicht genug: Sogar ein zweites Angebot liege vor, das aus Russland komme. Münteferings Vertrauter weiß, dass Altkanzler Gerhard Schröder vermittelte. Demnach könnte Knut vom russischen Gaskonzern Gazprom, dem Schröder derzeit mittelbar dient, gekauft werden. Vorteil dieser Lösung: Knut bliebe in Deutschland, wechselte aber nach Gelsenkirchen - zu Schalke 04.

Dort, so der Plan, solle Knut bei Heimspielen am Spielfeldrand als Maskottchen für gute Stimmung sorgen. Der Eisbär passe hervorragend in die Schalke-Arena, in der schon Biathlon-Rennen stattfanden. Er passe aber auch zu Gazprom, dem Multikonzern mit Stammsitz in Sibirien. Mit seinem Eingriff ins Berliner Dilemma könnte Schröder seinen Parteifreunden einen Bärendienst erweisen.

Die Party ist vorbei

"Es ist, als ob man sein eigenes Kind verkaufen würde", sagt Wowereit. Er wirkt nicht nur zerknirscht. Er ist es. Apathisch durchblättert er die Tagesakten im Fond seiner Regierungslimousine. Arbeit kann man das nicht mehr nennen. Der Mann hat die Standpauken aus dem Willy-Brandt-Haus noch im Ohr. Man war nicht nett zu ihm - doch was soll er machen. Schwere Zeiten für den Regierenden.

Mancher Politiker nutzt den Knut-Skandal liebend gerne zu einer Fundamental-Kritik an Wowereits Führungsstil. Oskar Lafontaine fühlt sich an "zaristische Willkürherrschaft" erinnert: "Ausschweifende Partys feiern und zur Finanzierung ans eingemachte Humankapital gehen. Ich dachte, die Leibeigenschaft sei eine Geißel des letzten Jahrhunderts." Ein Rothaariger aus dem PDS-Ortsverband Potsdam hat schon in Radio-Mikrofone gebellt: "Fehlt nur noch, dass Zar Wowi öffentlich Champagner aus dem Stiefel seines Geliebten trinkt." Nun, das gäbe zumindest eine gute Fotostrecke in "Park Avenue" ab, möchte man dem Regierenden in Gewissensnöten zur Aufmunterung zurufen.

Wowereit hat alle Termine des Abends abgesagt: 15 Partys, Einweihungen, Stehempfänge und Modenschauen wären es wohl auch diesmal geworden. Doch Wowi will nicht. Er weist seinen Fahrer an, zum wiederholten Male in den Tiergarten zu fahren. Am Anfang der Woche sah es noch wie Nachklappern hinter dem munteren Umweltminister Sigmar Gabriel aus. Was der kann, kann auch Wowereit - und so posierte der einzig Berlin Regierende mit Knut vor wachsendem Publikum. Knut passt gut zu Wowi. Doch das jetzt ist anders. Wowi will Abschied nehmen.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Klaus Wowereit Knut und seinen Pfleger im Tiergarten besucht, und was Claus Peymann plant.

Am Eisbärengehege wartet schon Peter Dörflein, die Eisbär-Amme, auf seinen Bürgermeister. Die Männer schütteln einander stumm die Hände. Ihre Blicke sagen alles: Beide wissen, wie es steht. Hinter ihnen tollt und tapst der berühmteste Kleinbär der Welt am lauen Frühlingsabend in einem Sandhaufen herum und platscht durch ein niedriges Wasserbecken, bevor er sich in seine Hängematte rollt und den Reportern keck zuzublinzeln scheint. Er tut so, als ob ihn das alles nichts anginge. Dabei geht es um sein Fell. Und zwar im Wortsinn.

Gebot der Staatsräson

Wie aus einem internen Senats-Papier hervorgeht, das sueddeutsche.de vorliegt, wurde am Samstag hektisch an weiteren Vermarktungsstrategien gebastelt, um Knuts Restlaufzeit im Berliner Gehege so lukrativ wie möglich zu gestalten. Einer dieser Vorschläge, die zu Wochenbeginn umgesetzt werden, besteht in der quadratzentimeterweisen Vermietung von Knuts strahlend weißem Fell. Sponsoren erhalten die Möglichkeit, ihr Logo auf das Bärenfell zu sprühen.

