Bauboom in Russland:Wir sind reich! Wir sind da!

Erst Öl und Gas, dann Stahl und Glas: Russlands Städte verändern sich wie nie zuvor. Die neue Architektur ist heiß umstritten - alles Kitsch? Ein Baustellenbesuch.

Sonja Zekri

Wenn der Wind günstig steht, weht der sündige Duft sogar bis zur Erlöserkathedrale. Eine schwere, süße Wolke umspielt dann die goldenen Kuppeln, und Anwohner schwören, dass sie am Aroma erkennen, ob in der Schokoladenfabrik "Roter Oktober" am gegenüberliegenden Ufer gerade eine Sorte mit Karamell produziert wird oder irgendwas mit Nüssen. Für Westeuropäer mögen die Tafeln des "Roten Oktober" wie Stroh schmecken, für Moskauer ist die Fabrik ein Ort sentimentaler Erinnerungen.

Russland Schokoladenfabrik

Das letzte Einhorn? High-Tech-Turm in Chanty-Mansijsk, einer sibirischen Öl-Metropole.

(Foto: Foto: Büro Foster)

Der Investor des Geländes, die Guta-Gruppe, weiß das und hat deshalb die blutrote Klinkerfassade des Hauptgebäudes mit dem riesigen Logo der Erfolgssorte "Alenka" verkleiden lassen, sodass nun ein Kindergesicht in Lkw-Größe fassungslos auf die träge Moskwa blickt.

Die Tage des "Roten Oktober" sind gezählt: Die Fabrik, die einst den Zaren belieferte und bis heute bewacht wird wie ein wichtiges Ministerium, muss an den Stadtrand ziehen. Das Gelände südlich des Kreml ist eine der teuersten Immobilien der Stadt und soll in ein Loftparadies für Superreiche umgewandelt werden.

So trifft zu Füßen von Surab Zeretelis monströsem Denkmal für Peter I. eine stolze Tradition auf nicht minder stolzen Wohlstand. Es ist eine Kollision, die sich auf dem russischen Immobilienmarkt täglich hundertfach abspielt, aber selten in so exponierter Lage.

Die Erwartungen an die sieben russischen und internationalen Architekten, die jeweils einen Abschnitt der kostbaren Immobilie gestalten sollen, sind also mindestens so groß wie die Ängste. Und die zugeschnörkelte Fußgängerbrücke über die Moskwa, die nach Moskaus Bürgermeister Jurij Luschkow benannt wurde, lässt Böses ahnen.

Dennoch soll die Kapelle am Fuß der Brücke stehen bleiben, der Yachtclub neubelebt werden, die absurd schrägen Übergänge zwischen den Fabrikgebäuden unbedingt bewahrt werden - sogar ein Schokoladenmuseum ist geplant. Für Moskauer Verhältnisse ist das bahnbrechend rücksichtsvoll.

"Wir haben die Proportionen und das Material analysiert und uns entschlossen, roten Klinker zu verwenden, Holz, Naturstein und ein Bronzedach", sagt der Wiesbadener Architekt Jürgen Willen, der neben Norman Foster, Jean Nouvel und Jean-Michel Wilmotte den "Roten Oktober" umbaut.

Außerdem plant Willen einen gläsernen Lift und einen Pier: "Dann kann man mit dem Schiff heranfahren und im Glasaufzug nach oben schweben." Die milliardenschwere Kundschaft lässt sich gern überraschen.

Willen baut in Schanghai und in Dubai, aber von Moskau schwärmt er. "Eine Palme in Dubai am Leben zu erhalten, kostet 2000 Dollar im Jahr. Trotzdem werden da ganze Haine angelegt. Nichts ist nachhaltig, alles nur teuer. Moskau ist anders. Die Geschäftskultur ist uns näher. Für Architekten ist es der beste Markt der Welt", sagt er.

Das sehen viele Kollegen ähnlich. Russland schwimmt in Öl und Gas und also im Geld. Aus der ganzen Welt reisen Architekten an, im Gepäck Pläne für neue Städte, im Kopf Quadratmeterzahlen in Dimensionen, die der Vertreter einer deutschen Baufirma mal "den reinen Orgasmus" nannte.

