Berlinale-Szenen:Das Glamour-Karussell

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Flirtende Spinnen, gestresste Journalisten, aggressive Festival-Dompteure - und dazwischen tummeln sich die Stars. Ein Spaziergang durch die schillernden Berlinale-Kulissen.

Constanze von Bullion

Es geistern in diesen Tagen Gestalten durch Berlin, die von fernen Planeten zu kommen scheinen. Manche sind berühmt, andere begabt, und einige beides und so unauffällig dabei, dass man sie leicht übersieht.

Glamour vor den Filmpalästen: Penelope Cruz schreibt Autogramme. (Foto: Foto: AP)

An einem warmen Morgen zum Beispiel taucht am Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin eine ältere Dame auf. Sie ist schmal wie ein Schulmädchen, die Haare hängen ihr ins Gesicht, sie trägt Cowboystiefel, zerschlissene Jeans und ein fleckiges T-Shirt. Man sieht ihr nicht an, dass sie ein Superstar ist und eben geflüchtet vom Potsdamer Platz, wo die Berliner Filmfestspiele laufen.

Man hat der alten Dame da einen hübschen Käfig gebaut, zwischen den Werbewänden einer eleganten Lounge, von der aus man ins Sony-Center hintergucken kann. Eigentlich soll sie da an diesem Morgen sitzen und Interviews geben, eines nach dem anderen, wie am Fließband. Tut sie aber nicht, jedenfalls noch nicht jetzt, erstmal will sie einen Mann besuchen, den sie verehrt.

Ein Urviech aus einer anderen Zeit

Sie macht so etwas öfters, wird sie später erzählen, turnt auf Friedhöfen herum und unterhält sich mit Toten. Das findet sie nicht trübsinnig, sondern beruhigend, weil sie dann bei denen ist, die ihr fehlen. "Sie reden alle mit mir, die Eltern, die toten Freunde. Ich muss nur genau hinhören, dann sind sie da."

Der Mann, den sie an diesem Morgen sprechen will, liegt begraben unter einem schlichten Feldstein. "Hello", sagt Patti Smith und "Happy Birthday". Bertolt Brecht antwortet nicht, jedenfalls nicht so, dass ihn jeder hört. Er wäre an diesem Tag 110 Jahre alt geworden, und die Musikerin, die jetzt 61 ist, legt ihm einen Sticker aufs Grab. "Dream of Life" steht drauf, es ist der Titel des Films, den sie zur Berlinale mitgebracht hat.

Ein Urviech aus einer anderen Zeit ist diese Patti Smith, die der Filmemacher Steven Sebring elf Jahre lang mit der Kamera begleitet hat. Herausgekommen ist das Porträt einer Frau, die sich ein Leben lang neu erfunden hat, weil sie nicht anders konnte. Von der Tochter armer Zeugen Jehovas ist sie zur Rockpoetin geworden, zur Malerin, zur Gottsucherin und zur Ikone aufmüpfiger Frauen. Nur, dass sie eben keine Ikone sein will.

Ein Heer von Zeremonienmeistern

Es ist nicht ganz einfach, Patti Smith zu interviewen, und als sie nach ihrem Ausflug ins Jenseits wieder am Potsdamer Platz gelandet ist, lässt sie sich wie ein seltener Vogel zwischen den Journalisten nieder. Sie wirkt sympathisch und gut gelaunt, aber sie lässt sich von keinem hier vereinnahmen. Nein, sagt sie, sie ist keine starke Frau und auch keine Ikone, "nur ein Mensch, der sich von einer Dimension in die nächste begibt". Patti Smith redet wie sie singt: impulsiv, vorwärts drängend und gern in Rätseln wie eine Sphinx. Sie kämpft jetzt gegen die "böse Pharmaindustrie", für die Natur, gegen den Irak-Krieg und manchmal auch gegen diese Schatten, die auf ihr eigenes Leben gefallen sind.

Der Tod ist dieser Frau ein vertrauter Gefährte, seit Ende der Achtziger ihr bester Freund starb, der Fotograf Robert Mapplethorpe. Mitte der Neunziger verlor sie den Vater ihrer Kinder und kurz danach noch ihren Bruder. Damals hat sie angefangen mit den Geistern zu reden, erzählt sie, doch als sie gefragt wird, wie das funktioniert, betritt ein junger Mann den Raum. "Last question, please", letzte Frage, sagt er, und dann werden die Presseleute zur Tür hinausgekehrt.

