Belletristik:Kreative Buchführung

Belletristik: Jürgen Theobaldy: Rückvergütung. Roman. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2015. 148 Seiten, 19,80 Euro. E-Book 13,99 Euro.

Jürgen Theobaldy: Rückvergütung. Roman. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2015. 148 Seiten, 19,80 Euro. E-Book 13,99 Euro.

(Foto: Verlag)

Jürgen Theobaldys charmanter kleiner Angestelltenroman "Rückvergütung" erzählt von einem Biedermann auf amourösen Abwegen und der Absurdität der normalen Arbeitswelt.

Von Christoph Schröder

Ohne darum gebeten worden zu sein, tritt Renner bei der Delegiertenversammlung ans Mikrofon. Auf Fantasie komme es bei seiner Tätigkeit an, sagt er, "auf Einfallsreichtum, auf die Lust an unerwarteten Lösungen". Die Zuhörer sind überrascht. Denn Renners Arbeitgeber ist kein aufstrebendes Kreativunternehmen, sondern eine auf den ersten Blick grundsolide Krankenversicherung. Kein Revisor werde in seinen Bilanzen etwas Anstößiges finden, so hat er es beim Bewerbungsgespräch versprochen. Es wird sich noch herausstellen, wie recht Renner mit seiner improvisierten Rede haben sollte.

In der Schweiz, so lernen wir aus Jürgen Theobaldys Kurzroman "Rückvergütung", existiert ein sogenannter Risikoausgleichsfonds, aus dem Krankenversicherungen, die über einen überproportional hohen Anteil an betagten Mitgliedern verfügen, eine jährliche Ausgleichszahlung erhalten, eine "Rückvergütung" eben. Damit ist der recht simple Krimiplot schnell skizziert: Die Corsa, so der Name des Unternehmens, hat 2658 Versicherte im Seniorenalter frei erfunden, um aus dem staatlichen Topf die entsprechenden Rückvergütungen einzuziehen. Das Geld stecken sich die beiden Chefs in die eigenen Taschen. Als Renner das bemerkt, steckt er bereits zu tief in (vor allem amourösen) Verwicklungen, um auszusteigen. Das Frisieren der Bilanzen wird zu seiner einzigen Aufgabe.

Das gelingt ihm, vorsichtig gesagt, allenfalls mittelmäßig, weil Renner nun einmal einer jener klassischen, mittelmäßigen Helden der Angestelltenliteratur ist, dessen Bewusstsein Theobaldy auf charmante Weise einfängt. Liebesdurcheinander, Existenzangst, Konkurrenzdruck: Martin Walsers frühen Romanen wird hier ebenso Reverenz erwiesen wie Wilhelm Genazinos "Abschaffel"-Trilogie; aus der Ferne grüßt Robert Walsers "Gehülfe" in seiner hüpfenden, assoziationsreichen Sprachvergnügtheit, hinter der sich letztendlich die Sinnlosigkeit des gesamten Tuns verbirgt.

"Rückvergütung" schwankt zwischen der tiefen Ernsthaftigkeit der Arbeitswelt (die in ihrer verkrampften Steifheit wiederum selbst etwas Komisches hat) und der unfreiwilligen Absurdität eines aus dem Ruder gelaufenen Privatlebens. Frau, Kind und ein Heim. Das hat Renner, das ist übersichtlich. Was darüber hinausgeht, treibt ihn in den Kontrollverlust. Seine Ängste bleiben auch im Abenteuer mit einer Geliebten die eines Spießers: "Präservative waren kein Thema zwischen ihnen. Ohne Frage, Jeannine war eine gepflegte Frau, keine, die ihm etwas anhängen wollte. Aber es gab kleinere und kleinste Infektionen, die er, von ihm selber unbemerkt, übertragen könnte."

Verglichen mit den gegenwärtigen Romanen aus der neuen, selbstoptimierten Arbeitswelt, seien sie von Kathrin Röggla, Thomas von Steinaecker oder Philipp Schönthaler, wirkt "Rückvergütung" beinahe wie ein charmantes Relikt aus dem vorigen Jahrtausend. Die Abhängigkeitsmechanismen zeigen sich hier noch in klaren hierarchischen Strukturen. Dass die Corsa auffliegt mit ihrem Betrug, steht von Beginn an außer Frage. Wie die Aufdeckung zustande kommt, ist wiederum die letzte hübsche Pointe des Romans. Da mangelte es Renner dann doch an der nötigen Fantasie.

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