Berlinale-Inside:"Auf dem Dorf war ich die Attraktion"

Beruf Regisseur: Bei Festivals werden die Stars der Branche gefeiert - doch die meisten Filmemacher warten vergeblich auf den Erfolg. Von der Lust am Nichtaufgeben.

Tanja Rest

Einmal saß Mickel Rentsch in der Spielfilmredaktion des Mitteldeutschen Rundfunks und hätte um ein Haar ein Drehbuch verkauft. "Einmal ostwärts und zurück'', die tragikomische Geschichte einer westdeutschen Familie auf Besuch im Osten.

Berlinale-Inside: "Auf dem Dorf war ich die Attraktion"

"Ich werde das Filmemachen nie in Frage stellen": der Münchner Regisseur Mickel Rentsch.

(Foto: Foto: Catherina Hess)

Ja, aber ....

Beim Potsdamer Filmfest hatte er dafür einen Preis gewonnen, plötzlich war das Interesse da und wenig später auch ein Termin. Die MDR-Redakteure lobten das Drehbuch, und dann seufzten sie ein bisschen und schüttelten die Köpfe. Sie taten, was jeder Redakteur tut, wenn er sagen will: Ja, aber. Die Geschichte sei ein wenig minimalistisch. Da müsse noch mehr Handlung rein. Ob er das nochmal überarbeiten könne.

Er hätte jetzt sagen können: "Klar, mach' ich.'' Er hätte aber auch sagen können: "Die Geschichte gibt es für mich nur so, das wird kein Actionfilm mehr.'' Und das tat er dann auch.

Es ist Tag eins nach der Oscar-Nominierung für Florian Henckel von Donnersmarck, ein Tag also, an dem man sich plötzlich vorstellen kann, dass es von Deutschland nach Hollywood nur ein Schritt ist - wenn einer bloß lange und fest genug daran glaubt. "Ich freu mich für den Florian'', sagt Rentsch, "er hat sich durchgeboxt und einen tollen Film gemacht, der Erfolg ist verdient.'' Es schwingt kein bisschen Neid mit.

Auf Wanderkino-Tournee

Mickel Rentsch, 39, hat gerade selbst einen Film gedreht: "Watt unter'' heißt er, die Geschichte dreier Menschen mit Selbstmordgedanken, die sich auf einer Hallig begegnen. Der Film hat 35 000 Euro gekostet, und die hat der Regisseur zum Großteil selbst finanziert - zusammengeliehen von Freunden, Kollegen, der Familie.

Die Chancen, dass "Watt unter'' diese Summe auch einspielt, sind minimal: Rentsch hat ihn bereits bei zehn Festivals angeboten, bisher ohne Erfolg. "Ich werd wohl jobben müssen, um das abzubezahlen.''

Damit der Film sein Publikum noch findet, wird er wohl wieder auf Wanderkino-Tournee gehen; das Kino ist in diesem Fall ein selbstgebastelter Fahrradanhänger, mit dem er schon einmal in eigener Sache durchs Land gestrampelt ist. Er lacht. "Auf dem Dorf war ich die Attraktion.''

Es gibt Menschen, die krumme Wege gehen müssen, um vor sich selbst gerade dazustehen. Mickel Rentsch ist so einer. Er sagt, "Watt unter'' handele nicht zufällig von der Lust am Nichtaufgeben.

"Einer wollte, dass ich bei ihm übernachte"

Auf dem Dorf hat er Leute getroffen, die haben in ihm, dem lustigen Vogel mit dem Fahrrad-Kino, einen großen Künstler gesehen: "Einer wollte, dass ich bei ihm übernachte. Damit er mal einen Regisseur beherbergt hat.'' Die Leute denken, dass ein Regisseur einer ist, der viel Geld verdient, mit berühmten Menschen zu tun hat und ständig mit einem Glas Champagner über den roten Teppich läuft.

Das sind Klischees, die nicht mal auf etablierte Namen wie Sönke Wortmann, Caroline Link oder Dennis Gansel ("Napola'') zutreffen - alles Ausnahmekarrieren, und selbst diese drei drehen Werbespots, um über die Runden zu kommen. Von denen, die es nicht schaffen, erfährt man sowieso nichts.

