Beatles: 40 Jahre "Sergeant Pepper's":Der Tag, an dem die Welt endlich bunt wurde

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Nie zuvor war mehr Aufwand in eine Pop-Platte gesteckt worden, und nie mehr danach hat eine LP so viel Wirbel gemacht: Mit den Beatles als "Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" begann eine neue Zeit.

Willi Winkler

Der Kritiker der Zeit nahm die Neuerscheinung ganz besonders kritisch unter die Lupe, enttarnte sogleich die "neue Welle" dieser Musik, erkannte nur mehr einen "matten Abglanz früherer Größe" und gelangte schließlich zu einem vernichtenden Urteil: "Die Beatles proben den Abstieg."

Der Eingang zum Beatles-Museum in Liverpool. (Foto: Foto: dpa)

Aber so ist das mit dem Journalismus - immer auf der Höhe, vielleicht nicht der Zeit, aber doch des festen Urteils.

Es war dann ein anderer Kritiker, es war der Herausgeber des Spiegel, der die epochale Bedeutung der Beatles erkannte. "Sartre, Camus, Heidegger und Teilhard de Chardin", schrieb Rudolf Augstein zu Beginn des magischen Jahres 1967, "verändern die politisch relevante Gesellschaft weniger als die Beatles und der Minirock der Mary Quant." Dabei war die Platte noch gar nicht erschienen, die den Beatles die Unsterblichkeit sichert, jedenfalls soweit das im chronisch kurzatmigen Unterhaltungsgewerbe überhaupt möglich ist.

Die Beatles - für die Nachgeborenen braucht es den Hinweis, dass es sich dabei um die Herren John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison handelt, die allesamt aus dem nordwestenglischen Liverpool stammten und, das vor allem war ihre neue Welle, die Haare zum blanken Entsetzen von Eltern und Lehrern in die Stirn gekämmt trugen - die Beatles also brachten am 1. Juni vor vierzig Jahren eine Platte heraus, die keineswegs ihren Abstieg besiegelte, sondern die Band auf ihren frühzeitigen Höhepunkt beförderte.

"Sergeant Pepper's Lonely Hearts Club Band" führt bis heute sämtliche Bestenlisten in der unterhaltenden Musik an. Allenfalls "Pet Sounds", das Konzept-Album der Beach Boys, das für "Sgt. Pepper" als Vorbild diente, kommt ihm auch nur annähernd gleich.

Nie war bis dahin so viel Aufwand für eine Platte getrieben worden, nie war jemand auf die Idee gekommen, die Texte der meist eher schauderhaft schön-simplen Songs auf dem Umschlag abzudrucken, noch nie war selbst der Umschlag bereits als Kunstprodukt inszeniert worden: man konnte es aufklappen, drin fanden sich Fotos der Fab Four, außerdem Schnurrbärte aus Pappe für die aficionados, die die neueste Wandlung der Beatles mitmachen wollten.

Vorne drauf grüßten die Vier als Mitglieder einer bisher nicht bekannten Band der einsamen Herzen. Sie waren umgeben von einem Sammelsurium aus ganz- und halbseidener Prominenz: C.G. Jung mit seiner hochgeschobenen Brille war dabei, der bei den Hippies gerade in Mode kam; Marlon Brando und Bob Dylan als Helden der Jugendbewegung; der große Hollywood-Komiker W. C. Fields und der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen, in den McCartney zu jener Zeit völlig vernarrt war; die alterlose Sexbombe Mae West und David Livingstone, der Entdecker der Victoria-Fälle, aber auch Stuart Sutcliffe, mit dem die Beatles noch in Hamburg aufgetreten waren, wo er die Band aber verließ und bald an einer Hirnblutung starb.

Natürlich durfte Timothy Leary nicht fehlen, früh schon ein besseres Versuchskaninchen für LSD, als Professor davongejagt und dadurch berühmt geworden und inzwischen Prophet für Rausch und Aussteigen. John Lennon hätte gern auch noch Jesus unter diesen Kirchenvätern versammelt, doch konnte ihn der Manager Brian Epstein noch einmal davor bewahren; Lennons beiläufig geäußerter Satz, die Beatles seien inzwischen "populärer als Jesus" hatte die leicht erregbaren amerikanischen Fans veranlasst, Beatles-Platten mit der Dampfwalze zu zermalmen und für alle Fälle statt der echten wenigstens Beatles-Puppen zu verbrennen.

