Ballett:Im Kopf des Kindes

Peter Pan

Kämpfen miteinander in knöchelhohem Nass: Peter Pan und Kapitän Hook (Russell Lepley und David Valencia, Mitte) zwischen Indianern, Piraten und Feen.

(Foto: Marie-Laure Briane)

Das Gärtnerplatztheater präsentiert die Uraufführung des Ballettmärchens "Peter Pan" im Cuvilliéstheater. Der Choreograf Emanuele Soavi findet grandiose Bilder - und lässt seine Tänzer im Wasser agieren

Von Barbara Hordych

Den Ring sehe er als " zentrale ikonografische Bewegung", die seine ganze Inszenierung zusammenhalte, sagt Emanuele Soavi. Er ist der Choreograf des Ballettmärchens "Peter Pan", einem Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz, das an diesem Dienstag Premiere im Cuvilliéstheater hat. "Die Indianer folgen den Piraten, die Piraten folgen den Kindern, die wiederum bei den Indianern auf Nimmerland landen - und schon hat sich der immerwährende Kreis geschlossen", erzählt Soavi nach der Hauptorchesterprobe in einer Loge des Cuvilliéstheaters. Lebhaft unterstreicht der Italiener, der beim Sprechen mühelos zwischen Englisch und Deutsch hin- und herspringen kann, mit Kreisbewegungen seiner Hände seine Worte. Der in Köln lebende Tänzer-Choreograf, der 2012 sein eigenes Label "emanuelesoavi INcompany" gründete, kooperierte für Peter Pan erneut mit dem Niederländer Han Otten, einem gefragten Komponisten und Sounddesigner für Film, Fernsehen - und Tanztheater. Dem Münchner Publikum dürfte er durch seine regelmäßige Zusammenarbeit etwa mit dem weltberühmten Choreografen Jiří Kylián bekannt sein.

Nachdem ihm das mit dem Ring einmal klar geworden war, lag es für Soavi nahe, wie er den Ausbruch, oder besser den Ausflug, der Geschwister Wendy, Michael und John Darling aus ihrer bürgerlichen Kinderzimmerwelt gestalten könne. Die präsentiert sich den Zuschauern am Anfang des Stücks als ein in Grautöne getauchtes 60er-Jahre-Interieur mit schräger Wand und weit geöffnetem Fenster. Idyllisch scheint das geschwisterliche Spiel, wenn die drei Kinder auf ihren Betten herumspringen, sich die Kissen übermütig gegenseitig um die Ohren hauen. Unterschwellig klingt aber doch eine gewisse Gefahr an, elektronischer Sound mit metallischen Tönen, der stark an Hitchcock'sche Suspense-Filmmusik erinnert, drängt sich immer wieder in die Orchestermusik. Kein Zweifel, das musikalische Mit- und Gegeneinander kündigt etwas an, was diese heile bürgerliche Familienwelt durcheinanderwirbeln wird. Und sorgt zugleich für eine irrlichternde Atmosphäre. Ein dramatisches Konzept, das sich schon bei der Hauptprobe als äußerst gelungen erweist. Zunächst sind es erst einmal die Eltern, die kräftig umeinandergewirbelt werden von ihren Sprösslingen. Dabei wächst sich in einer wunderbar surrealen Tanzszene die Krawatte des Vaters zu einem immer länger werdenden Strang aus, mit dem die Kinder schließlich ihn (und später auch die Mutter) umwickeln. In dem Vater "nur eine Krawatte zu sehen", sei natürlich sehr stilisiert, räumt Soavi ein. Solle aber die gesellschaftlichen Zwänge versinnbildlichen, in denen Erwachsene eben steckten.

Das alle Regeln verlachende Gegenprinzip verkörpert Peter Pan, der kurz darauf das Kinderzimmer entert: Artistisch schwingt er sich mithilfe eines Rings durchs Fenster; ein Pendant dieses Fluggeräts in Form eines großen Hula-Hoop-Reifens präsentiert Wendys Bruder John stolz dem Besucher. Ein Indiz für den Freiheitsdrang, der immer schon auch in dem Jungen mit dem Zylinder steckte? Jedenfalls versucht man gemeinsam, Peters Schatten habhaft zu werden, den er und seine Begleiterin, die Fee Tinkerbell, in dem Kinderzimmer suchen. Und hier offenbart sich die Kraft der grandiosen Bilder, die Soavi bei seiner Tanzadaption des Stoffes zu entwickeln vermag: Agiert der flüchtige Schatten anfangs noch ganz brav als Spiegelbild von Peters Bewegungen, verselbstständigt er sich alsbald immer mehr. Plötzlich vervielfacht er sich sogar, bis schließlich ein Dutzend schwarzer Schatten in einem unheimlichen Treiben mit originellen Bewegungsformen die Szenerie bevölkern.

Ein faszinierender choreografischer Einfall, "der für mich den dunklen Moment der Geschichte betont", sagt Soavi. Die Multiplikation von Peter Pan, "der auf einmal überall ist, zeigt, was im Kopf eines fantasievollen Kindes alles passieren kann". Das Rätselhafte ist schon immer höchst anziehend gewesen - und so zögern die drei Geschwister nicht lange, als von der Decke drei große Ringe auf sie heruntergelassen werden. Entschlossen greifen sie zu - um mit Peter Pan, dem Jungen, der niemals erwachsen werden will, nach Nimmerland zu entschweben.

Das Eiland, Handlungsort des zweiten Teils, liegt inmitten von Wasser. Wasser ist es denn auch, was bald über den ganzen Bühnenboden schwappt - so dass die Kampfchoreografien zwischen Indianern, Piraten, Peter Pan und seinen Gefährten in knöchelhohem Nass stattfinden. Da wird quer über die Bühne gerutscht, geplatscht und gepladdert, dass es eine Freude ist. Und es wie ein Wunder erscheint, dass sich bei den wilden, gleichzeitig auch fein abgestimmten Interaktionen zwischen Peter und Kapitän Hook, zwischen Tinkerbell und Hooks' Handlanger Smee, bei den leidenschaftlich miteinander ringenden Emotionen niemand verletzt. "Eine große Herausforderung für die Tänzer", sagt Soavi. "Wir haben im Trockenen angefangen, dann das Ganze mit Wasser geprobt, dabei auch festgestellt, welche Bewegungen zu gefährlich für die Tänzer waren." Wie auch in seinen anderen Arbeiten lag sein Fokus dabei "nicht auf der Pantomime, sondern auf der Klarheit der Bewegung", sagt Soavi.

Er selbst sieht sich als großer Verfechter der Fantasie. Weshalb er sich für seine Tanztheater-Adaption auch ein anderes Ende ausgedacht hat als jenes, das Autor James Matthew Barrie ursprünglich vorgegeben hat. "Ich sage mal so: Bei mir bleibt das Fenster zur Fantasie immer geöffnet." Deshalb stecken bei ihm zum guten Schluss - wortwörtlich - alle unter einer Decke.

Peter Pan, von 6 Jahren an, Premiere, 3. Mai, 18 Uhr, Cuvilliéstheater, Residenz, 21 85 19 60

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