Berlinale 2011:Unter Druck

Mitten im eisigen Zentrum einer absurd profitablen Investmentbank, das System zeigt schon erste Risse: Der erste Wettbewerbsfilm auf der Berlinale, "Margin Call" mit Kevin Spacey und Demi Moore, erzählt vom Kollaps des Kapitalismus.

Tobias Kniebe

Es war dann doch die denkbar größte Verpflichtung, die der im Iran verurteilte Filmemacher Jafar Panahi seinen Kollegen auf der ganzen Welt mitgegeben hat. In den nächsten sechs Jahren, die er im Gefängnis verbringen muss, sollen sie die Meisterwerke drehen, die sein Leben nach der Entlassung wieder lebenswert machen werden. Panahi setzt, nach wie vor, alle Hoffnung auf die gesellschaftsverändernde Kraft des Kinos.

Berlinale 2011 - 'Margin Call'

Jeremy Irons als Oberboss, Kevin Spacey als Chef des Trading Floors, Demi Moore als Warnerin, die geopfert werden muss, Stanley Tucci als Familienvater, der sich für sein Schweigen bezahlen lässt: J. C. Chandor hat für seinen Debütfilm eine erstaunlich hochkarätige Schauspielertruppe versammelt.

(Foto: dpa)

Und darum ging es dann auch tatsächlich in den Wettbewerbsfilmen, die auf True Grit folgten, den starken, außer Konkurrenz gezeigten Eröffnungswestern der Coen-Brüder. Der erste war Margin Call von J. C. Chandor aus den USA - ein Regiedebütant, der aus dem Stand eine erstaunlich hochkarätige Schauspielertruppe versammeln konnte: Jeremy Irons, Kevin Spacey, Demi Moore und Paul Bettany sind nur die bekanntesten Namen.

Man ist gleich mittendrin im eisigen Zentrum einer großen, absurd profitablen New Yorker Investmentbank, die in einigen Details stark an Goldman Sachs erinnert. Das Jahr muss 2008 sein - noch ist das System nicht zusammengebrochen, aber im Fundament des amerikanischen Kapitalismus zeigen sich bereits die ersten winzigen Risse, die den Kollaps ankündigen. Der Risikoanalyst Dale (Stanley Tucci) stellt Berechnungen an, die das Desaster für die nächsten Wochen vorhersagen - dann aber wird er, aus völlig anderen Gründen, gefeuert.

Ein junger Kollege, der die Entlassungswelle überlebt hat, schlägt anschließend wirklich Alarm. Innerhalb einer einzigen durchwachten Nacht beschließt die Firmenführung, die toxischen Positionen bei Börsenöffnung loszuwerden und den Markt damit rücksichtslos zu überfluten - auch wenn damit der Trigger betätigt wird, der die Katastrophe erst wirklich auslöst.

Jeremy Irons als Oberboss, Kevin Spacey als Chef des Trading Floors, Demi Moore als Warnerin, die geopfert werden muss, Stanley Tucci als Familienvater, der sich am Ende für sein Schweigen bezahlen lässt - sie alle sind dabei nicht nur Getriebene eines Dramas, das sie nicht mehr steuern können. Ihr Wissen ist immer privilegiert, sie haben alle ein paar Stunden lang noch die Wahl. Aber einer nach dem anderen entscheidet sich dafür, erst einmal die eigene Haut zu retten - auch wenn alle anderen, die nur einen Schritt hinterher sind, dann erst recht in den Abgrund stürzen.

Lesen Sie auf Seite 2, welch völlig andere Welt Paula Markovitch mit ihrem Film El Premio zeigt.

Die verlangsamte Nacht

Der Regisseur J.C. Chandor hat dabei einen Hang zu großen Reden, der das Tempo dieser Nacht manchmal etwas verlangsamt. Er versteht es aber sehr geschickt, die Millionengehälter selbst der mittleren Manager immer wieder in Bezug zum Realen zu setzen, zu den Menschen, die am Ende wirklich leiden werden - wie jene Putzfrau, die nichtsahnend und mit stoischer Miene in einen Überlebenskampf gerät, der im Morgengrauen im Aufzug ausgefochten wird.

Das System von Überwachung und Denunziation

Es geht ihm erkennbar nicht darum, die Banker zu verteufeln. Er will den Preis sichtbar machen, den sie für ihr Überleben bezahlen - und zeigen, dass sie nur Teil eines Selbstbetrugs sind, an dem wir alle täglich mitwirken.

Eine völlig andere Welt zeigt Paula Markovitch mit El Premio / Der Preis - und doch wirken auch hier Kräfte, die alle Protagonisten brutal unter Druck setzen. Eine karge, sturmzerzauste Dünenlandschaft in Argentinien, weit weg von Politik und Metropolen. Hier findet sich die siebenjährige Ceci (Paula Galinelli Hertzog) mit ihrer Mutter in einem verlassenen Strandhaus wieder - offensichtlich auf der Flucht. Sie darf ihrem Wunsch folgen, wieder in die örtliche Schule zu gehen - sie darf nur nicht verraten, wer sie wirklich ist, warum ihre Eltern untertauchen mussten, was das Militär ihrer Cousine angetan hat. Schon das macht dem Mädchen, das neue Freunde findet und wunderbar ansteckend lachen kann, schwer zu schaffen.

Das System von Überwachung und Denunziation, das zum normalen autoritären Schulalltag gehört, spiegelt dabei bereits den Druck des Polizeistaats, der lange unsichtbar bleibt. Eines Tages aber steht ein Soldat in der Klasse, der zu einem Aufsatzwettbewerb aufruft: Warum wir unsere Armee lieben. Ceci beginnt zu schreiben, was sie wirklich weiß - und bringt sich selbst und ihre Mutter in höchste Gefahr...

Beide Filme, denkt man am Ende, könnten Jafar Panahi gefallen - in ihrer Art, wie sie aus dem Konkreten auf das Politische schließen lassen. Aber ohne das allzu sehr auszustellen, ohne sich ständig selbst zu ihren Erkenntnissen zu gratulieren. Um aber wirklich die im Gefängnis verlorene Lebenszeit aufzuwiegen, wird sich das Kino der nächsten sechs Jahre doch noch gewaltig anstrengen müssen - nicht nur auf dieser Berlinale.

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