An Puppen fehlte es auch auf diesem Cover nicht: Neben den Beatles standen ihre wächsernen Abbilder aus dem Kabinett von Madame Tussaud. Davor lag ein weiteres Püppchen mit der Aufschrift "Welcome The Rolling Stones" (die befreundete Gruppe revanchierte sich mit einem Gegengruß auf der Platte "Their Satanic Majesties Request"). Die Beatles gab es außerdem als Schriftzug aus Blumen, hinter denen, jedenfalls in der Studiodekoration, Marihuanapflanzen ganz besonders üppig ins Kraut schossen.

Wenn es ein Manifest jener lang vergangenen Kulturrevolution in den Sechzigern gibt, dann ist es diese Platte. Sie war von den Blumenkindern in San Francisco beeinflusst, von Bob Dylans erzählenden Songs, von der neusten Mode in der Musik, dem indischen Raga, und sie war dabei so unpolitisch und unschuldig, wie Pop nur sein konnte.

Dass sich sechs Wochen vor dem Erscheinen von "Sgt. Pepper" in Griechenland Militärs mit dem Segen der Nato an die Macht geputscht hatte, dass vier Tage nach dem Erscheinen die Spannungen im Nahen Osten im Sechs-Tage-Krieg entladen würden, merkte man der Platte nicht an. Sie feierte die ewige, leicht berauschte Jugend, die sich durch extreme Weltläufte noch lange nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Eine tolle Zeit, versprach das Cover, werde allen garantiert, und die schnauzbärtigen Herren in ihren indisch-bunten Phantasieuniformen standen bereitwillig dafür ein. Vielleicht waren sie trotz Harrisons Ausflug nach Indien doch viel heimatnäher als sich das der Kulturwissenschaftler in seinen tiefschürfenden Analysen so zusammenreimt. Ringo hatte seine halbe Kindheit malad im Ferienlager verbracht, und auch die anderen kannten als Nachkriegskinder nichts Schöneres, als die Sommer in den englischen Seebädern zu verlungern. Dort gab es immer Bands, die mit Pauken und Trompeten zur Unterhaltung des Publikums aufspielten, belächelt vielleicht als Rentnermusik, aber auch geschätzt als verlässliches Element in der rasend sich verändernden Zeit.

Zwar ist Popmusik eine besonders verderbliche Ware, aber die der Beatles ist davon ausgenommen. Daran ist "Sgt. Pepper" schuld. Noch zwei, drei Jahre zuvor hatten die Kritiker die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, sich über diese "Schreihälse" und deren platte Texte und vor allem über die Teenager ereifert, die den "Pilzköpfen" so begeistert zukreischten, dass sie Verstand und Jungfräulichkeit gleich auf einmal zu verlieren drohten, wenn John und Paul bei "She Loves You" zum Refrain das "Uuuh" besonders vielversprechend einsogen.

Das war die "Beatlemania" und machte 1963/64 erst England, dann Amerika, dann die ganze übrige westliche Welt verrückt. Walter Ulbricht, der als Humorist nie in seiner ganzen Größe gewürdigte legendäre SED-Vorsitzende, verkündete 1965 auf dem 11. Plenum des ZK der SED, dass die DDR nicht gedenke, jedes (und das hat man sich im originalen Sächsisch zu denken) "Yeah, Yeah, Yeah" aus dem Westen mitzumachen. Die Musik aus Liverpool verbreitete sich dennoch auch hinter dem Eisernen Vorhang.

Die Beatles waren eine Live-Band, die zunächst nur Klassiker nachspielte (man könnte sie auch Gassenhauer oder Schlager nennen). Ihre Musik war in den langen Nächten im Hamburger "Kaiserkeller" entstanden, Rock'n'Roll mit Lederjacke und immer laut genug, um die besoffenen Matrosen zu übertönen, die von der Reeperbahn hereingestolpert kamen. Ihr Manager hatte zunächst größte Mühe, sie in London zu vermitteln, weil Gitarrenbands angeblich "erledigt" waren.

Selbst ihre ersten Platten wurden praktisch live aufgenommen; die Stunden im Studio waren teuer, und zwischen den Auftritten blieb ohnehin wenig Zeit für musikalische Experimente. Die Aufnahmetechnik bei "She Loves You" und "I Want to Hold Your Hand" brilliert in steinzeitlicher Schlichtheit, Tricksereien mit Hall-Effekten oder Verzerrer waren noch kaum möglich.

Wenn vor allem die weiblichen Fans in Verzückung gerieten, wenn John Lennon und Paul McCartney haareschüttelnd gemeinsam in ein Mikro sangen, dann war das ein willkommener Nebeneffekt der bescheidenen technischen Möglichkeiten: Es gab noch kaum mehr als vier Tonspuren für alle Stimmen und Instrumente. Im Sommer 1966 hatten sie in San Francisco ihr letztes Konzert gegeben. Die Fans wussten es nicht, aber die Beatles wollten sich nicht mehr auf Tourneen verausgaben und sie dachten an eine Musik, die sich nicht mehr unbedingt auf der Bühne reproduzieren ließ.

Mit Hilfe ihres Tonmeister George Martin entwickelte vor allem McCartney einen neuen Sound, der aus einer Popband für Teenies ein Orchester für Erwachsene machen sollte. In London brauste Mitte der sechziger Jahre die Avantgarde. Neue Bands wie Pink Floyd und Procol Harum entstanden. Ein Schwarzer mit einem ungeheuren Afro trat auf die Bühne und spielte noch lauter Gitarre als selbst Pete Townshend von den Who, der für seinen ungeheuren Verstärkerkrach berüchtigt war. Jimi Hendrix steckte am Ende seines Auftritts sein Instrument gleich in Brand und tat das mit solcher Hingabe, dass er wegen Brandverletzungen ins Krankenhaus musste.

Allen Ginsberg, der sich eben in Prag zum "Frühlingskönig" hatte krönen lassen, trat bei einem internationalen Lyrikfestival auf und wurde als enthemmter Sex-Botschafter gefeiert. In den Galerien trieb sich eine japanische Konzeptkünstlerin namens Yoko Ono herum und buhlte um Aufmerksamkeit. Die Ordnungsmächte konnten dem ganzen buntscheckigen Treiben natürlich nicht tatenlos zusehen: Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones wurden wegen vermeintlicher Drogenexzesse verhaftet. Alle hatten eine tolle Zeit.

Von all dem findet sich ein Niederschlag auf der Platte der Beatles. Die vier Musiker waren nach dem letzten Konzert in alle Himmelsrichtungen ausgeflogen. Lennon hatte in einem Film mitgewirkt, McCartney die Musik für einen anderen geschrieben, Harrison sich in Indien auf der Sitar unterweisen lassen. Ringo tat, was er am liebsten tat, er daddelte zu Hause mit seinem neuesten technischen Spielzeug herum.

Längst gab es Trennungsgerüchte, zumal schon ewig keine neue Platte erschienen war. Um so größer dann die Überraschung, als "Sgt. Pepper" herauskam, diese Symphonie der Jugendbewegung, erdacht und gespielt von der Band, die sie weiter anführen wollte.

Die titelstiftende Band bringt wie ein Kurorchester verschiedene Stücke zur Aufführung, allerdings sind es Songs, die alles Pop-Schlichte der Beatles-Anfänge weit hinter sich gelassen haben. McCartneys altersheimelnder Pseudo-Tango "When I'm Sixty-four" hat nichts mit Harrisons "Within You Without You" zu tun, die rührselige Geschichte von "She's Leaving Home" orientiert sich musikalisch eher an Franz Schubert als an Chuck Berry, während "Lucy In the Sky With Diamonds" - ja, was eigentlich? - eher ein surrealistisches Traumgedicht zwischen Leierkasten und Ringelspiel ist.

Das Band-Ganze ist in seine Einzelteile zerfallen, ergibt in dieser Disparität aber mehr als je zuvor. Das wird vor allem beim Abschlusssong "A Day In the Life" deutlich, für den Lennon und McCartney zwei unfertige Stücke zusammenleimten und mit einem 40-köpfigen Streichorchester zu ihrem größten Werk vereinten. Die Musiker sollten Schnurrbärte, Brillen und Zigarren aus Plastik tragen und sich die Tonleiter hocharbeiten. Am Ende ist dann ein mehrfach verstärkter Klavierton zu hören, der den rasenden Taumel, in den sich das Stück steigert, wie ein Grabdeckel schließt.

Und dann die Drogen. Natürlich haben sie es immer bestritten, dass "Lucy in the Sky with Diamonds" eine kodierte LSD-Hymne sein sollte, aber genau das war der Song. "Zeitungstaxis laufen das Ufer an und sind bereit, dich fortzuführen...", sang John Lennon schmeichelnd in den Hallraum von Abbey Road - ja, wohin denn sonst als in den halluzinogenen Rausch!

Der "Sommer der Liebe", von dem im Rückblick so schalmeiensüß geschwärmt wurde, war vor allem ein Drogensommer. Durch die Beatles und die anderen britischen Musiker wurden Drogen Gemeingut. Plötzlich waren sie überall, galten als "bewusstseinserweiternd" und luden dazu ein, damit zu "experimentieren".

Wie noch jede Künstlergeneration konnte auch die Liverpooler Avantgarde Drogengenuss in kreative Energie ummünzen; für die Fans war es nur ein Rausch mit den bekannten Folgen. (Die Musiker blieben selber nicht davon verschont: John Lennon musste sich einer schmerzhaften Entziehungskur aussetzen, Ringo Starr verbrachte später Jahre im Vollrausch.)

In New York hatten sie mit Bob Dylan gekifft und in Los Angeles mit dem Schauspieler Peter Fonda noch stärkere Sachen genommen; sein Zahnarzt hatte Paul McCartney LSD gegeben. Mit den Pillen, die allabendlich in den Clubs in London eingeworfen wurden, wäre jede Apotheke gut ausgerüstet gewesen. Die Musik verriet das alles, aber bewahrte hinter all dem technischen Schnickschnack eine rührende Unschuld, die Einfachheit einer historischen Kappelle, als die sich die mit allen Wassern der Moderne gewaschenen Musiker ausgaben.

Paul McCartney mochte der Zermonienmeister von "Sgt. Pepper" sein, es war aber John Lennon, der am meisten aus der Band herausstach, die jetzt keinen Wert mehr auf die bisher gewahrte Uniformität legte. Lennon trug eine Nickelbrille, die ihn als Intellektuellen auswies und weit über das Pop-Gewerbe hinauswirkte. Wie die bunten Kleider der Band machte auch diese Brille sofort Mode. "I'd love to turn you on", sang Lennon, und wie hätte man ihm nicht aufs Wort folgen können? In Berlin trug sie der Student der Germanistik Fritz Teufel, dem sie fortan inner- und außergerichtlich bei der Wahrheitsfindung helfen sollte. Popmusik hatte fortan mit Intelligenz zu tun.

Insofern hatte der Kritiker der Zeit doch Recht, denn mit "Sgt. Pepper" begann das Ende der Beatles mit ihrem Aufstieg zur Kunst. "Roll Over Beethoven", hatte Chuck Berry zehn Jahre zuvor verlangt - und bring Tschaikowski schon mal bei, dass es eine ganze neue Musik gibt, die euch die Ohren wegbläst. Die Beatles drehten die Richtung um und fanden jetzt die Anerkennung der Kunstkritik. Traurige Folgen, später ausgiebig zu besichtigen: Pink Floyd, Emerson, Lake & Palmer, Klassik-Rock, Genesis, todlangweilige Schmandmusik, mit dem man sich beim Musiklehrer dafür entschuldigte, dass man sich in die Unterhaltungsniederungen begeben hatte.

Ach ja. Die Zeit von Friede, Freude und einem leichten, nach Patschuli duftenden Drogennebel war denn am 1. Juni 1967 auch schon wieder vorbei. Am 2. Juni kam der persische Schah nach Berlin, und ein Polizist erschoss den Studenten Benno Ohnesorg. Aus der musikalischen Spirale am Ende von "A Day In the Life" wurde eine Spirale der Gewalt.

Das Märchen von Sergeant Pepper und seiner Band für die einsamen Herzen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer draußen an den Empfangsgeräten, war natürlich eine Geschichte aus der guten alten Zeit, als Musik noch in Vinyl gepresst und mit einem Diamanten abgespielt wurde, der die Rillen eselsgeduldig bis zur letzten abtastete. Die alten Plattenspieler verfügten nicht einmal über einen automatischen Heber, so dass der Tonarm zum Schluss in der Auslaufrille hängen blieb und immer weiter diese Endlosschleife dudelte, bis er von Hand gehoben entfernt wurde.

In heutigen Pressungen kann man es nicht mehr hören, aber als kleine technische Spielerei fand sich dort einmal ein zwei Sekunden währendes akustisches Durcheinander, dem allerlei Geheimbotschaften zu entnehmen waren. Und wenn man dann beim Hören auch noch einen hochpreisigen Jagdhund neben sich auf der Pferdedecke vor dem Kamin liegen hatte, jaulte der plötzlich auf, weil nur er hörte, was einem Menschenohr entgehen musste: einen Lockruf mit 15 Kilohertz. Die tolle Zeit war schließlich allen versprochen worden.

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