Die Realität des Regieberufs ist ein Konkurrenzkampf um Arbeit, die zeitaufwendig, nervenaufreibend und dabei nicht mal besonders gut bezahlt ist - ein Regisseur verdient im Jahr weniger als ein Beleuchter. Etwa 900 hauptberufliche Film- und Fernsehregisseure gibt es in Deutschland; von den Hochschulen kommen jedes Jahr noch einmal 50 bis 60 Absolventen hinzu - viel mehr, als die Branche beschäftigen kann.

"Auf dem Dorf war ich die Attraktion"

Nur jeder fünfte Neuzugang schafft es, sich zu etablieren.Der Rest schlüpft in anderen Filmberufen unter, verabschiedet sich ganz aus dem Geschäft oder macht es wie Rentsch: nebenher jobben und die Regie auf eigene Kosten durchziehen.

Seit dem Abitur ist ihm klar gewesen, dass er Filme machen würde: "Ich wollte Menschen bewegen und hatte viel zu erzählen, weil mich das Leben schon immer schwer beschäftigt hat.'' Seinen ersten Kurzfilm hat er mit 24 gedreht, damals als Autodidakt. "Jörg weiß nicht, was er kann, was er will und was er weiß'' gewann auf Anhieb die drei größten Jugendfilmfestivals.

Drei Jahre später wurde Rentsch an der Münchner Filmhochschule aufgenommen; sein Abschluss-Kurzfilm "Talks'' brachte ihm nochmals vier Publikumspreise ein. Es fing also alles ganz gut an. Und dann wurde es plötzlich schwierig.

Erst die Sache mit dem MDR. Überhaupt die Schwierigkeit, Geldgeber für seine Geschichten zu begeistern, die immer ein wenig verschroben und so zart waren, dass man ihnen das Label "Sat1 Movie'' oder "Leinwand-Knüller'' niemals hätte aufpappen können. An einem anderen Drehbuch war der WDR interessiert, Voraussetzung diesmal: die Überarbeitung durch einen Co-Autor, den Rentsch hätte bezahlen müssen. Das Geld hatte er nicht.

Wie er das alles erzählt, tut er einem nicht leid. Weil er es lustig erzählt. Weil er sich selbst nicht leid tut. Er sagt: "Ich werde das Filmemachen nie in Frage stellen.'' Er sagt aber auch, dass er sich mehr erhofft habe: Dass der Erfolg schneller kommen würde. Dass er überhaupt kommen würde.

"Ihr seid das Gegenteil von Beamten"

Wenn Steffen Schmidt-Hug vor eine Klasse von Filmstudenten tritt, redet er erst mal Tacheles: "Ihr müsst wissen, was die Möglichkeiten und die Grenzen sind in diesem Beruf, dass ihr keinerlei Lebenssicherheit habt und wahrscheinlich auf eine Familie verzichten müsst. Ihr seid das Gegenteil von Beamten.'' Schmidt-Hug ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Regie, und natürlich liebt er das Filmemachen, aber Illusionen macht er sich eben auch keine.

Die Auslesekriterien für Berufsanfänger nennt er "brutal''. 60 Absolventen pro Jahr seien völlig unrealistisch. "Wo sollen die denn alle hin?'' Das Seminar "Soziale Absicherung für Nachwuchsregisseure'' hält Schmidt-Hug nicht von ungefähr für "die wichtigste Vorlesung im ganzen Studium''. Ein reiches Elternhaus, sagt er noch, könne nicht schaden.

Traumberuf Regisseur: Sechs renommierte Filmhochschulen gibt es in Deutschland, hinzu kommt eine wuchernde Grauzone aus privaten Instituten und Kunsthochschulen mit Film-Sparte. Der Regie-Nachwuchs macht sich gegenseitig den Markt kaputt. Das Business ist natürlich immer hungrig nach jungen Leuten, nicht nur, weil die neue Geschichten erzählen und brennen vor Idealismus. Sondern vor allem, weil sie billig sind.

Ein Regisseur, der sein Debüt finanzieren will, verzichtet auf seine Gage. Er bekommt sie nur ausbezahlt, wenn der Film in der Gewinnzone landet - und selbst dann nicht immer. Immerhin ist der Anfang damit gemacht, zumal die Förderungsanstalten Erstlingswerke großzügig bezuschussen.

Zuckerrosa Luftballons in den Hirnen

Der Gang über die Flure der Münchner Filmhochschule ist wie eine schnelle Abfolge von Happy Endings. Da sind sie, gerahmt und hinter Glas: all die Erfolgsstories, die das Haus in 40 Jahren produziert hat. Wim Wenders, Doris Dörrie, Sönke Wortmann, Mika Kaurismäki, Roland Emmerich... Florian Gallenberger hängt da, mit seinem Kurzfilm-Oscar; das Filmplakat vom "Leben der Anderen''; das Plakat von "Wer früher stirbt, ist länger tot'', dem Überraschungshit von Marcus Rosenmüller.

Man denkt daran, was Mickel Rentsch gesagt hat, der mit Rosenmüller in eine Klasse gegangen ist: Dass auch "der Rosi'' eine Phase gehabt habe, wo er an seinem Talent zweifelte, Geschichten erzählen zu können, wo er alles hinschmeißen wollte. Und nun dies. Man könne eben nie wissen.

So etwas in die Richtung sagt dann auch Andreas Gruber. Der Österreicher unterrichtet die Regieklasse und macht selbst Filme. Gruber sieht "zuckerrosa Luftballons'' durch die Gehirne schwirren, "aber ich sehe auch Studenten, die Riesentalente sind, denen alles zuzutrauen ist - man muss nur vorsichtig sein, wie man sie stützt.''

Wer jahrelang an einem einzigen Film gefeilt hat, steckt Ablehnung und Desinteresse nicht einfach so weg. Und nicht jeder, der dem Wunsch nach fernsehkompatibler Action ausgesetzt ist, bleibt standhaft. Gruber sagt seinen Studenten, dass sie die Ansprüche am Anfang hochhalten sollen, "weil runterschrauben muss man sie dann eh''.

Filmhochschüler haben gelernt, mit einem einzigen Kameraschwenk eine Geschichte zu erzählen. Die meisten wollen Kinofilme drehen, weil sie dort noch am ehesten künstlerische Freiheit haben. Aber bezahlte Arbeit bietet vor allem der genormte Markt der Vorabendserien und Daily Soaps.

"Jeder muss gnadenlos selber wissen, wohin er will"

Wer pragmatisch genug ist, bei "Marienhof'' oder "GZSZ'' eine Weile Regie zu führen, hat sich den Rückweg zum Qualitätsfilm so gut wie abgeschnitten - das Business ist schubladenfixiert und verzeiht Abwege nur sehr zögerlich. Letztlich ist jeder auf sich allein gestellt. "Das Hundsgemeinste ist: Es gibt keinen, der ein Talent irgendwo hinschubst'', sagt Gruber. "Jeder muss gnadenlos selber wissen, wohin er will.''

Am Ende des Leidenswegs wartet dann aber doch manchmal: der Ruhm. Tomy Wigand ging auf die Münchner Filmhochschule, wurde dann erstmal Cutter, dann Regisseur bei "GZSZ'' und drehte 2003 nichtsdestotrotz "Das Fliegende Klassenzimmer''. Marc Rothemund pfiff auf die Filmschule, ackerte sich als Regieassistent bei Vivian Naefe, Helmut Dietl und Bernd Eichinger langsam nach oben und bekam 2006 eine Oscar-Nominierung für "Sophie Scholl''.

Florian Henckel von Donnersmarck, der nun ebenfalls nominiert ist, ging mit seinem Drehbuch für "Das Leben der Anderen'' jahrelang hausieren, bekam ein Angebot von der ARD, lehnte ab, hausierte weiter.

Diese drei immerhin werden am Ende sagen, dass es sich gelohnt hat.

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