So läuft das eigentlich dauernd bei diesen Festspielen, die man sich vorstellen muss wie ein Uhrwerk, das schnell tickt. 1256 Filmvorführungen werden hier in zehn Tagen durchgezogen, mehr als 300 Filmemacher treten vor ihr Publikum und mehr als 4000 Journalisten jagen großen und kleinen Stars hinterher. Damit das alles klappt, gibt es ein Heer von Zeremonienmeistern, die Presseleute dressieren und dafür sorgen, dass der Gast durchs Getümmel findet und das richtige Mikrophon zum Gast.

"Wer Fotos macht oder sich Autogramme holt, der fliegt raus"

Es ist schließlich nicht so, dass hier jeder reden kann, mit wem er will. Je größer der Star, desto enger sein Käfig, das scheint so eine Faustregel zu sein. Interviews mit berühmten Menschen werden Presseleuten oft nur in Minutenpäckchen angeboten und in der Gruppe. Round Table heißt so etwas, und Journalisten, die nicht müssen, gehen da oft gar nicht erst hin.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Homosexuelle in islamischen Ländern erdulden müssen.

Warum das so ist, versteht erst, wer mal an so einem Round Table gesessen hat. Am Tag nach der Eröffnung der Berlinale lädt zum Beispiel eine Agentur zum Gespräch mit Martin Scorsese ein. Der Regisseur hat ein Konzert der Rolling Stones gedreht, "Shine a Light" heißt sein Film, er hat schon bessere gemacht. Weil Scorsese aber Scorsese ist, drängen lange bevor es losgeht Dutzende von Presseleuten in ein enges Wartezimmer, das irgendwo im Bauch eines Berliner Fünf-Sterne-Hotels verborgen ist.

Nadja Auermann und Joschka Fischer am der Cinema-for-Peace-Gala am Montag. (Foto: Foto: dpa)

Es dauert, es wird warm, und man fühlt sich hier bald wie in einer Legebatterie. Oben wird das immer gleiche Futter reingeschmissen, damit unten das immer Gleiche rauskommt. Endlich springt dann eine Tapetentür auf, aber heraus kommt nicht Scorsese, sondern eine gestrenge Mamsell, die die Spielregeln erklärt. 12 Leute interviewen hier im Akkord einen Star, sie kriegen dafür genau 15 Minuten, macht pro Kopf ungefähr 60 Sekunden Sprechzeit. "Wer Fotos macht oder sich Autogramme holt, fliegt raus, das ist klar."

Block voller Zitatenmüll

Wie bei der Bundeswehr, murmelt ein österreichischer Journalist, als die Mamsell wieder draußen ist. Er erzählt dann ein bisschen vom Fluss des Geldes, und warum hier so viel Eile geboten ist. Nationale Filmverleihe zahlen hohe Beträge für jeden Star, der in ihr Land eingeflogen wird, um dort für sein Produkt zu werben. Damit das Geld wieder eingespielt wird, werden Anzeigen geschaltet und Spots gedreht und Interviews in den Zeitungen platziert. Die Journalisten, die solche Interviews aufschreiben, sind sozusagen nützliche Vehikel, und je mehr Vehikel hier durchgeschleust werden, desto besser geht es denen, die die Filme vermarkten.

Martin Scorsese weiß das alles natürlich längst, er ist ein kleiner Herr mit traurigen Augen hinter dicken Brillengläsern. Der Regisseur sitzt noch nicht auf seinem Stuhl, da springt ihn schon die erste Frage an. "Glückwunsch, Herr Scorsese, wieso ein Dokumentarfim über die Stones?" Weil es "immer ein Traum von mir" war, antwortet der kleine Herr schnell und erzählt dann, dass ihn das Musikbusiness ganz besonders interessiert.

