Berlin, deine Buden:Schnelle Bräter

Am schönsten sind sie, wenn sie stören: Berlin würdigt seine Imbissbuden mit einer Ausstellung in der Domäne Dahlem und mit einem Buch.

VON DIETER WULF

- Der Zufall ist ein kreativer Koch. Die Erfindung des Hamburgers verdanken wir bekanntlich Erich Playowski, einem deutschen Einwanderer in Quinibek, Ohio, der 1906 an seinem Imbissstand neben einem Football-Stadion überbackene Fleischbällchen zwischen Weißbrot servierte und das Ganze nach seiner Heimatstadt benannte.

Currywurst
(Foto: Foto: dpa)

Der spielsüchtige vierte Earl of Sandwich, auch dies ist Geschichte, schenkte uns eine Stullen-Variante gleichen Namens, weil er sich Wurst, Käse und Brot auf eine Weise servieren ließ, die es ihm erlaubte zu zocken, ohne die Karten zu beschmutzen.

Und die Erfindung der Currywurst trug sich verbrieftermaßen an einem Septembertag im Jahr 1949 in Berlin zu. Herta Heuwer, so die Legende, langweilte sich an ihrer "Stehbierhalle", wie man das damals noch nannte, rührte zerstreut Gewürze und Tomatenmark zusammen und drapierte alles auf einer Wurst: Ein Klassiker war geboren, ein Berliner Exportschlager, der uns bis heute im Magen liegt - und für dessen Erfindung die Mutter aller Currywürste jüngst in Berlin mit einer offiziellen Gedenktafel geehrt wurde.

Mutterwitz an Bulette

Es gibt Frittenbuden in Leipzig und Bochum, Letztere besungen von Herbert Grönemeyer: "Gehse inne Stadt, wat macht dich da satt? 'ne Currywurst."

Doch nur der Berliner entfaltet vor der Kulisse der schnellen Bräter sein Berlinersein schlechthin.

Brigitte Mira mochte in Fassbinder-Filmen gespielt haben, Günter Pfitzmann in Bernhard Wickis "Die Brücke", aber wirklich populär wurden beide durch die Berliner Vorabendserie "Drei Damen vom Grill": Mutterwitz an Bulette als Erfolgsrezept.

Imbissbuden bieten das Gegenteil eines gemütlichen Abendessens, sie zielen auf die spontane Bedürfnisbefriedigung. Schon historisch nutzen sie Zeiten des Übergangs und Orte der Improvisation, stoßen in Baulücken und Brachen, gerade in Berlin.

Die Currywurst - eine Subversion

Als die Stadt noch in Gut und Böse geteilt war, schuf die Mauer einen künstlichen Stadtrand, der westlicherseits hauptsächlich aus Dreck und Graffiti bestand. Kein seriöser Bauherr setzte einen Fuß hierher, aber Hunderte Schaulustige drängelten sich, um das Reich des Bösen zu inspizieren: Das ideale Fast-Food-Biotop.

Pommesbuden gediehen im Dutzend und verliehen der Mauer einen Hauch von Vergänglichkeit: Die Currywurst - eine Subversion.

Inzwischen ist die Zeit solcher Klitschen abgelaufen. Solange noch gebaut wurde am Potsdamer Platz, konnte man improvisierte Holzverschläge zur Verköstigung der Bauarbeiter finden. In der neuen Metropolen-Herrlichkeit aber scheint man sich der Fettreste am einstigen Todesstreifen zu schämen.

Vor wenigen Monaten vertrieb das zuständige Bezirksamt den letzten Imbiss vom Brandenburger Tor. Ein Aufschrei in den Berliner Zeitungen war die Folge. Der zuständige Senator erwirkte eine Ausnahmegenehmigung, als gäbe es ein Grundrecht auf schlechtes Essen.

Entgegen verbreiteter Meinung geht es an Pommesbuden natürlich nicht nur um Nahrungsaufnahme, sondern auch um Genuss. Erbitterte Kämpfe werden ausgefochten über die Kioske mit der besten Curry, den krossesten Pommes. An Frittenbuden herrscht der Geist von Egalität und Volksnähe, weshalb beim letzten Treffen von Kanzler Schröder mit George W. Bush in Berlin eine Currywurst auf den Tisch kam.

