Bayreuther Festspiele:Bayreuth für Dummies

Am Donnerstag beginnen die Richard-Wagner-Festspiele. Warum wollen da alle hin? Was ist eigentlich dieser "grüne Hügel"? Und wieso sind die Schweißflecken der Kanzlerin so wichtig? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von SZ-Autoren

Warum wollen da alle hin?

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(Foto: Tobias Hase/dpa)

Natürlich wollen da gar nicht alle hin. Aber viele. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis etwa. Oder die Bundeskanzlerin, sehr regelmäßig sogar (das Bild zeigt sie bei den Festspielen 2017). Außerdem Jens Spahn, Dorothee Bär, Markus Söder, Katrin Göring-Eckhardt und Katharina Schulze, Schauspieler Udo Wachtveitl und Harald Krassnitzer, Sportler und andere wichtige Leute. Und gut möglich, dass auch Thomas Gottschalk wieder nach Bayreuth kommt. Und wenn Gottschalk, Meister der Massenunterhaltung, irgendwo hingeht, dann kann das so langweilig nicht sein. Dabei handelt es sich bei den Festspielen um Inszenierungen stundenlanger Wagner-Opern, welche die Zuschauer auf sehr, sehr unbequemen Holzstühlchen in einem unklimatisierten Raum rezipieren, um nicht selten am Ende "Buh!" zu rufen. Aber, das muss man auch sagen, die Tickets sind auch dieses Jahr schon wieder ausverkauft. Das liegt zum einen sicher an der Exklusivität der Events und dem Ruf der schrägen Wagner-Familie, zum anderen auch am Mythos Wagner selbst. Wer dessen Opern liebt, spürt im Bayreuther Festspielhaus noch immer dessen Geist und kann im alten Holz den Duft seines Genies erschnüffeln.

Was ist der Grüne Hügel?

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(Foto: dpa)

Wer sich das Festspielhaus auf einem grellgrünen, halben Ball stehend vorstellt, also auf der Art Hügel, über die im Fernsehen die Teletubbies wanken, wird enttäuscht. Der "Grüne Hügel" ist keine eigenständige Erhebung, sondern südlicher Teil eines Höhenzugs, der sich nördlich von Bayreuth erhebt. Und grün ist es vor den Türen des Festspielhauses auch nicht, sondern eher sehr, sehr bunt. Das liegt an den Blumenbeeten, die so übergenau abgezirkelt und gepflegt sind, dass sie künstlich wirken, oder zumindest wie das Resultat einer Zwangsstörung. Warum also der Name? Richard Wagner hat ihn selbst gewählt, als Erinnerung an jenen grünen Hügel in Zürich, auf dem Wagner einst im Gartenhaus der Villa Wesendonck residierte - und eine Liebelei mit der Gattin des Hausherrn, seinem damaligen Mäzen, begann. Für sie, die Dichterin Mathilde Wesendonck, schrieb Wagner damals die "Wesendonck-Lieder", außerdem entstanden in Zürich Teile des "Rings der Nibelungen" und von "Tristan und Isolde". Als die Stadt Bayreuth ihm die Anhöhe für sein Festspielhaus schenkte, nannte Wagner sie spontan vor Freude "mein grüner Hügel".

Versteht man die Handlung mit dem Reclam-Heft?

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(Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath)

Man "versteht" rein gar nichts von der Handlung, den Konflikten des Personals im "Tannhäuser" - nicht einmal mit dem Reclam-Heft in der Hand. Weil es da kaum um Handlung geht. Späte Pariser, frühe Dresdner Fassung? Venusberg und Wartburg, Tannhäusers und Wagners verquere Frauen(bilder), Sängerwettstreit und Kampf um Liebe und Lyrik, der herzerweichende Pilgerchor, die verunglückte Erlösung des Rompilgers Tannhäuser. Alles klar! "Erörtert" werden die letzten Rätsel um Leben und Tod, Schuld und Sühne, Kunst und Menschsein, Seelenhinter- und abgründe. Wie soll man so etwas wie eine Story "verstehen" wollen? Obwohl: Durchs Inhalt-Lesen lassen sich zumindest physische und metaphysische Koordinaten zusammenreimen, erahnen. Und dann kann man mitten im Klangstrom sein, ohne "verstehen" zu müssen. Hörübung tut gut, eine Empfehlung: Vor der Premiere der Ouvertüre lauschen, sie drei bis fünf Mal inhalieren, und schon kennt man die bezwingenden Motive auswendig.

Warum überhaupt Bayreuth?

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(Foto: dpa)

Weil Bayreuth nicht besonders gut ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen ist. Das ist kein Witz. Als Richard Wagner einen Ort für seine Festspiele suchte, wollte er raus aus den städtischen Kulturbetrieben. Wer seine sowieso allem Großstadtfirlefanz überlegenen Werke sehen wollte, der sollte sich richtig dafür entscheiden müssen, sprich: die schwierige Anfahrt an einen Ort auf sich nehmen, wo außer Wagner nichts los ist. Das funktionierte bestens, die ersten Besucher fanden vor Ort oft nicht mal ein Hotelbett und nichts zu essen. Geändert hat sich daran nicht viel. Viele Festspielgäste übernachten privat bei Bayreuthern, und die örtliche Gastronomie gilt bis heute nicht als kulinarische Offenbarung. In den ersten Jahrzehnten sollen ganz hartgesottene Wagnerianer sogar zu Fuß nach Bayreuth gelaufen sein, damit es sich noch mehr nach Pilgerfahrt mit Bußefaktor anfühlte.

Kann man dafür Karten kaufen?

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(Foto: Regina Schmeken)

Ja. Trotzdem stimmt der Mythos noch, dass man auf Bayreuth-Karten einige Jahre warten muss. Früher sollen es sogar bis zu zehn gewesen sein. Den Bestellwunsch muss man jeweils ein Jahr im Voraus anmelden. Wer es einmal vergisst, fliegt aus dem Bestellsystem und darf wieder von vorn anfangen. Trotzdem ist die Situation besser geworden, seitdem der Bayerische Rechnungshof vor ein paar Jahren die Festspiele ermahnt hat, nicht so viele Karten über interne Kanäle zu vergeben. Seitdem machen zumindest die Schwarzmarktverkäufer auf dem Grünen Hügel kein gutes Geschäft mehr, denen wohlhabende Wagnerianer aus Übersee früher auch mal das Vierfache der regulären Eintrittspreise ins Portemonnaie stopften. Allerdings beruhen die langen Wartezeiten auch auf einem statistischen Effekt: Die Neuinszenierungen sind deutlich stärker überbucht als bereits länger laufende Produktionen. Die 32 Vorstellungen in diesem Sommer sind prinzipiell bereits alle ausverkauft, es kommt aber vor, dass Karten zurückgegeben werden. Die kann man spontan an der Tageskasse kaufen.

Und wenn man keine Karten mehr bekommen hat?

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(Foto: imago stock&people)

Vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Man spart sich immerhin Verkehrschaos und im schlimmsten Fall Schwitzen bei 30 Grad im schicken Fummel. Vielleicht ist es zu Hause auf dem Sofa eh viel angenehmer. BR Klassik etwa überträgt ab 16 Uhr die Premiere des "Tannhäuser" per Video-Livestream. Auch auf 3Sat kann man die Eröffnungspremiere verfolgen, allerdings erst am Sonntag, 27. Juli, ab 20.15 Uhr. Und im Radio überträgt MDR Kultur ab 19.05 Uhr live vom Grünen Hügel. Als Ouvertüre gibt es bereits ab 18.05 Uhr ein Bayreuth-Spezial u.a. mit Künstlern der Festspiele.

Wie wurden die Richard-Wagner-Festspiele so berühmt?

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(Foto: REUTERS)

Richard Wagner hatte Zeit seines Lebens gegen große Widerstände zu kämpfen, seine Musik war vielen zu avantgardistisch, die Themen seiner Opern allzu krude. Die Jahrzehnte haben dann für Wagner und seine Sache gearbeitet. Heute spüren nur noch Komponisten das Avantgardistische an seinen Klängen, während die narkotische Wirkung sogar Menschen in ihren Bann zu ziehen vermag, die mit klassischer Musik sonst nichts anfangen können. Auch die politisch-soziale Sprengkraft seiner Thesen und Themen ist mittlerweile einer historischen Gleichgültigkeit gewichen, die dem Festivalbetrieb sehr gut zu bekommen scheint. Nur noch wenn ein Regisseur wie Frank Castorf im Bayreuther "Ring" versucht, diese wiederzubeleben, gibt es so richtig Ärger. Und schließlich und endlich wirkt der genius loci: Bayreuths Festspielhaus ist nach Wagners Plänen gebaut und der überdeckelte Orchestergraben seine ureigenste Erfindung.

Warum ist so viel von Schweißflecken der Kanzlerin und Skandalen die Rede?

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(Foto: Florian Peljak)

Richard Wagner hatte gewollt, dass das Festspielhaus den ernsthaften Jüngern seiner Musik vorbehalten sein sollte. Doch seit der Eröffnung 1876 saßen auch die Mächtigen Europas in ihren Logen die Vorstellungen ab, selbst wenn sie Wagners Musik verabscheuten. Und so war die Öffentlichkeit schon immer auch am Kleinen der Großen interessiert, wie an den Schweißflecken auf dem Kleid der Kanzlerin. Ab und an passiert immer wieder etwas, das eher unkünstlerische Schlagzeilen macht. Im vergangenen Jahr etwa sagte der Tenor Roberto Alagna dreieinhalb Wochen vor Eröffnung die Rolle des "Lohengrin" ab - er habe keine Zeit gehabt, sie anständig einzustudieren. Auch wenn es schon immer Intrigen und Skandale am Hügel gab, fragen sich die ernsthaften Jünger inzwischen ständig: Wie kann es sein, dass Wagner-Erben schalten und walten können, wie sie wollen, obwohl doch die Festspiele mit immensen Staatsgeldern gefördert werden? Ein echter Erbhof wäre längst pleite.

Ist es noch ein Problem, dass Richard Wagner Antisemit war?

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(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Marcel Reich-Ranicki sagte einmal auf die Frage, wie er es mit dem Antisemitismus seines Lieblingskomponisten halte: "Es hat viele Antisemiten unter den Komponisten gegeben, aber nur einen einzigen, der Tristan und Isolde und die Meistersinger geschrieben hat." Und so muss man festhalten, dass auch der Antisemitismus des Meisters dem Bayreuth-Hype keinen Abbruch tun kann. Eigentlich erstaunlich, dass sich die Festspiele dann lange selbst schwer taten mit ihrem Erbe, und das, obwohl am Wagnerschen Antisemitismus eigentlich kein Zweifel bestehen kann. Um nur zwei Details zu nennen: 1850 veröffentlichte Wagner das hetzerische Pamphlet "Das Judenthum in der Musik", und 1881 wünschte er sich dann, halb im Ernst, wie Cosima Wagner notiert, "es sollten alle Juden in einer Aufführung des Nathan verbrennen". Wer in jüngster Zeit mal das Bayreuther Festspielhaus umrundet hat, konnte immerhin bemerken, wie sich eine Ansammlung von Stelen in den Hügel drückt. Titel der kleinen Gedenkstätte: "Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die Juden 1876 bis 1945".

Wie reagieren die Bayreuther auf den Bayreuth-Hype?

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(Foto: dpa)

Die Einheimischen spielen bei den Festspielen eher eine Statistenrolle. Besser gesagt: alle Statistenrollen. Die Männer, die den toten Tristan tragen, die Krokodile in "Siegfried" - das alles sind Bayreuther, die ihren Sommerurlaub voller Begeisterung auf der Festspielbühne verbringen. Davon abgesehen köchelt die Wagner-Euphorie der Bayreuther auf kleiner Flamme. Das mag daran liegen, dass die weltentrückten Werke Wagners und die erdverbundenen Gemüter der Oberfranken nicht so gut zusammenpassen. Wirklich verwurzelt sind die Festspiele in der 70 000-Einwohner-Stadt ohnehin nicht. Wie Zugvögel reist der Großteil der Mitwirkenden im Frühsommer an, im Juli und August kommen dann die Festspielgäste, sorgen für Umsatz in der Gastronomie und für eine sehenswerte Bettenstatistik. Nach der letzten Vorstellung verschwinden sie alle wieder - und überlassen Bayreuth sich selbst. Was den Bayreuthern absolut recht ist.

Wer war eigentlich Richard Wagner?

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(Foto: dpa)

Nicht leicht zu beantworten, jenseits der biographischen Datenmenge (zwischen 1813-1883). Er war jedenfalls nicht nur der folgenreichste Komponist des 19. Jahrhunderts, sondern auch oberster Geheimnisträger deutscher Romantik und Befindlichkeit. Politischer Berufsexilant, dabei Schaffensopportunist. Genialer Schnorrer bei König Ludwig zwo. Antisemit, der 1850 "Das Judenthum in der Musik" veröffentlichte. Religionsgründer der bis heute weltweit agierenden Wagnerianer und leider auch, unter Anleitung von Frau Cosima, der fanatischen Bayreuthianer. Sich ohne Ende rechtfertigender Opernrevolutionär, Erfinder des "Musikdramas", mythischer Botschaften der Welterklärung und Menschenverbesserung. Wagners Sogwirkung: umstritten, doch ungebrochen - dank seiner Zaubermusik, des original erhaltenen Festspielhauses und eines Familienclans im hochherzigen Dauerkampf gegen sich selbst und die schnöde Welt.

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