Er arbeitet jetzt schon an seinem nächsten Projekt, da geht es darum "wie Musik produziert wird, wer das Geld macht und wohin es fließt". Scorsese plaudert dann noch ein paar Geheimnisse aus, über Mick Jagger zum Beispiel, "er ist ein höflicher Mensch und ein echter Gentleman". Letzte Frage, die Mamsell ist wieder da, und schon steht man mit einem Block voller Zitatenmüll wieder draußen auf dem Flur.

Ein ungnädiger Bodyguard hat sich da aufgebaut, denn am Ende des Flurs sind jetzt Stimmen zu hören. Sie kommen aus einem Zimmer, in dem vier ältere Herren darauf warten, dass man sie durch die nächsten Fragerunden schleppt. Mick Jagger geht als erster raus. Er macht das eigentlich immer so, und wenn eine Kamera läuft, dann reißt er dabei den Mund auf, springt hoch und zeigt in die Luft.

Hinter Jagger kommt Ron Wood, der Gitarrist, er hält sich meistens an einer jungen Frau fest. Keith Richards schlurft in einer dichten Rauchwolke daher, und am Ende der Viererkette hängt Schlagzeuger Charlie Watts, der nicht ganz sicher zu sein scheint, wo er sich befindet. "Ist das jetzt das, wo ich hinter euch herlaufen soll?", fragt er noch, als sie ihn durch eine Tür ziehen.

Nun ist es aber nicht so, dass es bei der Berlinale nur ums Ende der Straße geht und den Ruhm von gestern. Dieses Filmfestival versteht sich seit vielen Jahren auch als Ort, an dem junge Talente entdeckt werden. Einer, der zu diesen Entdeckungen gehört, steht in der Finsternis eines unterirdischen Kinos. Er trägt einen großen Strickpullover und um den Hals ein Palästinensertuch.

Eine Odysee durch zwölf Länder

Parvez Sharma ist 34 Jahre alt, er stammt aus Indien, lebt in New York, und als er eben draußen vor der Kinotür stand, da wirkte er wie ein fröhlicher Mensch. Jetzt wartet er hier im Dunkeln auf den Applaus, der Abspann läuft, er zieht den Kopf ein. Es ist nicht das erste Mal, dass er seinen Film zeigt, aber unerträglich ist er jedes Mal wieder, dieser endlose Moment, der den Erfolg vom Scheitern trennt und die Hoffnung von der Gewissheit.

Endlich klatschen sie dann, der Regisseur richtet sich auf und blinzelt ein bisschen ungläubig ins Licht. Dann stürmt Parvez Sharma nach vorn zur Leinwand und erzählt seinem Publikum von einer Odyssee, die ihn durch zwölf Länder und neun Sprachzonen geführt hat. "A Jihad for Love" ist sein erster langer Film und eine Dokumentation über Homosexuelle in islamischen Ländern. Mehr als fünf Jahre hat der Regisseur ihre Spuren verfolgt, hat sie ausfindig gemacht, sie beschwatzt und überzeugt, sich vor seine Kamera zu stellen. Das Ergebnis ist preisverdächtig und öffnet die Tür zu einer verbotenen Zone.

Menschen wie Mazen aus Kairo lernt man da kennen, der im Film erst nur als Silhouette auftaucht und geschützt von totaler Finsternis die Geschichte eines Lebens erzählt, das es in seinem Land offiziell gar nicht gibt. Jetzt steht er in Berlin vor einem überfüllten Saal, ein schmaler Kerl, dem anzusehen ist, dass ihn dieser Auftritt ein bisschen Mut kostet. Er hätte sich das nie vorstellen können, sagt er leise, und dass dieser Film vielleicht andere ermutigen könnte.

Gefängnis, inneres Exil oder Isolation

Mazen, dessen Nachnamen man nicht erfährt, ist 2001 bei einer Schwulenparty in Kairo festgenommen worden. Damals sperrt man ihn mit anderen in einen Käfig, stellt ihn im Polizeipräsidium öffentlich aus und druckt sein Bild in der Zeitung. Erst da erfährt seine Mutter, wer er ist. In der U-Haft wird er in einer Zelle vergewaltigt, dann zu drei Jahren verurteilt, da haut er ab nach Paris. Jahrelang zieht er ohne Geld und Wohnung herum, er kann nicht zurück und mit seiner Mutter nur noch am Telefon sprechen. "Ich bin sicher, Gott hat einen Grund, warum mir das passiert ist", sagt Mazen.

