Berlinale:Der Mann aus den Kohlen

Viele Highlights gibt es bisher nicht im Wettbewerb, aber auf Aki Kaurismäki und Catherine Deneuve ist Verlass.

Von Susan Vahabzadeh

Der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki hält Digitaltechnik für "Teufelszeug", weswegen er "Toivon tuolla puolen / Die andere Seite der Hoffnung" mit dem ihm eigenen Stoizismus auf 35 Millimeter gedreht hat, was heutzutage gar nicht mehr jedes Kino zeigen kann. Es gibt in dem Film dann eine Szene, der man ungefähr entnehmen kann, wie Kaurismäkis Verhältnis zu allem neumodischem Kram sein muss: Da sitzt der syrische Flüchtling Khaled auf einer Polizeiwache in Helsinki und ersucht um Asyl.

Die Wache sieht aus, als wäre die gesamte Einrichtung so ungefähr um 1960 erfolgt und seither immer schön gepflegt worden: alles sehr sauber, aber ein bisschen abgeschrubbt, mit altmodischem Charme. Der Polizist nimmt Khaleds Fingerabdrücke also mit einem Scanner, der an ein Notebook angeschlossen ist, das aber eben nur benutzt wird, wenn es gar nicht anders geht. Den Asylantrag spannt er in eine hellgraue mechanische Schreibmaschine und tippt die Angaben im Ein-Finger-Suchsystem. Man muss ja schließlich nicht jeden Blödsinn mitmachen.

Das Kino verändert die Welt nicht. Eher noch verändert die Welt das Kino

Das ist dann auch das Motto, unter dem der ganze Film stehen könnte. Kahled (Sherwan Haji) ist auf einem Schiff nach Helsinki gekommen, er hat sich in der Kohle versteckt, weil im Kaurismäki-Universum der Bürgerkrieg in Syrien und die Dampfschifffahrt wunderbar miteinander harmonieren. Khaled kommt seinerseits mit den meisten Menschen zurecht - in Finnland ist er gelandet, weil er sich auf dem Schiff vor einer Bande Skinheads versteckt hat. Und weil ihm auf dem Schiff jemand erzählt hat, alle Finnen seien zauberhaft, will er auch dort bleiben. Es sind natürlich nicht alle Finnen zauberhaft - aber doch recht viele.

Kaurismäki - The other side of hope  (c) Sputnik Oy

Kleine Solidargemeinschaft: Der syrische Flüchtling Khaled (Sherwan Haji, links) findet in Wikström (Sakari Kuosmanen) einen Verbündeten, der lieber handelt, als große Worte zu machen.

(Foto: Berlinale)

Es gibt eine zweite Hauptfigur in "Die andere Seite der Hoffnung", Wikström (Sakari Kuosmanen), der seinerseits geflüchtet ist, vor seiner Wodka-seligen Frau und einem Lager voller Herrenoberbekleidung. Er hat ein Restaurant gekauft, und einen halben Film lang leben Khaled und Wikström an einander vorbei, bis sie zu einem ziemlich guten Team werden. Kaurismäki macht nur alle paar Jahre einen Film, aber sie erhalten ihm zuverlässig seinen Ruf, einer der wenigen Filmemacher zu sein, die tatsächlich einen eigenen Stil haben. Kaurismäkis Handschrift ist unverkennbar, in der Erzählung und visuell, mit lakonischen Dialogen, trockenem Humor und bierernsten Figuren, die emotionslos wirken und umso rührender sind, wenn ihre Gefühle sich für den Bruchteil einer Sekunde an die Oberfläche vorarbeiten.

Genau so ist "Die andere Seite der Hoffnung" - voller Witz, aber Kaurismäki meint das alles trotzdem ernst. Khaleds Asylantrag wird abgelehnt, mit einem verschwurbelten Paragrafengewäsch, das besagt, Aleppo sei nicht unsicher genug, und in der nächsten Szene sieht man dann die zerstörte Stadt auf einem Fernsehbildschirm. Es steckt ein wenig Utopie in dieser Geschichte. Gute Menschen haben mir geholfen, das sagt Khaled immer wieder, und es passiert auch immer wieder; einmal jagen ihn auch in Helsinki drei Skinheads - aber ein Trupp von Obdachlosen schlägt sie in die Flucht. Viele Schwache können sich gegen Stärkere durchsetzen, wenn sie nur fest genug zusammenhalten.

"Die andere Seite der Hoffnung" läuft im Wettbewerb, und Kaurismäkis Film ragt da nachgerade heraus. Eigentlich soll hier ja eine Weltauswahl zu sehen sein - man fragt sich aber doch, was aus dem Kino noch werden soll, wenn das tatsächlich das Beste ist, was es zwischen Venedig 2016 und Cannes 2017 zu zeigen gibt.

"Ein Kuss von Béatrice" von Martin Provost läuft außer Konkurrenz und ist ein gutes Beispiel für gepflegtes Mittelmaß. Eigentlich hat der Film zwei zauberhafte Hauptfiguren - die freudlos disziplinierte Hebamme Claire (Catherine Frot) und die Lebedame Béatrice (Catherine Deneuve). Béatrice flattert eines Tages zurück in Claires Leben. Sie hatte einst mit Claires Vater zusammengelebt, war dann aber nach Argentinien entschwunden, weil es sie nirgends lange hält. Béatrice ist eine Paraderolle für Deneuve, unverschämt und charmant, sie lügt und betrügt, aber wen sie liebt, den liebt sie mit vollem Herzen; und Claire, die zu ihrer Mutter keinerlei Beziehung hatte, findet sich widerspenstig hinein in die Rolle der Tochter, die Béatrice nun plötzlich gerne hätte, am Ende ihres Lebens - sie hat einen Hirntumor. Die beide Frauen sind wundervoll, aber der Film hat dann doch ein paar Schwächen zu viel, um richtig gut zu sein - in der ungelenken Art beispielsweise, wie er Claire als Superhebamme stilisiert, der die Geretteten zu Füßen liegen und die jede wildfremde, verstört heulende Schwangere durch ein hingehauchtes "Vertrauen Sie mir!" und kurzes Handauflegen zur Ruhe bringt.

Vielleicht ist es dann fast origineller, Bollywood-Schauspieler mit westlichen Akteuren zusammenzuspannen - für eine Art "Vom Winde verweht" des mittleren Ostens. Gurinder Chadha hat das getan für "Viceroy's House / Der Stern von Indien". Das Resultat ist ein Historienepos, das zwar nicht bahnbrechend ist, aber wenigstens einigermaßen informativ, und sehr schön aussieht; am Rennen um den Bären nimmt der Film aber nicht teil.

Es geht um die kurze Regentschaft von Lord Mountbatten (Hugh Bonneville), der 1947 als Vizekönig nach Indien geschickt wird, um die Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit zu organisieren.Das Pathos der beiden indischen Hauptfiguren, Mountbattens Diener Jeet (Manish Daya) und der Übersetzerin Aalia (Huma Qureshi), steht dem nüchternen Pflichtbewusstsein von Mountbatten und seiner Frau Edwina (Gillian Anderson) gegenüber. Jeet und Aalia lieben sich, aber er ist Hindu und sie Moslem. Mountbatten trifft Entscheidungen, als ihm noch grundsätzliche Informationen fehlen, was dann zu der Teilung in zwei Staaten führt, Indien und Pakistan, und in einer Flüchtlingskatastrophe endet.

Chadha macht da eine historische Fehlentscheidung an Personen fest, was eben immer noch die beste Art ist, Geschichte filmisch umzusetzen. Und sie betreibt sozusagen Ursachenforschung, wo Kaurismäki nur von Mitmenschlichkeit träumt. Kurzsichtige Politik ist der Grund für fast jeden größeren Konflikt auf der Welt. Diese Geschichte darf man also ruhig noch einmal erzählen, auch wenn das Kino die Welt nicht verändert. Eher noch verändert die Welt das Kino - und dann laufen vielleicht sogar bei der Berlinale Filme, die es nicht ganz ähnlich schon längst gibt. Hoffentlich bald.

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