Ballett:Dreiklang mit Hindernis

Ballett: Der Chef tanzt selbst: Goyo Montero, der Nürnberger Ballettdirektor, stellt sein jüngstes Stück "111" vor, mit dem er zu seinen Anfängen zurückkehrt.

Der Chef tanzt selbst: Goyo Montero, der Nürnberger Ballettdirektor, stellt sein jüngstes Stück "111" vor, mit dem er zu seinen Anfängen zurückkehrt.

(Foto: Bettina Stöß)

Choreografien von Inger, Montero, Naharin und ein kleiner Schwelbrand in Nürnberg

Von Florian Welle, Nürnberg

Tom Waits knarzt "Make It Rain", und der Vorhang fällt. Eine Viertelstunde nach Vorstellungsbeginn werden die Zuschauer aufgefordert, das Opernhaus zu verlassen: Feueralarm. Draußen heißt es dann im Schatten eines Feuerwehrgroßaufgebots erst einmal eine Stunde Warten auf Waitsˈ. Zum Glück bei schönem Wetter. Erst wird Sekt gereicht, danach steht fest, dass die Ballettpremiere "Dreiklang: Inger/Montero/Naharin" doch stattfinden kann. Der Schwelbrand in der Technik ist gelöscht.

Das Publikum geht sichtlich erleichtert zurück auf seine Plätze, und "Rain Dogs" von Johan Inger beginnt noch einmal von vorne. Das Stück des Schweden, das sich den Nachtgestalten des Lebens annimmt und 2011 in Basel uraufgeführt wurde, hat, passend zum Thema, Lieder aus allen Schaffensperioden von Tom Waits als Grundlage. Es beginnt ausgelassen. Zu dem lässig swingenden "Step Right Up" sehen wir neun leicht verlottert gekleidete Frauen und Männer. Doch was heiter beginnt, verdüstert sich zusehends. Vollführten die Tänzer gerade noch fröhlich-vitale Bewegungen, geraten sie bald ins Schlingern. Liebespaare trennen sich, zurück bleibt der verlorene Mensch. Zweiter Fluchtpunkt der bewegenden, aber nie kitschigen Choreografie ist das Thema Cross-Dressing: Männer in Frauenkleidern, Frauen in Herrenanzügen. Inger zeigt auch diese Menschen als Suchende.

Auf "Rain Dogs" folgte die einzige Uraufführung des Abends. Goyo Montero stellte sein jüngstes Stück "111" vor, mit dem er quasi zu seinen Anfängen zurückkehrt. Alles gehorcht der Reduktion: der Tanz, die Kostüme, das Licht, die Bühne. Schwarz und weiß, Licht und Schatten. Verschiebbare Wände lassen klaustrophobische Räume entstehen. Was "111" spannend macht, ist weniger das Midlife-Crisis-Thema: ein in die Jahre gekommener Mann blickt zur Musik von Beethovens letzter Klaviersonate Opus 111 auf das Leben zurück, erinnert sich seiner Begegnungen und der Frauen.

Beeindruckend ist vor allem, dass der Nürnberger Ballettdirektor den Hauptpart selbst tanzt - zumindest noch bei den vier weiteren Mai-Vorstellungen, danach übernimmt ein Tänzer des Ensembles. Einst war Montero Erster Solist an der Deutschen Oper Berlin und Solist an der Oper Leipzig. Dass der gebürtige Madrilene, Jahrgang 1975, nichts, aber auch gar nichts verlernt hat, zeigt er hier auf das Vollendetste. Montero paart Kraft mit Leichtigkeit. Seine Schrittfolgen sind federnd, die Drehungen elegant, die Sprünge athletisch mühelos. Tanzgenuss pur.

Der Ballettabend unter dem Obertitel "Dreiklang" ermöglicht es, Arbeiten renommierter ausländischer Choreografen kennenzulernen. Den Abschluss bildet Ohad Naharins "Minus 16". Der heute 62-jährige Israeli entwickelte vor langer Zeit die sogenannte "Gaga"-Methode, ein Trainingsprinzip, das Wert legt auf Improvisation, Freiheit, Instinkt. In der Musik gibt es Medleys. Dementsprechend könnte man "Minus 16", 1999 uraufgeführt, als Ballettley verstehen. Naharin mischt darin Auszüge seiner Choreografien zu einem neuen Ganzen. Es geht in jeder Hinsicht überraschend, bunt und wild zu. Mal ist das Ensemble im Mambo-Fieber, mal zappelt es zu harten Technobeats, holt einzelne Zuschauer auf die Bühne und fordert sie zu einem improvisierten Tänzchen auf. Mitmachballett. "Dreiklang: Inger/Montero/Naharin" setzt das Publikum einem Wechselbad der Gefühle aus. Ungewöhnlich und sehenswert.

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