Der Tagessatz für einen Quadratzentimeter liegt bei stattlichen 25.000 Euro. Fest gebucht haben schon: Condomi (besprühten schon den Rücken des Boxers Axel Schulz), Wodka Gorbatschow, Weißer Riese, Red Bull, Esso und die F.D.P. Die Vollfell-Flatrate, das ist die monochrome Bären-Komplett-Einfärbung, haben bislang nur die Organisatoren des Christopher Street Day gebucht, die am 28. Juni auch Knut einen Tag lang in Rosa sehen wollen. "Frisurtechnisch ja überhaupt kein Problem", sagt dazu der Prominenten-Frisör Udo Walz, durch dessen Indiskretion gegenüber Sabine Christiansen die ganze Sache ans Licht kam.

"Mir sind doch die Hände gebunden." Wowereit wirft einen melancholischen Blick in das Knut-Gehege, blickt lange auf das alle und jeden verzaubernde Wunderwesen mit dem unwiderstehlichen Charme. "Das sind die Momente im Leben eines politischen Leaders, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht - und käme er von der CDU." Wowereit reibt sich die übernächtigten Augen, konzentriert sich, das fällt ihm an diesem Abend schwer. "Natürlich ist Knut auch für mich der süßeste Bär der Welt. Aber es ist ein Gebot der Staatsräson, ja", Wowereit ist nun wieder ganz der Politprofi, "der Respekt vor dem Wähler gebietet es, Berlins Schulden abzubauen, wo es geht. Wenn es dabei in Einzelfällen zu Härten kommt, ist das bedauerlich, aber unvermeidbar."

Die Werber warten schon

Hart ist es natürlich auch für Pfleger Dörflein. Der Mann, der den Bären der Nation in Nachtarbeit gepäppelt hat, muss sich von seinem Ziehkind verabschieden. Denn es wird, wenn kein Wunder geschieht, wohl weit hinaus in die Welt müssen. "Der Knut, der schafft das schon." Mehr sagt er nicht. Kann er nicht sagen - und will er auch nicht. Er trauert, das ist jetzt schon offensichtlich. Ob er eine leise Chance hat, seinen Knut je wieder zu sehen, wissen wir, weiß die Welt, am Montag in einer Woche. Denn am 9. April um 12:00 Uhr MESZ, fällt der digitale Auktionshammer, der Knut in die Welt verschlagen wird. Gerüchten zufolge haben auch arabische Scheichs ernsthaftes Interesse an Knut bekundet. Ski-Hallen haben sie ja schon am Golf. Da macht sich ein Eisbär in der Wüste bestimmt auch ganz prächtig.

Konkurrenz erwächst aber auch, das weiß die grönländische Wikipedia-Website, von Paris Hilton, die den Jungbären schon "Cute Knut" genannt haben soll. Bei YouTube wurde in der Nacht auf Samstag ein Video mit dem Titel "A Night in Berlin" eingestellt, das Paris zeigt, wie sie mit einem Plüscheisbären in der Hermès-Hundetasche vor dem heimischen Spiegel posiert. Nur wenig Hoffnung auf einen Verbleib von Knut in der Hauptstadt mag die Solidaritätsaktion von Claus Peymann zu wecken. Der Chef des Berliner Ensembles bietet Knut ein Praktikum an seinem Theater an, im Nabokov-Stück "Der Pol". Unseren Einwand, dass dieses am Südpol spiele, wo keine Eisbären lebten, wies der extrovertierte Theatermann als "bourgeoise Kleinkariertheit" zurück.

Noch sieben unbeschwerte Tage Schonzeit bleiben Knut und seiner makellosen Bärenhaut - oder auch nicht? Als sich der Bürgermeister vom Knut-Gehege abwendet, ist das unverkennbare Geräusch einer langsam geschüttelten Spraydose zu vernehmen. Zwei Werber-Gestalten in schwarzen Anzügen und schwarz gerandeten Brillen beugen sich über das wehrlose Tier. Diese beiden wollen bestimmt nicht spielen. Ihre Gesten sind erkennbar geschäftsmäßig. Aus einer "Freitag"-Tasche ziehen sie nach der Spraydose, Farbe weiß, eine Schablone hervor. Wir erkennen die Umrisse eines Apfels, der an einer Seite angebissen ist: Das Apple-Logo. Daneben die Schrift: "iPhone". Knuts neues Leben hat schon begonnen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: