Bachmann/Henze "Briefe einer Freundschaft":Veramente todschick

Davor müsste ein großes Als-Ob stehen: Der Briefwechsel des kuriosen Freundespaars Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze sublimiert die Caprilaune der frühen Bundesrepublik nur geringfügig.

Von Volker Breidecker

Schriftstellern, so bekannte Thomas Mann, falle das Schreiben schwerer als anderen Menschen. Nichts quäle den Dichter mehr als die Form, schrieb Ingeborg Bachmann unter Berufung auf Giuseppe Ungaretti. Dieser hatte seine Dichtungen unter dem Titel "Leben eines Mannes" gesammelt, mehr Biographie sollte nicht sein. Die Gedichte nannte er "seine formalen Qualen", weil er von der Form verlangte, "dass sie den Veränderungen seines Sinns, seines Gemüts entspreche". In der Mitteilung ihrer Gefühle sind Dichter oft wortkarg bis zum Verstummen.

Bachmann/Henze "Briefe einer Freundschaft": Komponist Hans Werner Henze, ein Freund und Vertrauter von Ingeborg Bachmann.

Komponist Hans Werner Henze, ein Freund und Vertrauter von Ingeborg Bachmann.

(Foto: Foto: dpa)

So auch Ingeborg Bachmann, die nach einem kurzen Leben, das ihr zur Qual geworden war, im Jahr 1973 an den Folgen eines Zimmerbrands ums Leben kam. Ihr Nachlass war lange gesperrt. Die Öffnung der Archive lieferte bisher keine sensationellen Funde. Das könnte auch für ihren Briefverkehr gelten, aus dem jetzt erstmals eine größere Korrespondenz veröffentlicht wurde.

Der Briefwechsel mit dem Komponisten Hans Werner Henze, ihrem Freund und Vertrauten, zeugt von einer merkwürdigen Diskrepanz, die nicht allein dem äußerlichen Ungleichgewicht der Überlieferung geschuldet ist: Von der Bachmann sind verhältnismäßig wenig Briefe, zumeist als Entwürfe erhalten geblieben, während Henzes Briefe die Hauptmasse des Buchs ausmachen.

Der Eindruck, dass hier ein höchst ungleiches Paar in platonischem Enthusiasmus zueinander fand, stellt sich auch unabhängig von der unterschiedlichen Zahl und der Länge der Briefe her: Die beiden gleichaltrigen Freunde - beide gehören dem Jahrgang 1926 an - erweisen sich trotz ihrer spirituellen Verbundenheit als so verschieden, wie Frau und Mann es überhaupt nur sein können, so verschieden auch wie die Geschwisterkünste Poesie und Musik. Auf Dauer konnten sie nicht zusammenkommen. Fast wie ein experimentum crucis zeugt davon ihre Korrespondenz.

Deutschland sieben Jahre nach dem Krieg. Auf einer Burg bei Göttingen tagt die "Gruppe 47": "liebes fräulein bachmann", schreibt dort, offenbar mit der Hauspost, der bereits international erfolgreiche Henze in konsequenter Kleinschreibung an die junge Autorin; er lobt ihre Gedichte als "schön, und traurig", bevor er den Brief mit einem koketten "adieu" beschließt.

Veramente todschick

Im darauf folgenden Frühjahr 1953 ergeht die erste Einladung nach Italien, wo Henze sich dauerhaft niedergelassen hat. Bald ist auch von einer Ehe die Rede, genauer von ihrem vorweggenommenen Scheitern. Von solchen Verletzungen und Krisen der Beziehung unberührt bleiben die Zuneigung und künstlerische Zusammenarbeit der beiden: Der Komponist vertont Gedichte seiner Freundin, und diese beliefert ihn mit Libretti für Klangwerke.

Geschrieben - und schon da bestimmt der Neutonmeister die Stimmlage - wird vorwiegend in der Sprache des Landes, in dem man sich gerade aufhält, vorzugsweise auf Italienisch, wenn auch ohne Rücksicht auf die Grammatik. Dieser geliehenen Internationalität entspricht bei Henze ein Kosmopolitismus auf Pump, das hochfahrende Protzen mit schnellen Autos und anderen Luxusobjekten ("così blasé, veramente todschick").

An solchen Stellen, auch überall da, wo das Zitronenland in rauschbereite Bläue getränkt wird, folgt der Briefwechsel der Caprilaune seiner Zeit, die er literarisch nur wenig sublimiert.

Kokettes Siel mit fremden Sprachgebärden

Unterhalb des koketten Spiels mit fremden Sprachgebärden wird jedoch deutlich, dass die mit ihnen eröffneten Möglichkeiten zur emotionalen Einlassung oder Entlastung von beiden Briefpartnern ganz unterschiedlich gehandhabt wird. Henze vermag Nähe zu suggerieren, wo er auf Distanz sinnt, und umgekehrt, während die Bachmann Gefühle äußert, für die ihr die Worte sonst fragwürdig werden müssten: "Sono molto funny, ma infelicissima come tutte le young girls!"

Vor dem von Henze beanspruchten Leidensprimat, der ihm den ersten Platz im Depressionswettbewerb garantieren soll, hat "La Bachmanita" ohnehin kapituliert; sie übt sich in liebenswürdiger Bescheidenheit ("Da schau"), während der andere einen schwadronierenden, mitunter sogar lyrischen Umgang mit der Sprache pflegt und sich zu preziösen Klimmzügen emporschwingt.

Unangefochten bleibt auch der ästhetische Vorrang des Tonsetzers vor der Librettistin: Er verlangt von Ihr "schöne vokale", deren musikalische Form er bereits im Kopfe hat, und bedankt sich für "eines der schönsten gedichte der welt", bei dem es ihm "fast leid" täte, "es durch töne zu ruinieren". Aber eben nur "fast" - so wie in diesem Briefwechsel, der auch ein scharfes Licht auf die Archäologie und die Mentalitäten der alten BRD wirft , vor beinahe jedem Satz ein "Als-ob" stehen könnte.

Ingeborg Bachmann / Hans Werner Henze Briefe einer Freundschaft Herausgegeben von Hans Höller, mit einem Vorwort von Hans Werner Henze. Piper Verlag München, Zürich 2004. 538 Seiten, 24,90 Euro.

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