Ballett:Lust und Frust, schleierlos

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Tanz mit dem Kopf des Propheten: Elisa Badenes als Titelheldin in Demis Volpis Stuttgarter "Salome". (Foto: Bernd Weißbrod/dpa)

Demis Volpi choreografiert Oscar Wildes "Salome" in Stuttgart - und verrät den Stoff an den Kitsch.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Ein bluttriefender Pappmaschee-Schädel eignet sich nicht zum Cunnilingus. Wie sehr sich frau auch in wollüstigen Konvulsionen aufbäumt, das abgeschlagene Prophetenhaupt zwischen den Schenkeln - die ungeheuerliche Leichenschändung als Akt der Selbstbefriedigung schafft hier nicht mehr als unfreiwillig komischen Jahrmarkt-Grusel. Elisa Badenes, Erste Solistin beim Stuttgarter Ballett, mimt Salome mehr, als dass sie die Figur tanzte. Denn den "Tanz der Sieben Schleier" verweigert die Tochter der Herodias ihrem lüsternen Stiefvater Herodes, tändelt minutenlang untätig herum. Das abgeschlagene Haupt des eingekerkerten Propheten Jochanaan hat sie ja blanko als Vorschuss bekommen. Sie folgt damit Vivien Arnolds absurder Dramaturgen-Erkenntnis, wonach Salomes schnödes "Tänzchen" Ausdruck weiblicher sexueller Selbstbestimmung sei. Für ein Ballett aber ist es tödlich, wenn im entscheidenden Moment nichts passiert.

Was für ein Stoff! Und dennoch haben sich nur wenige Choreografen an die "Salome" herangetraut, vielleicht aus der Einsicht heraus, dass jede Form von Bühnen-Naturalismus notgedrungen ins Lächerliche kippt. In der herrlichen Oper von Richard Strauss gerät der Schleiertanz für alle Sängerinnen zur potenziell lachhaften Zitterpartie, die allerdings musikalisch mehr als wettgemacht wird durch die finster lodernde Arie "Ach, ich habe Deinen Mund geküsst, Jochanaan", die wiederum für gewöhnlich auch an eine blutige Trophäe aus dem Malersaal adressiert ist. Heute hätte man andere Möglichkeiten.

Loie Fuller tanzte anno 1907 Salome als sinnlichen Rausch aus Tüchern und Licht. Was an Choreografien folgte, steht allenfalls im Ballettlexikon. Und nun kommt Demis Volpi, Stuttgarter Haus-Choreograf, viel gelobt als Schöpfer der Literaturadaption von Otfried Preußlers "Krabat", und inszeniert die "Salome" als Ausstattungskitschrevue auf und vor einer lackschwarz glänzenden Palast-Treppe. Das Ganze wirkt wie ein müder Abklatsch der "Rocky Horror Picture Show" und der promiskuitiven Videoclips von Madonna.

Frau Mond, die wunderbar geschmeidige, chiffon-umhüllte Alicia Amatriain, muss sich auf vielfältigste Weise zur Sichel biegen und bescheint silbern eine choreografisch unbeholfen buchstabierte Orgie mit Lustknaben und einem sonnenbebrillten Pop-Herodes im Rollstuhl, ein Gewusel letztlich biederer Anleihen bei Jean Paul Gaultier- und Christian Lacroix. Salome turnt als Garçonne mit Kurzhaarschnitt und Jumpsuit frech vornweg oder grapscht an dem bis aufs Suspensorium nackten Jochanaan, David Moore, herum.

Und wieder ist es die Musik, die diese "Salome" zwar nicht rettet, aber wenigstens über die so bunte wie einfallslose Zeitschinderei Demis Volpis hinwegträgt. Dafür sorgt der beherzte Zugriff, mit dem der Dirigent James Tuggle das längst schon in Minimal Music versierte Staatsorchester Stuttgart in den bisweilen pathetisch aufwallenden Kompositionen von John Adams, Vladimir Martynow, Christos Hatzis und Philippe Ohl/ Thomas Höfs zu klar strukturierter Dynamik anleitet. Und nicht zuletzt Tracy Silverman, ein Akrobat an der E-Violine, der mit seinem Spiel jene Spannung erzeugt, die der Aufführung insgesamt fehlt.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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