Zaha Hadid hält Moskau für "eine der spektakulärsten Städte der Welt". Sie verdanke ihre frühen Inspirationen der russischen Avantgarde, vor allem Malewitsch. Heute träumt sie von einer zweiten kreativen Explosion wie in jenem kurzen Frühling nach der Revolution.

"Architektur erlaubt den Menschen einen flüchtigen Blick auf eine andere Welt", so Hadid: "Das galt nach der Revolution, und angesichts der dramatischen Veränderungen in Moskau gilt es heute umso mehr." Eine von ihr entworfene Villa in Barwicha bei Moskau, die mit ihrem Plateau auf Stelzen an einen Sprungturm erinnert, wird gerade gebaut.

Der Bau des monumentalen Schiwopisnaja-Turms und des mächtigen, wannenförmigen Expo-Centers soll 2008 beginnen.

David Sarkisjan, Direktor des Moskauer Architekturmuseums, sitzt in einem vollgeramschten Büro zwischen asiatischen Teeschalen, verblühten Rosen, Buddhas und Sonnenschirmen und findet die Invasion der Ausländer gar nicht schlecht: "Der letzte ausländische Architekt, der hier gebaut hat, war Le Corbusier", sagt er.

Dann muss er kurz telefonieren. Ein russischer Journalist hätte gern ein Statement zur Frage, welches Haus er, Sarkisjan, in Moskau errichten würde. "Gar keins", antwortet Sarkisjan. "Moskau hat alles, was es braucht, nur oft in schrecklicher Qualität."

Dass mehr als drei Viertel aller neuen Gebäude Plattenbauten sind, darunter alberne Neuschwanstein-Kopien wie der "Edelweiß"-Komplex oder vulgärflorentinische Albträume wie die "Scharlachroten Segel" ("Alyje Parusa"), ist noch nicht alles. Der Arbat, das oft besungene Quartier der Sowjetbohème, ist zu einer trübseligen Casino-Meile herabgewirtschaftet.

Und am Paweletzkij-Bahnhof klumpen sich der bleiche Swissotel-Turm, der leberwurstfarbene Granitbrocken der PriceWaterhouseCooper-Büros und die gläserne Qualle des "Hauses der Musik" zu einem Areal von atemberaubender Geschmacklosigkeit.

"Moskau ist offen für alle Exzesse", sagt Sarkisjan ergeben - auch für die exzessive Selbstzerstörung. Russische und britische Denkmalschützer haben auf Initiative der Moscow Architecture Preservation Society (Maps) vor kurzem einen Katalog vorgelegt, der den tausendfachen Verlust historischer Bauten dokumentiert, darunter 200 denkmalgeschützter Häuser.

Modellhaft ist der Fall des Hotels Moskwa, das nach seinem Abriss gerade wieder aufgebaut wird - mit gleicher Fassade, aber Hightech-Interieur: eine potemkinsche Prozedur, die Schule machte. Inzwischen hat der Abrissfuror sogar das von der Unesco geschützte Areal um den Roten Platz erreicht: Vor kurzem setzte sich der Kreml über lokale Zuständigkeiten hinweg und ließ das Innere der Mittleren Handelsreihen aus dem 19. Jahrhundert abreißen.

Demnächst soll Wilmotte dem Bau einen Wohn-Hotel-Komplex nebst Diamantenbörse implantieren. Nicht allen ausländischen Architekten liegt die Bewahrung der historischen Substanz offenbar so am Herzen wie Zaha Hadid: "Sie begreifen es nicht", empörte sie sich, "sie wollen sogar das Pflaster auf dem Roten Platz begradigen!"

Glaubt man Stanislaw Poschwychin, sind das letzte Scharmützel. "In Moskau herrschte Krieg", sagt er: "Keine andere Stadt hat sich so schnell entwickelt." Gewiss, die Disneyfizierung sei bedauerlich, aber Verluste seien unvermeidlich. Inzwischen werde es friedlicher, denn freie Grundstücke seien rar, Berichte wie jener von Maps deshalb übertrieben und überdies "vom Ausland bezahlt".

