Begriff "Orient":Ein Klischee kehrt zurück

Dresden

Orientalisierende Architektur: Die ehemalige Zigarettenfabrik der Marke "Jenidze" in Dresden.

(Foto: pixelpainter47 - Fotolia)

Bauchtanz, Exotik, Rückständigkeit. Das war lange die westliche Fantasie vom "Orient". Dann kam der Begriff aus der Mode. Leider ist er jetzt wieder da.

Von Jörg Häntzschel

Es kam, wie es kommen musste: Kurz nachdem in Dresden die Pegida-Anhänger begannen, gegen die "Islamisierung des Abendlandes" zu demonstrieren, war auch das Morgenland wieder da, genauer: der "Orient". Jahrzehntelang war der Begriff unter den sprachlichen Antiquitäten verstaubt; er war ebenso überholt wie sein Gegenstand: die romantische Idee von der arabisch-muslimischen Welt, die in der Zeit zwischen Goethes "West-östlichem Divan" und "Lawrence of Arabia" den Menschen im Okzident den Kopf verdrehte. Das ist nicht zuletzt dem Literaturwissenschaftler Edward Said zuzuschreiben, der 1978 in "Orientalismus" dem Westen vorwarf, eine ganze Weltregion zur Fantasie aus Tausendundeiner Nacht zu reduzieren - und sich selbst im Kontrast kulturelle Überlegenheit zuzumessen.

Seitdem hatten sich die Begriffe Naher Osten und Mittlerer Osten eingespielt. Auch sie sind nicht neutral - schließlich definieren sie die Region nur über ihre geografische Lage aus europäischer Perspektive. Aber immerhin kommen sie ohne Kitsch und Überheblichkeit aus.

Ein Begriff, der für das Fremde, das ganz andere steht

Doch nun erlebt der "Orient" ein Comeback: Die FAZ spricht mit dem Schriftsteller Mathias Énard, der "den Orient schon lange gut kennt". In der Zeit schreibt Adam Soboczynski über die "unübersichtlichen Konflikte im Orient der letzten Jahrzehnte"; Karl-Markus Gauß schreibt dort über die Zuwanderer, sie kämen aus "Asien, Afrika, dem Orient". Und die Welt paraphrasiert den AfD-Mann Björn Höcke, der "durch die Masseneinwanderung aus dem Orient die Sicherheit ,blonder Frauen' in Gefahr wähnte".

Was da passiert, ist klar: Solange die arabische Welt ein ferner Schauplatz von Konflikten und Kriegen war, genügten die spröden geografischen Bestimmungen. Nun, da dessen Bewohner zu uns kommen, kehrt ein Begriff zurück, der für das Fremde, das ganz andere steht, der aus einer vorglobalisierten Welt stammt, als nicht Hunderttausende aus dem Morgenland ins Abendland aufgebrochen sind. Nur steht der Orient nicht mehr für Schlangenbeschwörer und Bauchtänzerinnen, sondern für Selbstmordattentäter und Traumatisierte in Secondhand-Klamotten. Um die Menschen und ihre Kulturen ging es in diesen Fantasien damals so wenig wie heute.

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