Pseudohistorisch

Die historische Bude steht mittlerweile neben dem Reichstag. Doch dieser Promibrutzler, bei dem sich auch Volksvertreter sehen lassen, hat mit dem üblichen Caravandesign wenig gemein: Jeden Abend wird der Grillplatz im pseudohistorischen Design zusammengepackt und am nächsten Morgen wieder aufgebaut.

Für den Berliner Publizisten Jon von Wetzlar eine völlig uninteressante Grillsituation. Ihn beschäftigen die kleinen, meist schäbigen und manchmal grotesken Exemplare unter den 2000 Imbissbuden der Hauptstadt. "Urbane Anarchisten" nennt er sie, und findet sie immer dann schön und bemerkenswert, wenn sie das Stadtbild möglichst drastisch stören.

Letzte Oasen individueller Bratästhetik entdeckte von Wetzlar in den Außenbezirken, in denen er sich monatelang herumtrieb. Das Ergebnis der Recherche präsentiert er nun in einem Buch (Jon von Wetzlar, Christoph Buckstegen: "Urbane Anarchisten", Jonas Verlag, Marburg 2003, 15 Euro) und in einer Ausstellung im Berliner Museum Domäne Dahlem.

Die Schau nähert sich der Schnellverköstigung künstlerisch, mit den kapriziös gehäkelten Hot-Dogs Patricia Wallers oder der Hopperesken Einsamkeit der "frituur" im Ghenter Hafen von Gilles Houben.

Wetzlars Buch hingegen begreift seinen Gegenstand soziologisch. Er unterscheidet den "nativen Typ" (eher abweisender, primitiver Kubus mit Warenabgabeöffnung und Spuckschutz), den "entwickelten Typ" (oft mit Baumarkt-Folien erweiterte Variante mit erkennbarem Vorraum) und den "definitiven Typ" (Kunde und Bedienung teilen sich einen Raum; die Einrichtung legt die Nähe zum Schnellrestaurant nahe).

Bejubelte Nobelbuden, wo die Pommes mit Schampus bei hohem Promifaktor gereicht werden, hat Wetzlar bei seinen Streifzügen ebenso standhaft ignoriert wie "Konnopke", jenes legendäre Etablissement an der Schönhauser Straße, das wie so viele szenefähige Accessoires der einstigen DDR als Zitat seiner selbst längst erstarrt ist wie kaltes Bratfett.

Stattdessen greift er weit aus ins Soljanka-artige Mischmasch der urbanen Fast-Food-Realität, zeigt "Chicken Center", "Asia quick", oder auch "Inges Boulettenschmiede", die "Brat Oase" oder den "Kalorienbomber".

Man sieht Fotos von grauenhaft deprimierenden Treffpunkten neben Orten farbenprächtiger Ungastlichkeit mit Kunstrasen und Stehtischen. Denn setzen darf man sich nirgends. Sitzplätze haben in der Welt des schnellen Essens nichts zu suchen. Stehend schlingt man hier Triefendes an Plastik-Pieksern aus Pappschälchen.

Und das schon seit fast 900 Jahren. Die nachweisbar älteste Imbissbude grillte bereits 1135 in Regensburg Würste für die Arbeiter einer Brücke über die Donau. Im großen Stil etablierten sich Würstchenbuden jedoch erst mit der Industrialisierung. Der "Wurstmaxe" und das schnelle Essen auf der Straße gehörten zur Großstadt wie Abgase und Zeitungsjungen.

Die Brüder Carl und August Aschinger eröffneten schließlich 1894 in Berlin ihr erstes Schnellrestaurant, 54 Jahre bevor zwei andere Brüder, Maurice und Richard McDonald, im amerikanischen San Bernardino ihre "Drive-in Hamburger Bar" aufmachten. Schon damals servierte Aschinger in 29 identischen Läden genormte Happen zu niedrigen Preisen. Seitdem schreitet die Uniformierung der Fast-Food-Welt unaufhaltsam voran.

Statistisch isst jeder Deutsche mindestens drei mal pro Woche unterwegs - Tendenz steigend. Doch große Ketten verdrängen die "urbanen Anarchisten" aus den Stadtzentren, in Berlin schließen sich die Baulücken. Imbissbuden haben inzwischen das Museum erreicht - wie schützenswertes Kulturgut. Einmal Pommes rotweiß - wo sonst ist Kulturförderung so schnell und einfach?

Bis 15. Dezember.

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