Poschwychin leitet die achte Werkstatt im Architekturkomitet "Mosprojekt 2", Moskaus einflussreichem kommunalen Planungsbüro, das 2000 Architekten allein für die Innenstadt beschäftigt. Wer es sich mit Mosprojekt 2 verscherzt, wird in Moskau kaum glücklich.

Ohnehin ist die Liste der gescheiterten Künstler und der deformierten Entwürfe lang. Kaum eine Idee werde unverändert umgesetzt, klagen Architekten. Gemeinschaftsprojekte schleppten sich oft dahin, bis der ausländische Partner aufgebe und russische Kollegen den Bau mit triumphaler Geste vollendeten.

Entwürfe könnten an Forderungen nach höheren Auslastungen scheitern, an Gesetzen oder Gründen, die sich niemals klären lassen. Der Niederländer Erick van Egeraat beispielsweise hatte in der Nähe der Tretjakow-Galerie das exzentrische Ensemble "Russische Avantgarde" geplant, das den Stil verschiedener russischer Maler nachempfinden soll.

Das Projekt starb einen leisen Tod, nachdem Luschkow beschieden hatte, es handele sich um einen hervorragenden Entwurf, nur nicht für diesen Ort. Dass sich die Stadt im nächsten Jahr von Korruption, Filz und Bürokratie befreien wird, ist nicht zu erwarten. Zwar sind 2008 Präsidentschaftswahlen, und nicht nur Wladimir Putin, sondern auch Luschkow könnte abtreten. "Aber glauben Sie, dass es einen Untersuchungsausschuss geben wird?", spottet ein russischer Architekt.

Und doch: Projekte, die jahrelang auf Eis gelegen habe, nehmen plötzlich Gestalt an, wie beispielsweise Moskwa City, das Geschäftszentrum. Auf der Baustelle sollen die höchsten Wolkenkratzer Europas entstehen: Norman Fosters Rossija-Turm (über 600 Meter) und der Federazia-Doppelturm (350 Meter) von Sergej Tchoban und Peter Schweger. Noch drängen sich asiatische Arbeiter auf den Gerippen, Fosters Entwurf ist nur ein Loch im Boden, aber einige Hochhäuser sind bereits bezogen.

Offen für alle Exzesse

Wenn Moskwa City fertig ist, wird der Kreml verzwergen, das Gleichgewicht der Stadt wird neu kalibriert werden müssen. Auch deshalb hat das Projekt viele Gegner. "Yuppie-Town" nennt es ein russischer Beamter. Und die Umweltschutzbehörde Rosprirodnadsor warnte jüngst, die neue russische Wall Street belaste das Abwasser, ein Schaden in Milliardenhöhe drohe.

Sergej Tchoban nimmt solche Meldungen gelassen; den Spott über die Wolkenkratzer hält er für unhistorisch. Moskaus Silhouette habe immer aus Türmen bestanden: "Früher waren es Klöster und Kirchen, heute ist es das Business-Center."

Sein Federazia-Projekt wird eine der ersten Adressen in Moskau werden, da ist er sicher, mit sieben Meter hohen Decken, Wohnungen von 400 Quadratmetern Größe und der Rezeption des Grand-Hyatt-Hotels in der Spitze: ein komfortabler Zweitwohnsitz für Oligarchen mit einem Häuschen im Grünen. "Der Wunsch nach Selbstdarstellung ist stark", sagt Tchoban. Ein Kollege formuliert die Botschaft dieser Bauten in zwei Sätzen: Wir sind reich! Und: Wir sind da!

Aber auch: Wir bleiben am liebsten unter uns. Die Gentrifizierung in Luxusquartieren wie dem "Roten Oktober" oder Moskwa City oder auch dem ambitionierten, aber kameraüberwachten und abends wie ausgestorbenen Viertel Ostoschenka hält Alexej Muratow, Chefredakteur der Architekturzeitschrift Project Russia, für einen der größten planerischen Fehlschläge.

"Wenn bei uns ein gesundes soziales Klima herrschen würde, müssten sie sich nicht so verbarrikadieren. Luschkow könnte mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren - wie in Kopenhagen. Bei uns aber herrscht eine Segregation wie in der Dritten Welt."

