Belletristik:Offene Worte

Haruki Murakami

Haruki Murakami hatte verschiedene Gastprofessuren in den USA inne. Unser Bild entstand in seinem Büro in Harvard.

(Foto: Kevin Trageser/Redux/laif)

Haruki Murakami und Thomas Glavinic könnten unterschiedlicher nicht sein. Und doch verbindet die beiden Schriftsteller mehr, als man denkt. In zwei aktuellen Publikationen äußern sie sich über ihr Leben und Schreiben.

Von Alex Rühle

Geister tauchen in seinen Romanen auf, Menschen gehen durch Wände, und plötzlich steht ein zweiter grüner Mond am Himmel. Ein älterer Herr kann mit Katzen reden, und ein Junge kommt in einer Bibliothek mit einem Mann ins Gespräch, der ein Schafskostüm trägt. All das passiert stets leise, en passant, so als sei das eben so, als würde uns alle nur ein Schritt von einer sehr viel seltsameren Welt als der hiesigen trennen.

Haruki Murakami selbst sind anscheinend mehrmals ähnlich merkwürdige Dinge widerfahren: So überkam ihn der Entschluss, Schriftsteller zu werden, völlig unvermutet, am 1. April 1982, während er, ein Bier in der Hand, einem Baseballspiel der Yakult Swallows zuschaute. Murakami betrieb damals einen Jazzclub in Tokio, es war sein freier Tag, er lag im Gras, durchs Stadion hallte gerade der satte Klang eines geglückten Schlags, "und just in diesem Moment kam mir völlig zusammenhanglos der Gedanke: ,Das ist es! Ich werde einen Roman schreiben.' Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Augenblick. Ich hatte das Gefühl, etwas wäre langsam vom Himmel gesegelt und ich hätte es mit den Händen aufgefangen."

Murakami schaute das Spiel seinerzeit zu Ende an, kaufte danach in einem Schreibwarengeschäft Papier und Füller, ging ganz normal arbeiten und setzte sich dann erstmals nachts an den Küchentisch. Als er nach ein paar Monaten seinen ersten Roman fertig hatte, war er allerdings nicht gerade beeindruckt: "Junge, Junge, dachte ich verzagt. Was soll ich jetzt damit machen?"

Murakamis Arbeitstag ist streng duchgetaktet: schreiben, laufen, schlafen

Andere hätten den Versuch vielleicht weggeworfen. Murakami warf stattdessen alle Vorstellungen, die er über das literarische Schreiben hatte, über Bord. Warum muss man in der japanischen Muttersprache schreiben? Warum nicht das Ganze noch mal versuchen, diesmal auf Englisch. Dass er die Sprache nicht gut beherrschte, gefiel ihm gerade gut, schließlich ist unser "inneres System" mit den Wörtern und Begriffen unserer Muttersprache "beladen wie ein bis unters Dach vollgestopfter Schuppen". Also Platz für Neues - weg mit dem Füller, her mit einer Olivetti mit lateinischen Buchstaben. Die englische Version wurde kompakter, roher, direkter. Am Ende übersetzte Murakami diesen englischen Text wiederum zurück ins Japanische, und siehe da, ein neuer Stil war entstanden.

Haruki Murakami lebt sehr zurückgezogen. Er steht seit über dreißig Jahren jeden Tag um fünf Uhr auf, macht sich Kaffee und schreibt dann vier bis fünf Stunden, je nachdem wann er zehn Seiten voll hat. Egal ob er an diesem Tag gerne mehr schreiben würde oder es ihm umgekehrt schwer von der Hand geht: Er füllt seine zehn Seiten, ganz nüchtern, "ohne Hoffnung, ohne Verzweiflung", wie es Karen Dinesen, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Tania Blixen, mal, sehr zum Gefallen Murakamis, formuliert hat. Dann geht er eine Stunde laufen, hört Musik und legt sich um neun oder zehn Uhr schlafen. Mal verbringt er ein Jahr in Hawaii, mal in Italien, Griechenland oder New Jersey, aber sein Rhythmus bleibt immer derselbe. Er mag es, unerkannt zu bleiben, und tritt so gut wie nie bei Lesungen auf.

Wenn die Rohfassung steht, beginnt eine lange Phase des Umschreibens und Reifens

Umso wertvoller ist für Murakami-Leser sein neues Buch "Von Beruf Schriftsteller", gibt er hier doch in elf Essays erstmals ausführlich Auskunft über sich selbst. Wobei dieses Selbst, so versichert er, völlig langweilig und einzig und allein dazu da sei, seinem Schreiben zu dienen. Sogar das Laufen hat er nur zu dem Zweck angefangen, seinen Körper für die lange, ausdauernde Romanarbeit zu stärken. Was ihn auszeichnet, sind eine unerschrockene Hartnäckigkeit, ein stabiles Selbstbewusstsein, die Fähigkeit, sich über lange Zeit auf ein und dieselbe Sache zu konzentrieren, ein beeindruckend starkes Grundgefühl der Freude und seine langsame Art, ja, er sagt mehrmals, nur wer langsam denkt, solle Schriftsteller werden.

Schreiben, das bedeutet für ihn in erster Linie umarbeiten. Klar, der Rohtext muss erst mal stehen, aber danach beginnt die eigentliche Arbeit, das Umschreiben und, ganz wichtig, die etwa einjährige Phase des Liegenlassens: "Bei einem umfangreichen Roman ( ... ) ist die Zeit, in der ich nichts tue von zweitwichtigster Bedeutung. Sie entspricht der Phase der Ablagerung bei gewissen Herstellungsprozessen." In diesem Jahr, im Dunkel des Vergessens, reift der Text heran, dessen eigentlicher Ursprung ebenfalls im Dunkel liegt, im Nichtstun und Warten: "Man braucht eine ,Zeit der Stille', in der man den Keim des Romans, in sich heranzieht und wachsen lässt." Den Akt des Schreibens vergleicht er mit dem Spielen eines Instruments. Er, der zehn Jahre lang eine Jazzbar betrieben hat, hat beim Schreiben nicht so sehr das Gefühl, einen Text zu verfassen, als vielmehr ein Musikstück zu spielen. Was ihn selbst wundert, er erklärt es damit, dass er nicht so sehr einen Text in seinem Kopf erzeuge, sondern "aus einer sinnlichen Empfindung heraus" schreibe.

Aber wie macht man das, dass aus einem Haufen Wörter ein literarischer Text wird? Dass sich die erwähnte musikalische Grundstimmung auf den Leser überträgt? Und wie geht Murakami in seinen einzelnen Werken vor? Wie hat er Themen verbunden, Motivstränge gelegt, Figuren gefunden? Dazu schreibt er kein Wort, ja es wirkt phasenweise, als wäre das ganze Buch um eine leere Mitte herum geschrieben, das Wunder des Schreibens selbst. Was ja bei einem, der seinen Beruf einem mystischen Moment verdankt - er spricht selbst zweimal von einer Epiphanie -, eine gewisse Stringenz hat.

Wer aber mehr erfahren will über das eigentliche Handwerk, der sollte vielleicht zum Kiosk gehen und fragen, ob sie da noch die aktuelle Ausgabe des Wiener Kultur-Magazins Fleisch haben. Darin haben sich Herausgeber Markus Huber und der Kulturjournalist Christian Seiler mit dem österreichischen Autor Thomas Glavinic unterhalten. Mehrere Tage lang, das ganze Heft hindurch. Schon klar, Murakami und Glavinic, das ist, als würde man von einer Arvo-Pärt-Séance in einem Kammermusiksaal auf ein krachledernes Jahrestreffen der Hells Angels irgendwo im dunklen Wald katapultiert. Die beiden Autoren könnten unterschiedlicher kaum sein. Von ihrer Physis. Von ihrem Verhältnis zur Öffentlichkeit. Vom Lebenswandel. Der eine steht jeden Morgen in aller Frühe auf und setzt sich an den Schreibtisch, der andere macht um diese Uhrzeit Dinge, an die er sich tags darauf nicht einmal mehr erinnern kann: Nacktfotos auf Facebook stellen, die Autorin Stefanie Sargnagel übelst beleidigen, Drogen aller Art. Glavinic hat ein irritierend großes Interesse an Unterweltsgestalten, er hat immer wieder ganz bewusst sein Lebens aufs Spiel gesetzt, ist mit Werner Tomanek, Österreichs schillerndstem Anwalt, eng befreundet und findet den Rechtspopulisten Heinz-Christian Strache okay.

Murakami spricht von Epiphanien, Glavinic nennt es "großes Geheimnis"

Bevor man sich darüber aber empört, sollte man unbedingt dieses entwaffnend ehrliche Gespräch lesen, schon allein wegen Glavinics rückhaltloser Offenheit, aber auch weil er so interessant und das heißt in dem Fall präzise über das Schreiben selbst spricht. Wäre hier Platz, müsste man all die Parallelen zu Murakami genauer untersuchen: Die wohl beiden gegebene innere Autarkie als Grundvoraussetzung des Schreibens. Das immer neue Überarbeiten immer neuer Versionen. Die seltsam säkulare Mystik der beiden - wo Murakami von Epiphanien spricht, schreibt Glavinic vom "großen Geheimnis", das man als Autor kennen müsse. Wo Murakami von musikalischer Grundstimmung als Grundformel für jeden Roman schreibt, spricht Glavinic von der "Atmosphäre", die einen guten Text ausmache, von dem, was in der DNA eines Romans eingelagert ist und untergründig und konstant durch den ganzen Text strahlt.

Allein schon die genaue Beschreibung, wie er das macht, wie er sich "in den Hinterkopf meiner Leser" schreibt, wie er etwa in seinem unheimlichen Roman "Die Arbeit der Nacht" (2006) das Gefühl der Unsicherheit erzeugt, indem er Motive wiederholt, verschiedene Ebenen einzieht, ganz bestimmte Wörter über siebenhundert Seiten immer wieder neu aufscheinen lässt, ist den Kauf dieses im Übrigen saukomischen, fulminanten Heftes wert.

Haruki Murakami: Von Beruf Schriftsteller. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont Buchverlag, Köln 2016. 240 Seiten, 23 Euro. E-Book 18,99 Euro.

Fleisch, Heft 3/2016: Wenn ich so weitermache, bin ich in zwei Jahren tot. Wien 2016, 5 Euro.

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