"Barbara" im Wettbewerb der Berlinale 2012:Schlafwandlerin im Wilden Osten

Das Wettbewerbsprogramm der Berlinale 2012 hat ein zentrales Thema: Die Mechanik des Terrors. Mit "Barbara" schickt Regisseur Christian Petzold einen weiteren Film über Angst und Überwachung ins Rennen um den Goldenen Bären.

Susan Vahabzadeh

Ganz am Anfang hat man noch gar nicht kapiert, worauf diese Frau mit Starrsinn reagiert, woher der spöttische Zug um ihre Mundwinkel herrührt, warum sie sich so viel Mühe gibt, unnahbar zu sein. Barbara fährt mit dem Bus durch die Provinz, und dann setzt sie sich auf eine Bank vor einem Krankenhaus. Aus dem Fenster schauen zwei Ärzte die dort arbeiten. Die kommt nicht rauf, sagt einer von ihnen, bevor sie muss. So eine ist Barbara - unfügsam.

A handout still image taken from the film 'Barbara'

Die Ärztin Barbara (Nina Hoss) ist aufs Land versetzt worden, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat - und erobert sich mit dem Rad ein Stückchen Freiheit zurück.

(Foto: Reuters)

Dieses Krankenhaus könnte überall stehen, ganz langsam erst sickern die Zeichen der Zeit in diese Bilder, kann man verorten, wovon Christian Petzold hier erzählt: Es sind die Achtziger, Barbara kommt in ein Dorf in der DDR, strafversetzt aus der Berliner Charité. Sie wollte in den Westen, zu ihrem Freund, Antrag abgelehnt.

Christian Petzold ist der erste von drei deutschen Regisseuren, die in diesem Jahr um den Goldenen Bären konkurrieren, und das war dann auf jeden Fall ein grandioser Auftakt - "Barbara" ist ein makelloser Film. Der fünfte, den Christian Petzold mit Nina Hoss gedreht hat, sie hat ihre besten Auftritte bei ihm - sie traumwandelt durch seine Filme, die Rollen, die er ihr schreibt, scheint sie überzustreifen wie eine zweite Haut.

Barbara gibt sich unzugänglich, sie ist misstrauisch und skeptisch. Sie ist selbst der ständigen Überprüfung ausgesetzt, und sie prüft zurück. André (Ronald Zehrfeld), ihr neuer Vorgesetzter, versucht sich mit Barbara anzufreunden, und das macht sie erst einmal richtig misstrauisch: Die DDR hat alles in ihrem Dasein definiert, und sie definiert auch ihr Verhältnis zu anderen Menschen.

André will ihre heruntergekommene Bleibe renovieren - aber sie sträubt sich gegen alles, was sie dort halten könnte, eine Schlafwandlerin im wilden Osten. Nur wenn sie arbeitet, wacht sie auf.

Da ist ein Junge im Krankenhaus, der versucht hat, sich umzubringen; ein junges Mädchen wird eingeliefert, aus einem Heim für Schwererziehbare abgehauen; ohne Barbaras Hilfe hat es keine Chance. Mit der selben Sturheit, die zu einer Unfügsamen macht, widmet sie sich ihren Patienten.

Zwischen Traum und Wirklichkeit

Die Konstellation erinnert ein wenig an Roland Gräfs "Die Flucht" von 1977, da ist Armin Mueller-Stahl, einer seiner letzten Auftritte vor der Ausreise in den Westen, als Arzt zu sehen, der eigentlich in den Westen will - aber so einfach ist das gar nicht, er arbeitet an einer Studie zu Frühgeborenen, und die will er nicht abbrechen.

Ärzte sind eben ein gutes Beispiel für das, was Barbara durchmacht: Sie würde schon wegwollen, aber sie hat zu tun. Ihr Leben findet in der DDR statt, hier hat sie ihre Patienten, sie kommt nach und nach in ihrer eigenen Gegenwart an - vorher ist sie, wie die "Yella" , die Nina Hoss für Christian Petzold gespielt hat, wie Julia Hummer in "Gespenster", wie die Terroristen auf der Flucht in "Die innere Sicherheit" eigentlich eine Untote.