Wir sind reich! Wir sind da!

800 Kilometer weiter nördlich, auf dem Dach einer ehemaligen Militärfabrik in Sankt Petersburg, blickt man auf einen Lenin, der von hier oben winzig wie ein Gartenzwerg aussieht und auf dem umstrittensten Baugrund in ganz Russland steht. Hier nämlich wird das Ochta-Center gebaut, das früher mal unter dem Namen Gaszprom-City als Hauptquartier für den Energiegiganten Gazprom Neft gedacht war.

Moskau Zaha Hadid

Zaha Hadid hält Moskau für "eine der spektakulärsten Städte der Welt". Die Architektin plant gerade den Bau des monumentalen Schiwopisnaja-Turms in Moskau.

(Foto: Foto: Stack! Studios / Zaha Hadid Architects)

Nach erbittertem Protest der Petersburger und schärfster Kritik aus dem Ausland soll nun eine kommunale Mischnutzung entstehen, mit Sportstadien, Museen, Wohnungen und einem bescheidenen Bürokomplex für Gazprom Neft.

Nur, was wird aus dem Turm? Aus jener 350 Meter hohen Nadel, deren künftige Mitte die Bauarbeiter mit einer Holzlatte schräg hinter dem Lenin in der Brache markiert haben? Der Turm würde das Smolny-Kloster und den historischen Stadtkern auf der anderen Seite der Newa überragen und die elegante und über Jahrhunderte bewahrte horizontale Silhouette der Stadt zerstören. Stadt und Denkmalschützer waren sich deshalb einig: Der Turm muss weg.

Aber warum wurde er überhaupt erst geplant? Und warum in dieser Höhe? 40 Büros hatten Entwürfe eingereicht, sechs kamen ins Finale, darunter Architekten wie Nouvel, Herzog & de Meuron, Massimiliano Fuksas, Daniel Libeskind und das Londoner Büro RMJM, das schließlich gewann. Nicht einer präsentierte einen niedrigeren Entwurf.

"Gazprom-City", höhnen deshalb Kritiker wie der russische Architekt Ewgenij Ass, "bedeutet den völligen Zusammenbruch des Star-Systems in der Architektur", den Verlust der Glaubwürdigkeit, die devote Unterwerfung unter die Macht der Investoren.

In Stilettos aufs Dach

"Ja, sie hätten ablehnen können", sagt auch Olga Safina vom Gazprom-Pressestab, die in Stilettos aufs Dach geklettert ist und die Baustelle inspiziert. Das klingt ein wenig nach nachträglicher Bescheidenheit, aber Gazprom, so viel ist sicher, war vom Sturm der Entrüstung überrascht worden.

In ihrem Büro hatte Safina vorgeführt, wie harmonisch sich der Turm in die städtische Szenerie einfügen würde, hatte vorgerechnet, wie viel Steuern die Gazprom-Töchter in Petersburg zahlen (12 Prozent des städtischen Haushaltes), und sie hatte eine Broschüre herausgesucht, die den Messianismus des Konzerns verrät: Jedes Jahrhundert habe der Stadt eine vertikale Dominante hinterlassen, heißt es darin: die goldene Nadel der Peter-und-Paul-Festung, die Isaakskathedrale und den 311 Meter hohen Fernsehturm.

Das 21. Jahrhundert nun gehöre der "globalen Energie", und in Petersburg müsse man auf diese Herausforderung mit einer "neuen architektonischen Dynamik" reagieren. Es ist ein Papier, dessen grandioser Voluntarismus fast sowjetisch klingt.

Olga Safina aber hat noch etwas vorgeführt: eine Computeranimation, die den Turm schrumpfen lässt, auf 300, 200, 150 oder 100 Meter. Am Ende ähnelt die schlanke Flamme einem aus großer Höhe abgestürzten Hefekloß. Im Herbst werde der städteplanerische Rat zusammentreten, sagt Safina: "Wahrscheinlich wird der Turm niedriger." Es wäre ein Sieg auf Zeit.

