Bart Moeyaert:Man muss das Meer spüren

Kinder- und JugendliteraturET Freitag 30 September 2016

Der Autor Bart Moeyaert, Jahrgang 1964, lebt seit 2006 in Antwerpen und unterrichtet an der Königlichen Akademie der schönen Künste Creative Writing.

(Foto: Verlag)

Er ist künstlerischer Leiter der Ehrengast-Präsentation Flamen und Niederlande auf der Buchmesse in Frankfurt. Ein Gespräch über den literarischen Markt und den Blick auf die Kindheit.

Interview von Roswitha Budeus-Budde

Der Autor Bart Moeyaert, künstlerischer Leiter der Ehrengast-Präsentation Flamen und Niederlande bei der Frankfurter Buchmesse, ist seit zweieinhalb Jahren damit beschäftigt, ein Kulturprogramm zu entwickeln. In einem Gespräch erzählt er, welche besonderen Vorstellungen er verwirklichen konnte und wie er den literarischen Markt, besonders den der Kinder- und Jugendliteratur, einschätzt.

SZ: Was war für Sie die größte Schwierigkeit bei dieser Arbeit?

Bart Moeyaert: Wir waren vor 25 Jahren schon einmal Gastland und konnten auf diesen Erfahrungen aufbauen. Die Literaturwelt kennt die großen Namen unserer Autoren, und darum wollen wir jetzt die neue junge Welle zeigen. Und dieses Bild der Welle haben wir ganz wörtlich genommen, als Grundidee. Die Niederlande, Flandern und Deutschland teilen sich das Meer, die Nordsee. Und mit diesem Bild wollten wir im Programm so spielen, dass es die Menschen auf der Messe auch sofort verstehen.

Was war die schwierigste Aufgabe?

Die Entscheidung, welche Künstler von beiden Ländern nach Deutschland gehen. Wichtig war natürlich die ausgleichende Bilanz zwischen den Niederlanden und Flandern. Natürlich sollten die präsentiert werden, die 2016 ein neues Buch haben, in der Belletristik und der Jugendliteratur. Außerdem wollten wir alle Künste zeigen, nicht nur die literarischen.

Wird der Schwerpunkt auf Autorenlesungen liegen?

Von der Frankfurter Messe wurde angeregt, dass wir Gastland 2.0 sein sollen, dass wir an ein breites künstlerisches Spektrum denken sollen. Das war auch für mich wichtig, weil es dem weiten Horizont des Meeres entspricht. Dazu passt, dass ich immer wieder versucht habe, Literatur mit anderen Kulturformen zu verbinden, mit Tanz, Theater, Musik. Das wird man auf der Buchmesse sehen. Nicht nur im Pavillon, sondern auch in der Stadt, dort haben wir ziemlich viele Organisationen gefunden, die mit uns arbeiten wollen, zum Beispiel Museen oder auch Kulturinstitutionen und Festivals.

Was planen Sie im Messepavillon?

Zu viel darf ich jetzt nicht erzählen. Ich wollte, dass man neben der Messehektik und dem Beton der Hallen die Stille, die Ruhe des Meeres spürt. Aber ein Meer ist natürlich nicht nur still, es ist auch ab und zu lebhaft, man soll Sturm erfahren, innerlich. Mit der Möglichkeit virtueller Realität kann man ein Zimmer besuchen. Dazu gibt es ein Theater mit 120 Plätzen, mit einem festen Programm, bei dem die Protagonisten aber wechseln, mit Interviews und Autorengesprächen. So wird zum Beispiel ein Lyriker zusammen mit einem Kinderbuchautor, die das gleiche Thema beschäftigt, darüber reden, wie sie es in ihren Werken jeweils umsetzen. Außerdem drucken wir jeden Tag live in einem Atelier eine Zeitung mit 500 Exemplaren, da werden sich die Menschen an Flandern und die Niederlande erinnern.

Hat die Kinder- und Jugendliteratur in Flandern und den Niederlanden eine größere Bedeutung als in Deutschland?

Darüber habe ich erst nachgedacht, als jemand aus Deutschland zu mir sagte: "Du bist wirklich der künstlerische Leiter des ganzen Programms, als Kinder- und Jugendbuchautor? Das wäre in Deutschland nie möglich." Und ich habe mich darüber gefreut, dass wir in den Niederlanden und in Flandern auf dem Weg sind, die verschiedenen Künste zusammenzubringen und die verschiedenen Genres als gleichwertig zu sehen. Auch wenn in den Medien manchmal noch gefragt wird, ob die Kinder- und Jugendliteratur wirklich die Erwachsenen interessiert. Aber ich selbst habe eigentlich nie so darüber nachgedacht, dass hier ein Kinder- und Jugendbuchautor der Leiter ist. Nur, oh wie schön, dass Kinder und Jugendbuchautoren ebenso wichtig sind wie die anderen.

Die niederländische und flämische Kinder- und Jugendliteratur unterscheidet sich von der deutschen. Hat die Gesellschaft einen anderen Blick auf Kindheit?

Es gibt eine größere Offenheit, die Literatur ist vorwitziger und frecher, weil man die Kinder ernst nimmt, sie auch zum Nachdenken bringen will, denn das gehört zum Aufwachsen. So leben wir, so schreiben wir, so zeichnen wir.

In Deutschland bekommen wir natürlich nur die literarischen Highlights aus den Niederlanden, wie steht es mit der pädagogischen Belehrung in der Gesamtliteratur?

Botschaften sind was für die Werbung im Supermarkt, sagten mir schon früh meine Autorenfreunde. Es gibt natürlich immer noch solche Bücher, aber es sind nicht mehr wirklich die Ideen, die die Kinder und Jugendbuchautoren heute haben.

Wo lagen die Schwerpunkte Ihrer Öffentlichkeitsarbeit?

Wir haben uns ein besonderes Programm ausgedacht. Wir wollten nicht nur Autoren nach Deutschland schicken: "Dankeschön Deutschland!", sondern Deutsche haben Residenzen in Amsterdam oder Antwerpen. Zum Beispiel haben drei Lyriker, ein deutscher, ein flämischer, ein niederländischer, Zeit bekommen, Gedichte über das Meer zu schreiben und dieses Projekt wird in Frankfurt ein Ende finden. Ein weiteres Projekt war, dass flämische, niederländische und deutsche Autoren im Museum in Leipzig und Brüssel eine Lesung gegeben haben, neben einem Kunstwerk, das sie auswählten und über das sie etwas geschrieben haben. Ich komme aus Westflandern, hier achtet man besonders auf sein Geld. Darum möchte ich, dass etwas von den Projekten auch nach dem 24. Oktober übrig bleibt, wenn die Buchmesse vorüber ist. So wird es das "Buch der Bücher" geben, 50 ausgewählte Titel aus der niederländischen und flämischen Kinderliteratur der letzten 20 Jahre. Ein Buch mit einem spannenden Entdeckungsparcours, mit 1001 Verbindungen, mit Tipps mit Kommentaren. Es wird auf Niederländisch und Englisch erscheinen, damit auch Ausländer verstehen, was wir machen. Es heißt ganz bewusst "Buch der Bücher", weil es für alle, auch für Erwachsene, wichtig sein soll.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: