Berlinale: "The International":Die ganz normalen Weltvernichter

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Kampf gegen ein Bankensystem auf dem Pulverfass explosiver Kredite: Der Berlinale-Eröffnungsfilm ist erstaunlich prophetisch.

Tobias Kniebe

Wenn ein Film in die Wirren der Zeit einschlägt wie ein geplatzter Milliardenkredit, müssen seine Macher über prophetische Gaben verfügen. Denn im Modus der Gegenwartsbeschreibung ist das Kino ein langsames Medium. Die Welt, in der eine Filmidee geboren wurde, ist am Tag der Premiere schon längst nicht mehr dieselbe - und im Voraus berechnen kann man die Volten des Zeitgeists meistens nicht.

Prophezeien die Krise: Naomi Watts und Clive Owen in "The International". (Foto: Foto: Berlinale)

Am Anfang ihres Projekts "The International" fühlten sich der Regisseur Tom Tykwer und der aufstrebende Hollywood-Autor Eric Warren Singer daher wie Aufklärer in gewagter Mission. Singer hatte intensiv entlang der Grenzlinie von Waffenhandel, Geldwäsche und Terrorismus recherchiert, aber in der letzten Fassung seines Drehbuchs ging es um mehr: Um die amoralische Logik des gesamten Finanzsystems, um eine Weltpolitik auf dem Pulverfass explosiver Kredite, um den Grundsatz, dass am Ende immer die Bank gewinnt - weil Regierungen und Staaten, die noch eingreifen könnten, längst viel zu tief mit drinhängen. Damit wollten Tykwer und Singer, in der klassischen Form eines Politthrillers, ein Publikum konfrontieren, das ihnen träge und allzu vertrauensselig erschien.

Doch noch während der Dreharbeiten geriet der Weltkapitalismus ins Wanken.

"Unser Ziel war es, auf ein globales Problem aufmerksam zu machen, das zu wenig beachtet wurde", sagt Tykwer. "Und dann gerieten wir mitten hinein in die apokalyptische Talfahrt des Finanzsystems. Jetzt fühlt es sich an, als hätten wir den aktuellen Irrsinn nur noch zusammengefasst."

Am Vorabend der Weltpremiere zur Eröffnung der Berlinale, für die "The International" nun praktisch das Thema vorgibt, die Reaktion des Kinos auf die gegenwärtig prekäre Weltlage, ist das nicht nur ein angenehmes Gefühl. Einerseits ist es natürlich schön, spektakulär recht zu behalten. Andererseits findet Tykwer den "doch recht verzweifelten Tonfall des Films" aktuell ziemlich beunruhigend.

Wird klar genug, dass der Kampf weitergehen muss? Dass die Geste, mit der sich die Helden des Films, einsame Widerstandskämpfer, voller Entschlossenheit und Empörung einem übermächtigen Gegner entgegenstellen, "absolut existentiell" ist? "Es ist so, als hätten wir einen fiktiven Film über Watergate gemacht", sagt Tykwer - "und dann wäre Watergate wirklich passiert."

Der Interpol-Ermittler Louis Salinger (Clive Owen) ist schon seit Jahren der "International Bank of Business and Credit" (IBBC) in Luxemburg auf der Spur, einer Bad Bank im sehr wörtlichen Sinn, man müsste sogar sagen: einer Superbad Bank. All seine Versuche, deren hochkriminellen Transaktionen mit Waffenhändlern und Drittwelt-Kriegsherren aufzudecken, haben Salinger nichts als Frustration und Ärger mit Vorgesetzten eingebracht - die Zeugen, die er zur Aussage bewegen will, kommen einer nach dem anderen um.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Berliner Hauptbahnhof zu seinem Hollywood-Filmdebüt kam.

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Auch die Unterstützung der New Yorker Staatsanwältin Eleanor Whitman (Naomi Watts) hilft da nicht viel. Ein Politiker mit Insider-Informationen wird vor den Augen der beiden in Mailand erschossen, die nächste Spur geht bei einem irrsinnigen Feuergefecht im New Yorker Guggenheim Museum verloren - bis Salinger schließlich einen entscheidenden Hintermann gestellt hat. An diesem Punkt aber helfen ihm alle Regeln (und auch die Genrekonventionen des Thrillers) nicht mehr weiter. Die Suche nach Gerechtigkeit wird auch moralisch zum Aufbruch ins Ungewisse.

Keine klassischen Weltvernichter

Entscheidend sei schon bei der Recherche die Erkenntnis gewesen, sagt Tykwer, dass kein ästhetischer Unterschied mehr bestehe zwischen der Welt der Helden und ihrer Widersacher. "Diese Bankiers sind keine klassischen Weltvernichter wie in einem James-Bond-Film, sondern moderne, entspannte Geschäftsleute, ausgesprochen pragmatisch. Wir zeigen sie auch mit ihren Familien, ihr sozialer Raum ist intakt. Das sind Menschen aus unserer Generation. Sie sehen aus wie wir, sie hören dieselbe Musik, sie gehen in dieselben Filme. Der Rest ist eine Frage der Haltung und eine Lebensentscheidung: Auf welcher Seite will ich stehen? Genau darauf komme es aber an, erklärt Tykwer - auf den geschärften Blick, der solche Haltungen noch zu unterscheiden weiß.

Genauso wichtig war ihm das Thema Architektur. Die Glas- und Betonpaläste der Finanzwelt, die futuristischen Firmenzentralen von Rüstungskonzernen, die schon optisch die Figur des einsamen Detektivs im Trenchcoat auf zwergenhafte Dimensionen schrumpfen lassen, haben Tykwer und sein Filmarchitekt Uli Hanisch zum Großteil in Deutschland gefunden. Die riesigen Glaspanels des VW-Konzerngebäudes in Wolfsburg wurden zur Zentrale der IBBC, Zaha Hadids nahegelegenes Phaeno Science Center mutierte, per Computer an den Gardasee versetzt, zum Hauptquartier eines italienischen Raketenbauers. Der Mensch vor dieser ästhetisch faszinierenden, scheinbar offenen, letztlich aber doch undurchdringlichen Architektur - das hat Kameramann Frank Griebe im hochauflösenden 70mm-Format aufgenommen.

Wildes Leben passt nicht ins Konzept

Streng justierte Tableaus sind diese Bilder, ohne stürzende Linien, stilistisch inspiriert von der Arbeit des Fotografen Andreas Gursky. Und genau wie Gursky hat Tykwer diese Bilder noch einmal am Computer nachbearbeitet, hin zu einer möglichst inhumanen Perfektion: "Es gibt eine Einstellung vor der VW-Zentrale, da habe ich alle Bäume wegretuschieren lassen", erklärt er. "Da hatte sich noch ein bisschen wildes Leben ins Bild gedrängt, das passte nicht ins Konzept." So transportieren diese Bilder nun eine weitere prophetische Erkenntnis des Films: Egal wie gläsern und transparent sich die Banken und Weltkonzerne heute geben - das Wesentliche bleibt doch unsichtbar. "Glas als Material hat ja letztlich einen Spiegeleffekt", sagt Tykwer. "Man kann besser hinaus als hineinschauen. Die sehen uns, aber wir sehen nichts."

Klingt paranoid? Auch das ist keineswegs Zufall. Paranoia sollte in "The International" das dominierende Prinzip der Weltwahrnehmung sein - in offensichtlicher Anlehnung an die Prunkstücke des Politthriller-Genres aus den siebziger Jahren. Europäer wie Francesco Rosi, Damiano Damiani, Henri Verneuil zitiert Tykwer als Einflüsse, aus den USA Schlesingers "Marathon Man" in seiner beunruhigenden, nie ganz erklärten Grundstimmung, Friedkins "French Connection", auch die Abstraktion von Pakulas "Parallax View": "Das Paranoia-Chefsystem der siebziger Jahre waren die Geheimdienste - und innerhalb dieser Systeme stießen diese Filme dann oft noch auf viel geheimere Strukturen, die sich völlig jeder Erklärung entzogen. Heute lässt sich das auf die Finanzwelt übertragen: Den wirklich zukunftsorientierten Bankern, die das System von innen heraus unterwandern, geht es erst einmal nicht um Geld, sondern um das, worum es auch damals schon ging - um Macht und um Einfluss."

Beuwsst nostalgisch

So soll es bewusst nostalgisch anmuten, wie Clive Owen und Naomi Watts Polizeiarbeit leisten, wie sie im Einsatz oft auf sich allein gestellt sind. Es gibt zum Beispiel eine klassische Beschattungssequenz in den Straßen von Manhattan - ein Killer zu Fuß unterwegs, die Ermittler dicht auf den Fersen. Sie endet im Rundbau des Guggenheim Museums, wo Tykwer das inszeniert, was in anderen Actionfilmen der finale Shoot-out wäre - hier allerdings bereits vierzig Minuten vor Schluss.

Dafür wurde das komplette Innere des Museums in einem verlassenen Lokschuppen in Brandenburg nachgebaut. Sechs Wochen Drehzeit für nur dreizehn Minuten Film - auch hier ging es wieder um klassisches Handwerk. "Angeblich moderne Actionregisseure wie Michael Bay lehne ich ab", sagt Tykwer. "Der Mann hat überhaupt keine Ahnung, der stellt nur überall Kameras hin, lässt sie wild durch die Gegend schwenken - dann hackt er das im Schnitt zu einem großen Bildgewitter zusammen, ohne jede Logik, ohne jedes Raumgefühl."

Für Tykwer dagegen war es entscheidend, einerseits die Nähe zu seinem Protagonisten zu wahren, sich mit der Handkamera ganz auf dessen hektischen Blickwinkel einzulassen - andererseits aber doch die Übersicht zu behalten, die Figuren im Raum zu verorten, während Einschüsse die weißen Museumswände durchlöchern - Action Painting mit Pistolen sozusagen. Ein ständiger Wechsel zwischen Handkamera, Steadycam, Schiene und Kran, filmische Auflösung als Präzisionsarbeit.

Den Regenbogen gab es gratis dazu

Gelegentlich sollten die Zuschauer einen Vorsprung vor dem Helden haben, etwa wenn aus den Tiefen des Museums weitere bewaffnete Gegner anrücken und die Lage immer aussichtsloser wird. Im nächsten Moment aber müssen sie schon wieder mittendrin sein. "Das Guggenheim ist der am schwersten zu fotografierende Ort der Welt, da bin ich inzwischen sicher", lacht Tykwer. "In all dem Weiß sieht irgendwann jede Perspektive gleich aus. Du weißt nie, auf welcher Seite du gerade bist." Umso wichtiger wurden Julian Rosenfeldts Kunstinstallationen, die Tykwer an die Wände projizieren ließ. Sie schufen die dringend benötige Unterscheidbarkeit der Perspektiven.

So geht es in "The International" also um Kunst und Handwerk und große Kinotradition im Metier des populären Erzählens, um die Wiederbelebung eines bedeutenden Genres, zugleich um verblüffende Einsichten zur aktuellen Gegenwart und um eine avancierte Definition des Politischen. Könnte sich Dieter Kosslick einen idealen Eröffnungsfilm für seine Berlinale zusammenbasteln, dann müsste er ungefähr diese Elemente enthalten.

Und noch etwas anderes verbindet "The International" mit Berlin: Gleich in der Eröffnungsszene gibt der Berliner Hauptbahnhof sein Filmdebüt. Er schmückt sich sogar magisch mit einem Regenbogen, bevor er zum Schauplatz eines mysteriösen Mordes wird. Den Regen, erzählt Tykwer, haben wir hergestellt - den Regenbogen bekamen wir gratis dazu.

© SZ vom 4.2.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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