"Banale Zirkusdekoration":Eine ungehaltene Rede

Der neue Berliner Hauptbahnhof ist eines der wichtigsten, besten und zugleich umstrittensten Bauwerke Deutschlands. Architekt Meinhard von Gerkan wollte zur Eröffnung seines Werkes sprechen. Er durfte nicht.

Der Architekt Meinhard von Gerkan klagt gegen die Bahn AG. Im November wird entschieden, ob seine Pläne für den Berliner Hauptbahnhof vollständig realisiert werden - oder nicht. Der Bauherr hat nach Meinung Gerkans das Bauwerk an maßgeblicher Stelle verunstaltet und damit das Urheberrecht verletzt. Bei der Eröffnungsfeier wird Gerkan auf der Rednertribüne fehlen. Er wurde nicht eingeladen. Wir dokumentieren die nicht gehaltene Rede eines Ungehaltenen.

"Banale Zirkusdekoration": "Abgebissene Wurst": der neue Berliner Hauptbahnhof.

"Abgebissene Wurst": der neue Berliner Hauptbahnhof.

(Foto: Foto: ddp)

Nach 14-jähriger Planungs- und Bauzeit wird heute der Hauptbahnhof Berlin eröffnet. Die Bahn AG und einige Kommentatoren schwelgen in quantitativen Superlativen:

Das größte Bauwerk Berlins, die größte unterirdische Halle der Welt, die größte Photovoltaikanlage Deutschlands, 85.000 Tonnen Stahl, 500.000 Kubikmeter Beton, sie werden nicht müde ihre "Kathedrale" zu preisen und sich dabei unablässig auf die eigene Schulter zu klopfen.

Der Bahnchef selbst verweist in seinem Einladungstext zur Eröffnung auf drei aus seiner Sicht besonders herausragende Leistungen bei diesem Projekt: auf die Umlenkung der Spree, auf Betonarbeiten unter Wasser und auf den Klappvorgang der Bügelbauten.

Dieser Geist der Bahn, der nur Zahlen und populistische Attraktionen kennt, residiert seit 1997 Jahren in einer der teuersten Büroetagen Berlins. Es ist der geistige Humus, auf dem das Bauwerk gewachsen ist.

Das Ganze scheint wie vom Himmel gefallen. Weder der Senatsbaudirektor Stimmann, der in einem geistigen Wettstreit zwischen Architekten den städtebaulichen Rahmen geschaffen hat, noch die Vision des ersten Bahnchefs Heinz Dürr, der wegen der unwürdigen Zustände der Bahnhöfe diesen eine Renaissance verordnet hatte, geschweige denn die Leistungen von Architekten und Ingenieuren finden irgendeine Anerkennung.

Der heutige Bahnchef tut so, als hätten sie alles allein aus dem Hut gezaubert. Dabei ist das, was heute eingeweiht wird, derjenige Teil eines Gesamtwerkes, der die Zerstörungsaktionen der Bahn überstanden hat. Die beiden schlimmsten Verstümmelungen sind hinlänglich bekannt: Erstens die mutwillige Verkürzung des Bahnhofsdaches, die zu gravierenden funktionalen, städtebaulichen und architektonischen Mängeln geführt hat.

Alle Behauptungen der Bahn, dadurch seien Kosten und Zeit gespart worden haben sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt. Die Dachverkürzung verursachte Mehrkosten von rund 40 Millionen Euro. Auch die Bauzeit verlängerte sich dadurch.

Zweitens: Die verbeulte Flachdecke mit der banalen 08/15-Beleuchtung im Inneren des Gebäudes. Sie wurde heimlich mit einem dritten Architekten geplant - und macht das beabsichtigte einmalige Raumerlebnis in der unteren Bahnhofshalle zunichte. Die innovative Außenbeleuchtung von dem Büro Angerer und Andres wurde durch eine Zirkusdekoration ersetzt.

Diese Skandale hätten spätestens dann personelle Konsequenzen nahe gelegt, als der Bahnchef den Bahnhof öffentlich mit seinem eigenen Schlafzimmer verglich, in dem er beanspruchte, alleine die Auswahl der Tapeten bestimmen zu können.

Allen Bemühungen meinerseits, Politiker in den höchsten Rängen zu bewegen, diesem Unwesen Einhalt zu gebieten, war kein Erfolg beschieden. Gerhard Schröder meinte: "Mensch, Gerkan, die Wurst ist lang genug; ich sehe sie jeden Tag." Zwei Jahre später, bei seiner Kanzler-Abschiedsparty bekannte er: "Der Architekt hat Recht, die Wurst ist abgebissen - vorne und hinten."

