Ballett:Reifezauber

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(Foto: Fabian Kriese)

Warum hat das keiner zuvor gewagt? Um bei Dance On mitmachen zu dürfen, muss man sehr gut tanzen können - und über 40 sein.

Von DORION WEICKMANN

Mit 10 anfangen, mit 20 im Rampenlicht stehen, mit 30 auf dem Leistungsgipfel ankommen, mit 40 aufhören. Falten- und Fettpolsterfreiheit ist im Profi-Tanz das Maß aller Dinge, aber natürlich schlägt der Verfallsprozess trotzdem irgendwann zu. Kneift es hier, knackt es dort, steht ein Berufswechsel an. Jahrelange Bühnenerfahrung samt Riesenfundus an Bewegungswissen sind plötzlich null und nichtig, ästhetisches Raffinement und theatralische Ausstrahlung nutzlose Accessoires. Es sei denn, es kommt jemand wie die Juristin Madeline Ritter daher, die so pragmatisch wie pluralistisch denkt. Wieso, hat sie sich vor vier Jahren gefragt, verabschieden sich Tänzer so früh von ihrem Metier - oder werden unsanft daraus entfernt? Ritter gründete Dance On, ein sechsköpfiges Tanzensemble. Wesentliches Aufnahmekriterium: Die 40er-Schwelle muss überschritten sein. Binnen kurzer Zeit hat das Sextett enorme Schubkraft entfaltet und eine Pionierleistung vollbracht. Angefangen von "7 Dialogues" über "Water between three hands" bis hin zu "Man made" entstand ein kleines, maßgeschneidertes Repertoire für reife, sprich: ausdrucksstarke und selbstbewusste Tänzer. Die Kunst dieser Ausnahme-Crew lässt sich nun eine Woche lang en suite besichtigen, beim Festival "Out of Now", das im Berliner Theater Hebbel am Ufer stattfindet. Ab 28. Februar wird dort ein Best-of-Programm präsentiert und zugleich das Premierenkarussell weiter gekurbelt, auf dem der Regisseur Rabih Mroué ein taufrisches Stück namens "Elephant" platziert. Dazu gibt es Tanz-Workshops und Diskussionsrunden für jedermann, die nicht nur körperliche Limits erkunden, sondern den Blick schon mal aufs Unausweichliche lenken. Etwa auf die Frage: "Wie wollen wir im Alter leben?"

Das Dance-On-Team hat sich für die nächste Daseinsphase mehr Flexibilität verordnet. Es will projektweise und mit Gästen arbeiten, auf Festanstellung verzichten. Fehlt nur noch die Weiterfinanzierung. Die soll demnächst der Haushaltsausschuss des Bundestages richten. Was eine ziemlich sichere Nummer sein dürfte, denn dem Zauber dieser Tänzer müssen selbst ausgebuffte Zahlenfüchse erliegen.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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