Axel Milberg ist "Doktor Martin":Ohne Moralfilter

"Der Angelsachse tapst mit Freude in Fettnäpfchen", sagt Axel Milberg und in seiner Rolle als "Doktor Martin" (ZDF) darf er jedes einzelne mitnehmen. Milberg spricht über britischen Humor, "No Goes" und Ostfriesen in Frauenkleidern.

Christopher Keil

Die meisten Fernsehversuche, britischen Humor ins Deutsche zu übersetzen, sind grandios gescheitert. Offensichtlich hat sich auch das ZDF nicht vertraut, als es vor zwei Wochen die Arzt-Serie "Doktor Martin" ins zuschauerarme Sommerprogramm schickte. Die Geschichten des Landarztes "Doc Martin" aus Cornwall waren in England bereits in der dritten Staffel zu sehen und ein großer Erfolg. Dass die deutsche Version, für die im Wesentlichen die Originaldrehbücher übersetzt wurden, lustig anzuschauen ist, hat vor allem mit Axel Milberg zu tun. Milberg, 51, bekannt für seine schrullige "Tatort"-Figur Borowski aus Kiel, erweist sich als stilsicherer Traditionalist der angelsächsischen Schauspielkomik. Nach der kann weniger im richtigen Augenblick mehr sein. Milbergs Doktor Martin kuriert die Menschen im ostfriesischen Städtchen Neuharlingersiel. An diesem Mittwoch ist die dritte von sechs Episoden zu sehen (20.15 Uhr). Es geht um verseuchtes Wasser und verseuchte Egos. "Der Angelsachse tapst mit Freude in Fettnäpfchen", sagt Milberg. Doktor Martin lässt keines aus.

Axel Milberg ist "Doktor Martin": "Doktor Martin" soll vor zu viel Quotengerangel geschützt werden und läuft deswegen in den Sommermonaten. "Gegen 'Big Brother' oder 'Deutschland sucht den Superstar' sind wir zu britisch, zu leise", sagt Milberg.

"Doktor Martin" soll vor zu viel Quotengerangel geschützt werden und läuft deswegen in den Sommermonaten. "Gegen 'Big Brother' oder 'Deutschland sucht den Superstar' sind wir zu britisch, zu leise", sagt Milberg.

(Foto: Foto: ZDF)

SZ: Herr Milberg, das, was den Sendern lieb und teuer ist, wird im Herbst, im Winter oder im Frühjahr ausgestrahlt. Warum mischt das ZDF "Doktor Martin" unter die beinahe flächendeckenden Sommerwiederholungen?

Axel Milberg: Beim ZDF sagen sie mir, dass sie "Doktor Martin" lieben, und weil sie ihn lieben, zeigen sie ihn im Sommer - um ihn zu schützen, vor zu viel Quotengerangel.

SZ: Die ersten beiden Episoden sahen 3,2 Millionen Menschen. Im November wären vielleicht fünf Millionen drin?

Milberg: Wenn wir im Herbst, im Winter gegen "Big Brother" oder "Deutschland sucht den Superstar" kommen, sind wir zu britisch, zu leise.

SZ: In England wurde "Doc Martin" erfolgreich in der dritten Staffel gezeigt. Der deutschen Version liegen die Originaldrehbücher zugrunde. Konnte man die einfach so ins Deutsche übertragen?

Milberg: Wo England stand, ist Deutschland reingeschrieben worden, wo London stand, Berlin, wo Cornwall war, Ostfriesland, und statt eines alten Generals sieht man bei uns einen alten Kapitän.

SZ: Sie spielen diesen stadtflüchtigen Landarzt zuweilen wie den noch gestörteren, älteren Bruder von Kiels "Tatort"-Kommissar Borowski.

Milberg: Er ist ein Bruder aller meiner Rollen, insofern auch ein Bruder Borowskis. In "Doktor Martin" versammelt sich, was ich gut finde: Es wird nicht so viel gelächelt, nicht so nett durchmoderiert. Doktor Martin ist ein Mann, den man nicht so schnell vergisst, weil man nie weiß, was im nächsten Moment passiert.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum Axel Milberg einen britischen Blick auf die Welt hat.

SZ: Wie war Ostfriesland? Sie haben in Neuharlingersiel gedreht.

Milberg: Ganz geheimnisvoll. Wenn man in so einem Dorf ist, begegnet man einer Reihe von schrägen Vögeln. Man denkt immer: Friesland besteht aus Bauern und Touristen. Aber es gab zum Beispiel einen Hoteldirektor, so um die 30, der lief immer in Frauenkleidern herum. Und der ist voll akzeptiert.

SZ: Noch einmal: Wie lässt sich britischer Humor ins Deutsche übertragen?

Milberg: Wir reden darüber, ob es überhaupt gelungen ist?

SZ: Auch.

Milberg: Es gehört mit zu dem Schönsten, das ich gemacht habe.

SZ: Ihre These ist: Das Gute konsequent kopieren?

Milberg: Vom Guten das Beste erhalten.

SZ: Was ist "Doktor Martin" humormäßig?

Milberg: Comedydrama, Dramedy oder Coma.

SZ: Koma?

Milberg: Comedy Drama, also Coma, und Dramedy: Comadramedy, würde ich sagen. Aber ich kann's nicht beurteilen.

SZ: Okay.

Milberg: Ich hätte es im Schnitt gerne etwas schneller gehabt. Der Vorteil ist, dass wir das ZDF-Publikum nicht mit Videoclip-Ästhetik verschrecken, wie man jedenfalls bisher erkennen kann.

SZ: Warum brauchen die Deutschen so oft Humorhilfe aus angelsächsischen Ländern?

Milberg: Keine Ahnung. Vielleicht, weil unsere Autoren meistens von Fernsehredakteuren betreut werden, die alles durch einen Moralfilter drücken. Am Ende wird dir zu viel erklärt. Du verlierst die Lust, weil du alles verstanden, alles verziehen hast. Der Böse ist nicht mehr schwarz, sondern grau. Der Gute ist nicht mehr weiß, sondern auch grau. Und immer wird diskutiert, ob die negativen Figuren nicht sympathischer sein müssen.

SZ: Aber Sie haben den britischen Blick auf die Welt?

Milberg: Ich persönlich: ja. Wir sind umstellt von "No goes", von Tabus, von Fettnäpfchen, in die der Angelsachse mit großer Freude hineintapst.

SZ: Und was sehen Sie so Lustiges in Ihrer Welt?

Milberg: Ich war mal in Venedig, bin in eine Kirche gegangen, auf Giudecca, wo eine Frau, die Frau des Küsters möglicherweise, etwas im Altarbereich putzte und dann hinter dem Altar in einer Tür verschwand. Bald darauf kam ein übergewichtiger Jugendlicher in einem Trainingsanzug. Kurz fiel das Sonnenlicht in den Kirchenraum. Ich drehte mich um, weil die Tür knarrte und sah, wie der übergewichtige Jugendliche auf dem Weg zum Altar - vielleicht auf der Suche nach seiner Mutter - plötzlich innehielt. Er dachte offenbar: ,Scheiße, ich habe mich noch nicht bekreuzigt', und er machte . . . (Milberg steht auf, bekreuzigt sich mit der rechten Hand und kratzt sich in der Pofalte seiner Hose) . . . er machte die heilige Vierfaltigkeit. Es juckte ihn im Hintern, und ohne die fromme Geste abzusetzen, linderte er seine Qual. Das so zu sehen, ist britischer Humor oder schwedischer, völlig egal. Das Erhabene, das Niedere, das Tragische und das Komische existieren nebeneinander. Das ist das Leben.

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