Warum schreibe ich an einem Tag, da Schmeicheleien zur Etikette gehören, derart unfreundliche Worte?

Eine ungehaltene Rede

Nein, ich bin kein Masochist, aber es darf nicht im Glamour von Feuerwerk und Selbstbelobigungen untergehen, dass unsere Baukultur einer unerträglichen Zerreißprobe unterliegt, in der Kommerz und Management in Selbstherrlichkeit ihren Bogen seit langem weit überspannen.

Natürlich bin ich in meiner baukünstlerischen Ehre schwer verletzt. Warum ich aber zum Anlass der Eröffnung einen dringenden Appell an die Politik ausspreche, geht über die persönliche Betroffenheit weit hinaus.

Bei dem Bahnhof handelt es sich immerhin um das größte Bauwerk Berlins, den öffentlichsten Ort Deutschlands mit 300.000 Besuchern pro Tag. Er ist die Visitenkarte des Regierungsviertels und wird als Zeugnis der politischen Verantwortung unserer Regierung gegenüber der Baukultur gesehen und bewertet werden.

Mein eindringlicher Appell an die Bundesregierung, Frau Merkel und die Öffentlichkeit lautet: Bitte sorgen Sie dafür, dass die schweren Verunstaltungen des Bahnhofs repariert werden. Die Teile des fehlenden Dachabschnittes sind bezahlt und eingelagert; sie können in wenigen Wochen montiert werden. Ebenso leicht kann die ordinäre Blechdecke gegen die vorgesehene Gewölbedecke mit einer faszinierenden Lichtinszenierung ausgetauscht werden.

Mit diesem Appell trage ich meinem Verständnis von der Verantwortung des Architekten gegenüber der Gesellschaft Rechnung. Ich fordere damit zugleich die Verantwortung unseres Souveräns ein, Zeugnisse zeitgenössischer Baukultur nicht der Willkür engstirniger Manager zu überlassen.

Diesen Schaden im Ansehen der deutschen Baukultur dürfen und können wir uns nicht leisten, auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht. Unser Büro exportiert deutsches Architekten-Know-how in großem Umfang ins Ausland, vor allem nach China. Mehr als 50 Projekte befinden sich dort im Bau oder in der Planung. Das verdanken wir nicht zuletzt der Wertschätzung "Made in Germany".

Kein einziger unserer fernöstlicher Bauherren hat unserer Architektur auch nur annähernd das angetan, was wir bei der Bahn AG hinnehmen mussten. Nur ein beherzter Schritt vermag dem jetzt abzuhelfen.

Ob ich mich denn angesichts der Verunstaltungen vom eigenen Werk distanziere, werde ich immer wieder gefragt. Nein mitnichten. Deswegen werde ich auch nicht müde, mit allen Mitteln darum zu kämpfen, dass die Krankheiten geheilt werden. Ich bin sogar stolz, dass das architektonische Konzept sich so überzeugend behaupten kann.

Das Ziel, in dem komplexen Bauwerk ein lichtdurchflutetes, übersichtliches Raumkontinuum zu schaffen, das optimale Orientierung ermöglicht, scheint sich zu erfüllen. Es ist auch gelungen, 80 Läden und Restaurants so einzugliedern, dass sie den Bahnhof weder dominieren noch behindern. Leider hat man uns die bauliche Integration der Werbung vorenthalten.

Es bleibt zu hoffen, dass sie nicht das vernichtet, was die Architektur geschaffen hat: Weiträumigkeit, Übersichtlichkeit und gute Orientierung. Hans Stimmann, der als Senatsbaudirektor am Zeugungsprozess des Bahnhofs mitgewirkt hat, hat trotzt seines Eintretens für das "steinerne Berlin" die konstruktive Struktur des Gebäudes aus Stahl und Glas gutgeheißen.

Die Ausdruckskraft des Bahnhofs wird durch das konstruktive System ermöglicht. Diese symbiotische Verschmelzung von Architektur und Konstruktion ist der hervorragenden Zusammenarbeit mit Jörg Schlaich, Hans Schober und deren Ingenieurbüro zu verdanken.

Die einzige Person, die seit mehr als 14 Jahren mit diesem Vorhaben befasst ist, bin ich selbst. In diesem Zeitraum waren 165 Mitarbeiter, teilweise zehn Jahre lang sehr engagiert beteiligt, allen voran unser Partner Jürgen Hillmer und die beiden Projektleiter Prisca Marschner und Hans-Joachim Glahn.

Mit Heinz Dürr habe ich gemeinsam die Renaissance der Bahnhöfe propagiert. Ich hoffe, er freut sich über das erste Ergebnis. Trotz allem.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: