Bayerische Staatsoper:Süßes Gift

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Romeo Castellucci, einer der aufregendsten Regisseure unserer Zeit, inszeniert Wagners "Tannhäuser" in München

Von Egbert Tholl

Romeo Castellucci kommt haargenau pünktlich zum Gespräch, quasi mit dem Vorrücken des Sekundenzeigers. Er trägt ein schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Brille, rote Socken, schaut aus wie ein Regisseur der Nouvelle Vague, allerdings raucht er nicht. Er ist ungeheuer präzise. Obwohl er kaum Deutsch spricht, spürt er genau, wo die Übersetzerin nicht alles genau so übersetzt, wie er sich das vorstellt. Er ist aber viel zu höflich, sie das spüren zu lassen, und redet sich darauf hinaus, sein Englisch sei zu schlecht für ein vernünftiges Gespräch, Hilfe also nötig. Stimmt nicht. Es geht auch ohne, und falls es irgendwo hakt, muss man halt mit Italienisch, Latein und Aroma sich behelfen. Wobei Aroma ja unpräzis wäre.

1981 gründete Romeo Castellucci, geboren 1960 in Cesena, die Theater-Compagnie Societas Raffaello Sanzio. Spätestens seit Castellucci mit dieser 2008 zur Eröffnung des Festivals in Avignon seinen Dante-Dreiteiler "Inferno. Purgatorio. Paradiso" herausbrachte, ist er ein Star der Freien Theaterszene. Nein, anders gesagt: Nach Dante war er auf einmal auch für Festivals im deutschsprachigen Raum wichtig. In Frankreich und Italien war er schon weit früher bekannt; meinen ersten Castellucci sah ich 1998 in Avignon, damals zeigte - schmerzhafter Vorgang - eine Minikamera das Innere eines Darstellerschlunds. Doch was damals, bei "Giulio Cesare" möglich war, geht nun wohl schlecht: An diesem Sonntag hat Castelluccis Inszenierung von Wagners "Tannhäuser" an der Bayerischen Staatsoper Premiere. Und Opernsänger wie Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Christian Gerhaher (Wolfram von Eschenbach) und Anja Harteros (Elisabeth) mögen keine Kamera im Hals.

Castellucci hat vor drei Jahren die aufregendste Operninszenierung seit langem gemacht, als er bei den Wiener Festwochen Glucks "Orfeo" mit Bejun Mehta inszenierte. Auf der Bühne stand damals nur Mehta als Orfeo, dessen Weg in die Unterwelt eine lange Kamerafahrt ins Krankenhaus war, in dem eine reale Wachkoma-Patientin lag. Die war seine Eurydike, die er ins Leben zurückholen wollte. Das Reelle drang in die Kunstform Oper ein, die so oft Realität widerzuspiegeln versucht.

Romeo Castellucci hat ein großes Interesse an der Fragilität des Menschen. Das kann bedeuten, dass er Unfälle nachstellt, der Notarzt kommt und ein Mensch stirbt - "Le Metope del Partenone" bei der Wiesbaden Biennale 2016. Das kann bedeuten, wie in "On the Concept of the Face, Regarding the Son of God" (herausgekommen bei "Theater der Welt" 2010), dass er detailliert des Dilemma eines inkontinenten Alten darstellen lässt. Fragt man ihn nach seinen klinischen Studien auf dem Theater, dann lautet Castelluccis Antwort: "Ich bin nicht imstande zu sagen, was gut oder schlecht sei. Künstler sind nicht dazu da, Antworten zu geben." Aber eine Antwort gibt er dennoch. "Wir sind geboren als Zuschauer. Wir schauen ständig irgendwo zu." Diesen Vorgang des Zuschauens wolle er bewusst machen. Und schon ist man bei Wagner: "Bei ihm war der Zuschauer vollständig beteiligt. Wagner kann diese Intimität haben, die auch unangenehm sein kann. Theater war für ihn nicht einfach eine Show." Das, die Einbindung des Betrachters, sei für ihn das Moderne an Wagner. Diese Einbindung ist für Castellucci keine rein intellektuelle. Er wolle den Körper des Zuschauers erreichen.

Tatsächlich gibt es einige Arbeiten von Romeo Castellucci, nach denen man sehr lange braucht, bis man das Innenleben des eigenen Körpers wieder in Ordnung gebracht hat. "On the Concept of the Face" etwa funktionierte im Kopf nur so weit, als man das, was man sah, unmittelbar zur eigenen Lebenswelt in Bezug setzte. Die Wirkung im Körper, über die man ja nicht nachdenken kann, war noch viel, viel stärker. Aber warum macht er nun den "Tannhäuser"? Wegen Wagner. Wagner hat er schon einmal 2011 inszeniert, den "Parsifal" in Brüssel. "Wagner schafft Themen, die wesentlich tiefgründiger sind, als sie zunächst wirken. Gleichzeitig hat er ein Gift (,narcotico'), eine gefährliche Dimension. Diese Widersprüche machen ihn auch heute aufregend." Wagners Werk sei ein Spiegelbild für alle Menschen, auch weil er jenseits der großen Themen eine persönliche Beziehung zu jedem Zuschauer herstelle. Mmh, denkt man sich, was kümmern mich irgendwelche Ritter, die auf der Wartburg vor Hunderten von Jahren einen Sängerstreit ausfechten. Sängerstreit!

Na gut, der Sängerstreit ist auch nicht Castelluccis ursächliches Interesse. Die Figur Tannhäusers schon viel mehr, der Umstand, dass dieser kaum zu greifen sei, nicht in die eine, noch in die ander Welt passe. Er sei ein Outsider, der gleichzeitig von jeder dieser beiden Welten gebraucht wird, sei es Venusberg oder Wartburg. "Er repräsentiert das principio vitale."Aber auch wieder voller Gift, weil er halt nicht passt, nicht hierhin, nicht dorthin. Er finde keine Rettung, jedenfalls nicht auf dieser Welt. Ha! Ist das nun Religion? "Nein, Religion ist nur eine Ausrede. Das Stück ist eine wundervolle Tragödie, Religion wäre nur eine Falle, mehr nicht. Das Stück zeigt, wir können in dieser Welt nicht leben."

Das ist das grandiose Paradox der Arbeiten des Italieners: Oft spielt in ihnen Religion eine entscheidende Rolle. Trost ist sie nie. Hört er den Pilgerchor im "Tannhäuser", gibt er zu, paralysiert zu sein, wie von einer Erinnerung an etwas fast Vergessenes. Es gehe immer nur um die Sache, die fehlt. Grundsätzlich. "Das Fehlen ist die Quintessenz des Sehnens. Also des Lebens." Gleichzeitig verfügt Castellucci über ein erfrischende Trockenheit. Tannhäuser geht nach Rom, erhält keine Absolution, "also fehlt was". Er stirbt - "und es gibt keinen Grund dafür". Es sei eine Transzendenz. "Transzendenz" ist ein Wort, das ihm außerordentlich gut gefällt, auch ein bisschen deshalb, weil es im Deutschen wie im Italienischen fast das gleiche Wort ist. Er liebt Worte, sagt fabelhafte Sachen. "Die griechische Tragödie wurde geboren, als die Götter starben." Mithin begann eine Gemeinschaft, deren säkularer Mittelpunkt die Kunst ist, vor dem Christentum. Kunst schafft Gemeinschaft, sie ist "Gift und Medizin zugleich". "Der Künstler macht Probleme. Und wundervolle Geschenke." Ja!

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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