Christian Petzold schickt seine Figuren immer wieder an die Grenzen zwischen Leben und Tod, zwischen Traum und Wirklichkeit, auf die Suche nach Erlösung.

Filme über Angst und Terror

Als Film über die DDR ist "Barbara" schon deswegen so großartig, weil Petzold so das Verhalten eines Individuums zum Staat tatsächlich zu einer ganz individuellen Frage macht. Nur sie selbst kann entscheiden, wie viel Idealismus sie aushalten kann.

Einmal steht sie draußen, voller enttäuschter Hoffnungen, schaut einem Wagen hinterher, und im Film dauert das nur zehn Sekunden, aber das Licht ändert sich, soviel Zeit ist verstrichen - tote, ungelebte Zeit.

Im Keller hat Barbara ein altes Fahrrad gefunden, dass sie repariert, ein Stückchen Freiheit - damit haut sie ab, fährt durch die Felder, zu heimlichen Treffen mit dem Freund aus dem Westen.

Das ist das Großartige an Petzolds Film, wie hier ein Nebeneinander entsteht: die unfassbare Weite, die überwältigende Schönheit der Landschaft, die sie da durchkreuzt. Und dann kommt sie nach Hause, wo schon die Stasi-Leute warten. Hier beginnt ein hässliches Ritual, ein Spiel der Macht und der Erniedrigung: Die Männer verwüsten ihre schäbige Wohnung, und eine Frau ist immer dabei, die sie im Badezimmer erwartet, sich Gummihandschuhe überstreift.

Es geht um die Mechanik des Terrors in diesem Wettbewerbsprogramm, darum, wie man Angst erzeugt und wie man mit ihr umgeht - in Stephen Daldrys "Extrem laut und unglaublich nah" am Beispiel der Hinterbliebenen des 11. Septembers, bei Brillante Mendoza, in dessen "Captive" philippinische Abu-Sajaf-Kämpfer Christen als Geiseln nehmen, in den Machtspielen im vom Fall Kampusch inspirierten französischen Wettbewerbsbeitrag "A moi seule".

Starke Frauenrollen

Auch der etwas läppische spanische Horrorfilm "Dictado" hat so in den Wettbewerb gefunden - wie genau man gleichermaßen einen Genrefilm macht und doch nie den Kontakt zur Realität verliert, das kann man beispielsweise an Petzolds "Yella" gut sehen, für den Nina Hoss 2007 den Silbernen Bären als beste Darstellerin bekam.

"Dictado" erfüllt den Anspruch, dem Wettbewerb etwas hinzuzufügen, nur auf dem Papier. Da dreht einer durch, weil er das kleine Mädchen, dass seine Frau unbedingt zur Pflege aufnehmen will, für den Geist eines anderen Kindes hält, dessen Tod er verursacht hat - hätte Antonio Chavarrias das nicht mit dem Drive eines Kinderkarussells inszeniert, hätte das ein schöner Aspekt sein können: Zuzusehen, wie sich einer seine Feindbilder in seinem Kopf zurechtbiegt.

Da hat James Marsh in seinem "Shadow Dancer", der leider außer Konkurrenz läuft, den besseren Thriller inszeniert. Clive Owen spielt den Agenten Mac, er gewinnt eine IRA-Terroristin als Informantin für den MI5 - eine junge Frau, die halb Täterin ist und halb Opfer ihrer Familie, überzeugte IRA-Kämpfer, die sie gleich mit terrorisieren und ihr ihren Krieg aufzwingen.

Für die Sicherheit dieser Frau kann Mac dann aber kaum garantieren - beide Seiten haben wenig Skrupel im Umgang mit dem Gegner. Diese Frau kann sich einerseits nicht wehren gegen ihre Brüder und andererseits entscheidet sie immer wieder tatsächlich selbst, dass ihre Familie ihr wichtiger ist als ein Leben ohne Angst.

Diesen Zwiespalt inszeniert Marsh tatsächlich sehr interessant, er erzeugt eine spannende emotionale Verunsicherung gegenüber einer Frau, die sich nicht darum schert, was richtig ist, sondern einfach nur überleben will - zur Not, das unterscheidet sie von Barbara, als Zombie - sie atmet noch, aber ihre Seele hat sie verkauft.

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