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"A Jihad for Love", das ist kein lauter Film vom Heiligen Krieg für die Rechte Homosexueller, sondern eine feingewebte Dokumentation über Menschen, die auf der Suche nach ihrem Gott sind und nach einem Platz in der islamischen Gesellschaft. Sie finden ihn nicht, jedenfalls nicht zu Hause, also verlassen sie ihre Familien, um sie zu schützen. Ein Zurück gibt es da wohl nicht. In Iran müssen schwule Männer um ihr Leben fürchten, anderswo droht Gefängnis, inneres Exil oder Isolation. "Du wirst nicht auf dem muslimischen Friedhof begraben. Kein Moslem wird dein Totengebet sprechen", warnt ein südafrikanischer Imam einen schwulen Familienvater, der ihn fragt, warum er nicht sein darf, wie sein Schöpfer ihn gemacht hat.

Wer Parvez Sharma, den Regisseur, fragt, ob er seine Protagonisten eigentlich vor den Konsequenzen dieses mutigen Films schützen kann, der guckt in ein etwas ratloses Gesicht. Nein, sagt er, kann er natürlich nicht, er wird wohl immer mit dieser Angst leben müssen. Er unterbricht sich, nicht mit Angst, sagt er dann, "aber mit dem Bewusstsein, dass ihnen etwas passieren kann".

In Südafrika hat der höchste islamische Rat öffentlich davor gewarnt, seinen Film anzuschauen. Im Radio und auf der Website des saudischen Senders Al-Arabia wurden der Filmemacher und sein Produzent Sandi Dubowski beschimpft. Einer immerhin wagte sich da vor im Chat, der fand, man solle diesen jungen Leuten doch wenigstens eine Chance geben.

Spinnenporno

Es ist schon dunkel auf den Straßen von Berlin, als die Filmfestspiele in die nächste Runde gehen. Vor dem Kino International muss die Polizei die Straße sperren, weil ein paar hundert Frauen so hysterisch schreien, als würden sie gerade gevierteilt. Der Grund ist ein kleiner Herr mit tintenschwarzem Haar, der eben aus einer Limousine gestiegen ist. Der Schauspieler und Bollywood-König Shah Ruk Khan will zur Premiere seines Films, aber er kommt nicht weit, weil junge Mädchen nach ihm greifen und Frauen wie Ute Winter so brüllen.

Die Verwaltungsangestellte aus Dortmund ist nach Berlin gereist, um einmal im Leben "diese Augen" zu sehen und "den charismatischsten Schauspieler, den ich kenne". Blöderweise steht sie nun auf der falschen Seite des roten Teppichs und Kamerateams versperren die Sicht. Bitte!, fleht sie, als ginge es um ihr Leben, bitte! Und nochmal. Bitte! Da erbarmt sich einer aus dem Pressepulk, nimmt ihr ein Foto aus der Hand und reicht es zu ihrem Helden. Der schenkt ihr ein Autogramm und dazu ein Lächeln, das sie nur leider nicht sehen kann.

Es erfährt nicht jeder so viel Zuspruch wie ihm gebührt, das muss auch eine Dame erfahren, die man in einem bescheidenen Club irgendwo hinterm Potsdamer Platz einquartiert hat. Ein Putzmann räumt noch die Spuren der letzten Party weg, während im Hinterzimmer eine Frau Hof hält, die an eine schwarze Witwe erinnert.

Sie trägt einen rabenschwarzen Dracula-Umhang und ist behängt mit Perlenketten. Isabella Rossellini zeigt bei der Berlinale "Green Pornos", die nur wenige Minuten lang sind und ziemlich lustig. Immer spielt sie da, was sie will. Die Spinne, lernt man da, muss das ohne Penis schaffen, und die Biene verendet qualvoll nach dem Geschlechtsakt. "Hat Sie zu diesem Film Ihr Vater inspiriert?", erkundigt sich sehr ernsthaft ein Journalist. Isabella Rossellini bricht in Gelächter aus. "Ich denke natürlich immer an meinen Vater." Ein junger Mann kommt herein, last question, please. Draußen hat ein neuer Tag begonnen.

© SZ vom 12.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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