Belletristik:Was einem so in den siebten Sinn kommt

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Heinrich Steinfests geschwätziger Roman "Das Leben und Sterben der Flugzeuge" ist eine ermüdende Lektüre - rätselhaft, dass der Autor dafür den Bayerischen Buchpreis erhalten hat.

Von Ulrich Rüdenauer

"I'll let you be in my dreams if I can be in yours", dichtete der diesjährige Literaturnobelpreisträger Bob Dylan 1963 in seinem Song "Talkin' World War III Blues". Der österreichische Unterhaltungsschriftsteller Heinrich Steinfest vermag es, aus so einem fluffigen Gedanken einen flatterhaften 600-Seiten-Roman mit dem Titel "Das Leben und Sterben der Flugzeuge" zu bauen, für den er gerade den Bayerischen Buchpreis erhalten hat.

Im Buch geht es - so weit sich das überhaupt sagen lässt - um unaufgeklärte Autounfälle, zukünftige Flugkatastrophen, quantenphysische Zaubertricks und einen Kommissar mit Spenderherz, der sich in seinen Träumen in ein Spatzenhirn verirrt und durch verschiedene Bewusstseinsräume geschleudert wird. Sein anderes Ich im Parallelschlafuniversum ist ein leutseliger Spatz aus Paris, der aus heiterem Himmel in eine Verschwörungsgeschichte hineintrudelt und durch halb Europa schwirrt, um am Ende turtelnd und zwitschernd neben einem Spatzenweibchen und in einem filmreifen, James-Bond-artigen Happy-End-Setting zu landen.

Von Kapitel zu Kapitel wechselt die Perspektive; diverse Existenzen werden von einem Traum in den nächsten, von der einen Wirklichkeit in eine andere verschoben - Steinfests Fachterminus hierfür lautet "Wischen". So geht das über Hunderte Seiten munter hin und her. Ununterbrochen wird gewischt und verwischt und entwischt, sodass man irgendwann nicht mehr recht sagen kann und will, in welcher Welt man sich gerade befindet und wer hier eigentlich wer ist, was es mit den paramilitärischen Sperlings-Sperks auf sich hat oder mit Flugzeugen, die hier schon abgestürzt sind, während sie dort noch über den Wolken kreisen. Reales und Imaginiertes sind nicht mehr zu trennen - zwischen Denken und Träumen herrscht reger Flugverkehr, und in den Zwischen- und Gegenwelten lässt sich trefflich alles unterbringen, was einem so in den siebten Sinn kommt.

Man kann also nicht behaupten, dass dieser Autor sparsam mit seinen Ideen umgehen und seine kindlich sprudelnde Fantasie im Zaum halten würde. Schon in Steinfests Mystery-Schinken "Der Allesforscher" (2014), der den Autor aus der Krimiecke ins Feuilleton katapultiert hat, explodierten Wale, Flugzeuge stürzten ins Meer, und der Zufall regierte das Geschehen, wenn mit Logik nichts mehr auszurichten war. Nun mag das für eine Literatur, die zwischen den Genres Fantasy, Science-Fiction und Kriminalschmonzette hin und her flattert, geradezu konstitutiv sein - je kruder, desto überzeugender. Leider aber muss man sich durch umständliche dramaturgische Konstruktionen quälen; jedes Detail wird bis zur Ermüdung beschrieben, nichts bleibt unerwähnt.

Die Geschwätzigkeit wird nur noch durch eine Neigung des Autors zum geflügelten Wort überboten, vielleicht aus Sorge, sonst in die Trivialliteratur-Abteilung verbannt zu werden. Und manchmal verknüpft sich all das noch mit einem überambitionierten Willen zur Poesie. "Der Schlaf kam jetzt ganz nahe. Ich spürte seine Lippen und wie er mir die Tränen aufsaugte. Und ich begriff seinen Durst. Des Schlafes Durst nach dem Leben." Wer dieses Buch liest, ohne die Lippen des Schlafes ganz nah zu spüren, leidet womöglich unter Insomnie und sollte rasch den Arzt seines Vertrauens aufsuchen.

© SZ vom 09.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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