Längst spült das neue Geld auch in Petersburg Historisches hinweg. Gegenüber dem Moskauer Bahnhof möchte die finnische Stockmann-Kette ein Kaufhaus errichten, weshalb sie das historische Gebäude abtragen ließ und - Moskau macht Schule - mit gleicher Fassade wieder aufbauen will.

In den jahrzehntelang unberührten Straßenzügen drängen sich plötzlich türmchenselige Büroburgen mit braun verspiegelten Scheiben und der obligatorischen Pyramide auf dem Dach. Die neue Leidenschaft für pseudohistorischen Firlefanz sei ein Erbe der Sowjetzeit, als verspielte Details verboten waren, sagt der Architekturkritiker Wladimir Frolow.

Doch nur wenige zeitgenössische Architekten haben wirklich originelle Ideen. Sergej Tchoban beispielsweise hat für eines seiner Häuser römische Karyatiden auf Glas drucken lassen, auf einem anderen tanzt das Figuren-Theater von Benois die Wand hinauf, daneben aber türmt sich Granit in Schlammfarben, was Wladimir Frolow wüten lässt: "Dass sie sich nicht schämen, so hässliche Häuser zu bauen!"

Diese kleineren Verwüstungen gehen ein wenig unter in der Aufregung über die Großbaustellen, etwa über die stille Brache des Mariinski-Theaters. Dominique Perrault hatte hier ein goldenes Geflecht für eine zweite Bühne entworfen, gab aber vor ein paar Monaten entnervt auf, als man ihm vorwarf, die Statik stimme nicht. Nun baut ein Russe weiter.

Die Provinz wartet schon

Norman Foster hat es geschickter angefangen, hat für den Umbau der einstigen Werft auf der Insel Neu-Holland einen russischen Investor und einen russischen Partner gewonnen, so dass Foster, der in Moskau zwar als heimlicher Hofarchitekt gilt, aber dort noch kein Projekt vollendet hat, in Sankt Petersburg sein erstes russisches Werk fertigstellen wird: Er öffnet die verwunschene und lange Zeit verbotene Dreiecks-Insel Neu-Holland für die Öffentlichkeit, plant ein Amphitheater, und in die gewaltigen Kontore, in denen früher Schiffsplanken gelagert wurden, sollen Restaurants, Galerien und Geschäfte einziehen.

Die Provinz wartet schon. Chanty-Mansijsk, eine sibirische Öl-Metropole, leistet sich seit kurzem nicht nur ein Museum und ein Filmfestival, sondern hat sich von Foster auch einen ökologischen High-Tech-Turm zum Wohnen, Arbeiten und Shoppen entwerfen lassen, der kilometerweit sichtbar wie ein Schneekristall aus der Taiga aufragen soll.

Und in Selenograd bei Moskau soll die Info-City entstehen, eine "Stadt der Zukunft" im Schatten eines 96-stöckigen Informationsturms mit Planetarium, Standesamt und Hubschrauberlandeplatz. Auch hier heißt es also: Wir sind da! Wir sind reich!

Russland erfindet sich neu, aber welches Russland entsteht da? Man müsste eine architektonische Vision haben, zumindest für Moskau, fordert Tchoban, und beschwört die Liebe zum Detail als stilistisches Erbe, das es zu bewahren gilt. Dabei erstickt das Land in neuem Talmi.

Jewgenij Ass verlangt Rücksicht auf die Morphologie der Stadt, aber wenn er konkreter werden soll, fallen ihm nur die langgestreckten Wohnblöcke und die stillen Höfe ein, als würde noch immer Walter Benjamin durch Kitai-Gorod streifen.

Und doch: Manchmal wirkt der Bauboom wie eine Zeitmaschine, führt zurück in eine Ära, als Moskau noch nicht von zwölfspurigen Boulevards amazonasbreit aufgerissen wurde. Ausgerechnet neben der gigantischen Baustelle des abgerissenen Hotelkolosses Rossija, wo Foster das neue Viertel Zaryadye plant, ist ein Flecken von wundersamer Stille und dörflichem Frieden entstanden.

Neben dem Bauzaun sind plötzlich winzige Kathedralen sichtbar geworden und schmale Pfade, wilde Gärten und Schmetterlinge. Was für ein Idyll. Und was für eine Ironie.

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