Baukultur:Paartherapie

Matinée des Bundespräsidenten zu Ehren der Architekten

Der Bundespräsident Joachim Gauck mit den Architekten Gottfried Böhm (links) und Meinhard von Gerkan.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Politiker sind gut darin, Architekten zu beschimpfen. Bundespräsident Joachim Gauck dagegen feiert mit ihnen im Schloss Bellevue.

Von Gerhard Matzig

"So einen Tag", sagte Joachim Gauck am Freitag in Berlin, "hat das Schloss Bellevue noch nicht erlebt. Noch nie hat es hier eine solche Zusammenkunft gegeben, von Architekten und Baufachleuten, von Architekturkennern und Kritikern." Und dann sieht er auf von seiner Rede, schmunzelt dieses sowohl präsidiale wie auch pointensichere Gauckschmunzeln, um lakonisch zu ergänzen: "So viele Zusagen gab es auch noch nie." Gelächter. Am Tisch 2 sagt jemand: "Das lässt tief blicken."

Warum also folgen 150 namhafte Architekten und sonstige Baukulturmenschen aus dem In- und Ausland dem Bundespräsidenten so eilfertig ins Schloss zum märkischen Hirschkalbsrücken? Weil sie Zeit haben - denn die Auftragslage ist mau? Weil sie hungrig sind - denn die Honorare sind niedrig? Oder einfach deshalb, weil sie es nicht gewohnt sind, von der Politik umarmt zu werden? Letzteres könnte hinkommen. Und was treibt den Bundespräsidenten, sich die Leute vom Bau ins Schloss zu holen? Steht ein Umbau zum Flughafen an? Ist das Dach undicht?

Wegen eines undichten Daches wurde einmal der Architekt Frank Lloyd Wright (1867-1959), der von sich selbst sagte, er sei der beste Architekt der Welt, angerufen. Vom erzürnten Bauherrn. Es regne, so der Bauherr, auf den Esstisch. Dann, so der Architekt, solle man halt den Esstisch verrücken. Das war die Geburtsstunde des egomanischen Künstler-Architekten, der sich nicht schert um Bauherr, Nutzer, Termine oder Kosten. Die Öffentlichkeit nahm dieses Image, so falsch es auch ist, dankbar zur Kenntnis. Beschrieb doch schon Flaubert das Ressentiment der Öffentlichkeit in ironischer Weise so: "Architekten, alles Schwachköpfe, vergessen immer die Treppe." Das Verhältnis von Architekten und Öffentlichkeit gleicht (siehe Elbphilharmonie, Flughafen Berlin Brandenburg) mitunter einer zerrütteten Ehe. Gauck ist daher nicht nur als Tischherr gefragt. Nicht nur als oberster Bauherr. Er ist heute auch Paartherapeut. Er will versöhnen. Zu Recht. Baukultur kommt nur dort zustande, wo es ein Miteinander gibt. Die Matinée ist eine Hommage an einen Berufsstand, dem Gauck Respekt zollt.

Wobei es auch einen würdigen Anlass gibt. Gauck hat anlässlich der runden Geburtstage bedeutender Architekten eingeladen. Bei ihm am Tisch sitzen Helmut Jahn, 75, Meinhard von Gerkan, 80, und Gottfried Böhm, 95. Die Würdigung gilt zudem auch dem im März verstorbenen Frei Otto. Er wurde 89 Jahre alt. Insofern ist nicht alles in schönster Ordnung. Der große Utopist, Visionär und Luftschlossarchitekt, er fehlt. So wie auch der FAZ-Kollege Dieter Bartetzko fehlt, an dessen "leidenschaftliche Plädoyers für gutes Bauen" Gauck erinnert.

"Gute Architektur", so Gauck (mit Blick auf Böhm), "kann Räume erschaffen, in denen Menschen ihre tiefsten spirituellen Empfindungen erleben." Später sagt er (zum Glück ohne Blick auf irgendwen): "Kein Reihenhaus ist zu nebensächlich, um nicht mit Witz und Ideen gestaltet zu werden." Den Redenschreibern möchte man an dieser Stelle zurufen: Hallo? Schaut sie euch an, die mit Witz und Ideen und jeder Menge Individualisierungssucht gestalteten Häuser, die herumstehen wie Ausrufezeichen, die an Spektakulitis leiden; dass deren Architekten Ideen hatten, ist ja gerade das Problem. Man schweigt. Außerdem kommt die Botschaft an: Joachim Gauck präsentiert sich, mit Geschick, glaubhaft und interessiert, ja authentisch, als Verbündeter der Baukultur. Allein das ist eine Sensation. Nicht, weil man das Gauck nicht zugetraut hätte. Sondern, weil man weiß, wie selten Politiker Baukultur-kompatibel sind.

Konrad Adenauer etwa ließ sich für das Palais Schaumburg von Hans Schwippert 14 Entwürfe für einen neuen Schreibtisch anfertigen. Schwippert entwarf eine skandinavisch leichte Anti-Rhöndorf-Moderne für den Kanzler. Worauf dieser Schwippert feuerte, um später an einem Tisch in Wir-sind-wieder-wer-Barock zu sitzen. Über Sep Rufs Kanzlerbungalow für Ludwig Erhard lästerte er: Der Architekt verdiene dafür "zehn Jahre" Zuchthaus. Norbert Blüm attestierte dem gleichen Haus, es gehört mittlerweile zu den ikonischen Bauten Deutschlands, "den Charme einer Hundehütte". Angesichts zeitgenössischer Architektur lässt sich über viele Politiker, die als Bauherren gern zu manchem Bauskandal beitragen, im Blümschen Duktus sagen: Das Ressentiment ist sicher. Kohl ließ dann dicke Vorhänge schneidern, um das Haus gnädig zu verhüllen. So naiv war Gerhard Schröder nicht, als er den Architekten des neuen Berliner Kanzleramtes, Charlotte Frank und Axel Schultes, beschied: "zu groß".

Zuchthaus, Hundehütte, zu groß - gut, dass der Bundespräsident sich der wahren Baukultur und ihren Schöpfern zuneigt. Nach der Ära der Architekturverdrossenheit unter deutschen Politikern ist das eine schöne Aussicht. Joachim Gauck wird dem Namens seines Dienstsitzes im Schloss Bellevue gerecht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: