Ballett:So bunt wie öde

Ballettensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz
© Marie-Laure Briane

Hauptsache bunt: das Ensemble des Gärtnerplatztheaters in Tschaikowskys "Der Nussknacker".

(Foto: Marie-Laure Briane)

Karl Alfred Schreiners "Nussknacker" am Gärtnerplatz

Von Eva-Elisabeth Fischer

Weihnachtsmärchen? Silvesterknaller? Faschingsspaß? So recht weiß man nicht, wie man die erste Ballettpremiere von Karl Alfred Schreiner nach der Wiedereröffnung des Gärtnerplatztheaters einordnen soll. Die knapp eineinhalb Stunden inklusive Pause waren definitiv mit "Der Nussknacker" überschrieben. Das ist das Nummernballett, das, bling-bling ausstaffiert, in der Vorweihnachtszeit die Ballettbühnen der Welt in zuckrige Kitsch-Guckkästen verwandelt. Man hat das Ballett vielleicht irgendwann als tiefenpsychologische Bohrung durchlitten. Da ließ Klara die Zeit der Latenz hinter sich, indem sie triumphierend eine Monatsbinde schwenkte. Aber man freute sich auch herzlich, 1991 zumal über die in die Sechzigerjahre zurückgebeamte Cross-Gender-Szenerie von Mark Morris, die, "The Hard Nut" betitelt, internationale Triumphe feierte. Diese exemplarische, unerreicht köstliche Variante gereichte Schreiner möglicherweise zum Vorbild. Wahrscheinlicher aber ist, dass er mit dieser "choreografischen Uraufführung" seine Klagenfurter "Nussknacker"-Version neu aufgegossen hat.

In München nun entblößte der Vorhang ganz langsam die von Rifail Ajdarpasic scheußlichst mit spitzgiebeligen Bücherschränken möblierte Bühne samt glitzerweißem Christbaum in der Mitte. Mutter Stahlbaum trägt das Hochgeschlitzte und Marilyn-Perücke, bis sie als Schneekönigin ein Glitzer-Stachelmützchen aufgesetzt bekommt (arme Rita Barao Soares!). Sie weckt Tochter Klara auf, die in einer Walnussschale träumt. Dann trudeln strumpfsockig die handelnden Personen mit Geschenken ein, die sie auf Sohn Fritzens Arme türmen. Jetzt also kann sie losgehen, die ebenso bunte wie öde Farce in Tüll und Sockenhaltern ohne Sinn, Zweck und Verstand.

Das hält Dirigent Kiril Stankow nicht davon ab, Tschaikowskys wohlbekannte Melodien beschwingt federnd anzugehen und sie im Lauf der Aufführung trotzig in bisweilen brachialer Lautstärke erschallen zu lassen. Er hat wohl untrüglich überrissen, dass die Musik vom Choreografen völlig ignoriert würde und nur einmal als rhythmische Grundlage herhalten muss - nämlich beim Unisono der Schlussapotheose zum Blumenwalzer, die sich wohlwollend als Persiflage des mausetoten Fernsehballetts deuten ließe. Schreiner hatte nicht nur eine integrale Handlung, sondern auch anhand der verschiedenen Charaktere entwickelten, durchweg zeitgenössischen Tanz versprochen. Der Befund: gewundene Muskelspasmen und ataktisches Gliederreißen. Arme Alle!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: