Berlinale: "Jud Süß":Auf dem Schoß des Teufels

Oskar Roehler will die perfide Macht des Kinos zeigen, doch Moritz Bleibtreu als Goebbels zappelt mit den Armen wie ein Duracellhase - und auch sonst wird vieles überdeutlich vorgeführt.

M. Knoben

Schmiere. Es ist tatsächlich Theaterschmiere, die Tobias Moretti an der Backe klebt, zu Beginn von Oskar Roehlers mit Spannung erwartetem Wettbewerbsbeitrag "Jud Süß". Und Schmiere ist es auch, die Roehler in den folgenden zwei Stunden präsentiert: deutsche Geschichte und Filmgeschichte als Puppen- und Gespenstertheater, in ausgebleichten Farben und besetzt mit deutschen A-Liga-Schauspielern, deren bekannte Gesichter das Ausgestellte und Vorgeführte des Ganzen ständig vor Augen halten.

Berlinale: "Jud Süß": Die reine Schmiere: Tobias Moretti als Marian, Moritz Bleibtreu als Goebbels in Oskar Roehlers "Jud Süß"-Film.

Die reine Schmiere: Tobias Moretti als Marian, Moritz Bleibtreu als Goebbels in Oskar Roehlers "Jud Süß"-Film.

(Foto: Foto: Concorde)

Das hätte kein schlechtes Konzept sein können für einen Film, der von der Entstehung des vielleicht perfidesten antisemitischen Propagandastreifens der Nationalsozialisten erzählt - aber dessen Inszenierung nicht ein weiteres Mal auf den Leim gehen will. Roehler, der nie zimperlich war bei der Wahl seiner Stoffe, will einerseits die Wirkungsmechanismen von Veit Harlans immer noch (und zu Recht) verbotenem Film aus dem Jahr 1940 bloßlegen, er ist andererseits aber ganz fasziniert von seiner boshaften Raffinesse - welche Macht das Kino haben kann -, und stellt sich dann doch mit dem Untertitel "Jud Süß - Film ohne Gewissen" noch schnell ein Alibi aus.

Die mephistophelische Verführungskraft verkörpert Moritz Bleibtreu, der Goebbels spielt, tatsächlich hatte der Propagandaminister "Jud Süß" zur Chefsache erklärt und maßgeblich mitgestaltet. Bei Roehler zappelt er nun mit den Armen wie der Duracellhase. Dieser Goebbels ist ein Clown und ein hochintelligenter Teufel - aber was sagt uns das, was nicht schon Chaplins Hitler-Parodie entlarvte? Die interessanteste, weil "unbekannteste" Figur, der Jud-Süß-Darsteller Ferdinand Marian (Tobias Moretti), das eigentliche Zentrum dieses Melodrams, wird von den Autoren dagegen entdämonisiert, aber auch entzaubert. Ein eitler, in seinen Schwächen allzu schematisch gezeichneter Mensch ist da zu sehen, dessen Selbstzerstörungstrip zunehmend langweilt. Friedrich Knilli, dessen Marian-Biographie Roehler und seinen Autor Klaus Richter inspiriert hat, hatte seinen "Ferdl" deutlich vielschichtiger und schillernder gezeichnet.

Verführter Verführer

Überhaupt wird vieles deutlich und überdeutlich vorgeführt: Wie der originale "Jud Süß", der mehr als 20 Millionen Zuschauer hatte, diese radikalisierte zum Beispiel, wird bei einer Vorführung in Oswiecim aufgezeigt, wo gerade Zwangsarbeiter die ersten Gruben für das spätere KZ Auschwitz ausheben. Und Martina Gedeck gibt als Marians halbjüdische Frau (die der echte Marian im Übrigen nicht hatte) einen sicheren Anker des - moralisch wie ästhetisch - Guten. Interessant ist die konsequente Sexualisierung der Geschichte - weil schließlich auch Marians "Jud Süß"-Darstellung im Original von 1940 erst durch seine ambivalente Erotik ihre perfide künstlerische Kraft hat. Roehler zeichnet Marian wie Goebbels als plumpe Verführer, Marian als verführten Verführer: "Du hast Goebbels auf dem Schoß gesessen", erkennt schließlich seine Geliebte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Angst kein guter Drehbuchautor ist.

Im Video: Es war der mit der größten Spannung erwartete Film im offiziellen Wettbewerb der 60. Berlinale: Als dritter und letzter deutscher Beitrag stand am Donnerstag Oskars Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen" auf dem Programm.

Weitere Videos finden Sie hier

Marathon der Ehe

Ein Film der Angst ist "Na Putu/On the Path" der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic, deren Debüt "Grbavica/Esmas Geheimnis" 2006 den Goldenen Bären gewann. Es ist die Angst vor dem (tatsächlich wachsenden?) religiösen Fundamentalismus in ihrer Heimat und revanchistischen Bestrebungen, die damit verbunden sind. Angst aber ist kein guter Drehbuchautor, holzschnittartig und vorhersehbar spult sich die Geschichte ab. Amar, ein weltoffener, seine Frau liebender junger Mann, hat ein Alkoholproblem und verliert deshalb seinen Job als Fluglotse. Als er von einem alten Kriegskameraden Arbeit in einem wahhabitischen Feriencamp erhält, sagt er zu - und wird, kaum angekommen, in einen Gläubigen verwandelt. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Luna (Zrinka Cvitesic), seiner Freundin, die ihren Amar herzlich liebt, mit Allah aber nichts am Hut hat, seit ihre Eltern im Krieg erschossen wurden. So schlicht das erzählt wird, fühlen sich die Ängste der Regisseurin doch authentisch an, zumal sie die Kriegserfahrung ihrer Landsleute in ihr Psychogramm geschickt einzuarbeiten versteht.

Göttliche Größe und Gleichgültigkeit

Menschenleere Landschaften, in denen zivilisatorische Gewissheiten außer Kraft gesetzt sind, prägten schon Alexei Popogrebskys Debüt "Koktebel", sie kennzeichnen nun auch "Kak ya provel etim letom/How I Ended This Summer". Zwei Männer verbringen den Sommer auf einer Forschungsstation im arktischen Meer: der erfahrene Meteorologe Sergei (Sergei Puskepalis) und der junge Pavel (Grigory Dobrygin), ein Praktikant. Der Ältere absolviert den Dienst mit klösterlichem Ernst, er fürchtet die Natur, die ihn umgibt, kann aber ohne sie nicht sein, während der Junge sich abschottet, die Zeit mit seinem MP3-Player totschlägt oder beim Videospiel. Es ist eine symbolische Landschaft, von göttlicher Größe und Gleichgültigkeit. Ihre Schönheit kann berauschend sein, ihre Leere einem die Luft rauben - vielleicht hat Popogrebsky den Film dieser Landschaft wegen gemacht.

Wer von besessenen Männern die Nase voll hat, ist in den Filmen, die hier außer Konkurrenz starten, derzeit besser aufgehoben. Nach Nicole Holofceners "Please Give" bringt nun Lisa Cholodenko mit "The Kids Are All Right" komödiantische Frischluft in den Wettbewerb. Im Grunde stellt das Kino ja immer wieder dieselben Fragen: Wie hält man den Marathon einer Ehe aus? Was, wenn der Eros auf Abwege lockt? Die alten Fragen fühlen sich in dieser Komödie wieder ganz frisch an, weil die Regisseurin mit einer kleinen Rollenverschiebung das traditionelle Erzählgefüge belebt: Der Mann im Haus ist hier ebenfalls eine Frau, Nic (Annette Bening) und Jules (Julianne Moore) führen eine lesbische Ehe.

Spießige Lesben

Turbulent wird es, als die Kinder der beiden ihren leiblichen Vater kennenlernen wollen, und der Samenspender in der virilen Gestalt von Mark Ruffalo in das Familienleben tritt. Pauls erdverbundene, sinnenfrohe Art zieht die feminine und gefühlsstarke Jules an. Es geht hier nicht mehr darum, zu zeigen, dass lesbische Liebe "normal" ist, es geht um die Probleme, die aus dieser Normalität entstehen. Unter emanzipatorischen Aspekten betrachtet, ist das in jedem Fall ein Fortschritt. Homo, hetero - es gerät jedenfalls einiges durcheinander in dieser Ehe, was sich mit Klischeevorstellungen schlecht verträgt. Moore und Bening spielen dieses Durcheinander lustvoll aus, und auch das postfeministisch konservative Ende lässt sich kaum in einer weltanschaulichen Schublade versenken: Ist das nun spießig, wenn Lesben einander treu bleiben?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: