Avantgarde:Postkolonialer Nonsens

Neue Fragen, keine Antworten: Hat der Dadaist Karl Waldmann gelebt oder ist er erfunden? In Dresden tritt sein Galerist auf, macht viele Worte und gibt keine Antwort. Aber das "Kunsthaus" kündigt eine Prüfung an.

Von Thomas Steinfeld

Der belgische Kunsthändler Pascal Polar ist ein kleiner Mann in den Fünfzigern, der zu seinem Anzug ein buntes Hemd trägt und stundenlang reden kann. Er erzählt, wie er die Bekanntschaft eines geheimnisvollen französischen Journalisten machte, der ihn zu einem ungeheuer großen Schatz der modernen Kunst führte: Aus zwei Blättern, die der Journalist im Jahr 1989 zufällig auf dem "Polenmarkt" in Berlin fand, wurden 1209 Kunstwerke, die alle in einem Karton verwahrt wurden - in einer konspirativen Wohnung irgendwo in oder bei Dresden. Karl Waldmann soll der Künstler heißen. Ein Dresdner soll er gewesen sein, und gelebt haben soll er zwischen den Jahren 1890 und 1958 (SZ vom 27. August).

Ungefähr zwanzig Blätter aus dem Werk Karl Waldmanns hat der Galerist aus Brüssel nach Dresden mitgebracht; es sind Collagen aus Ausschnitten aus Zeitungen der Jahre 1920 bis 1950. Sie liegen im Foyer des "Kunsthauses", auf einem Tapeziertisch. Der Kunsthändler projiziert weitere Bilder auf die Leinwand und hört nicht auf, den darin enthaltenen Reichtum an politischen Anspielungen zu loben. Sie sollen tief in das Innere der Weimarer Republik, des Dritten Reichs und des Stalinismus führen, bis hin zu deutschen Fechterinnen und ihren jüdischen Müttern. Unglaubliche Recherchen scheint der Galerist unternommen zu haben. Aber je länger er redet, desto größer wird der Verdacht, man müsse dem Schöpfer dieser Werke schon sehr nahe gekommen sein, um so über ihre Tiefenstruktur sprechen können. Und der Zweifel wächst weiter, weil die politische Kunst des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, besonders wenn sie mit Collagen arbeitete, eine Kunst der klaren Botschaften war und nicht eine Kunst der raffinierten Anspielungen.

So viele Bilder, um zu betrügen? Das wäre doch auch mit weniger Aufwand zu haben gewesen

Eine Frage, die entscheidende Frage, beantwortet Pascal Polar nicht: Ob man sicher weiß, dass es diesen Karl Waldmann überhaupt gab und dass er dieses Werk geschaffen hat. Ein Mitarbeiter des Dresdner "Kunsthauses", in dem gegenwärtig elf Arbeiten dieses Künstlers ausgestellt sind, hat die Archive durchsucht, die Adressbücher jener Zeit und die Register einschlägiger Geschichtsbücher: Er fand Menschen dieses Namens in Aue und in Zwickau, er fand einen Wilhelm Kessler, der sich ein solches Pseudonym hätte geben können, er fand Sozialdemokraten in faschistischer Zeit, die auch Karl Waldmann hießen. Aber er fand niemanden, der als Künstler und Schöpfer dieser Werke infrage gekommen wäre.

Und wie wahrscheinlich ist es auch, dass jemand, der offensichtlich propagandistische Kunst betreiben will, dies ausschließlich im Verborgenen tun sollte - oder, allgemeiner gesprochen, dass ein Künstler, dem eine solche Bedeutung zugeschrieben wird, bislang nicht ein einziges Mal in Erscheinung getreten sein soll, sondern sein Werk jahrzehntelang versteckt blieb, verwahrt in nur einem Karton?

Pascal Polar aber lässt sich nicht irritieren. Er sei Naturwissenschaftler, sagt er, er sei von zwei Nobelpreisträgern unterrichtet worden, persönlich, in Physik und in Chemie. Ein Kunsthistoriker aber sei er nie gewesen. Er sei deshalb gewohnt, vom Nichts auszugehen und Tatsachen als solche zu betrachten. Eine Tatsache aber sei dieses Werk. Es sei doch unvorstellbar, erklärt er, dass jemand ein solchermaßen großes Œuvre geschaffen habe, nur um damit zu betrügen - das hätte man doch mit geringerem Aufwand haben können.

Auf der Webseite der Galerie sind 149 Verkäufe verzeichnet, der Durchschnittspreis liegt bei zehn- bis zwanzigtausend Euro. Befragt nach dem amerikanischen Kunsthändler Walter Maibaum, der auf der Website des virtuellen "Karl Waldmann Museums" als Gewährsmann auftritt und der sich nie von dem Verdacht hat befreien können, Dutzende Plastiken des Impressionisten Edgar Degas fabriziert zu haben, verweist Polar auf die überwältigend große Bibliothek seines Kollegen.

Das Landeskriminalamt prüft nun, ob ein Fall von Urkundenfälschung vorliegt

Die Pressekonferenz wurde eigens einberufen, um die Frage "Karl Waldmann - Entdeckung oder Erfindung" zu klären. Es ist ein Akt der Verantwortung, die ein Museum zu tragen hat. Die Direktorin des "Kunsthauses" und die Kuratorin der Ausstellung kommen jedoch kaum zu Wort. Sie hätten sich dazu äußern können, welchen Grund es gegeben habe, Karl Waldmann in einer Ausstellung zu präsentieren, bei der es ansonsten um das kolonialistische Erbe der Ethnografie geht. Oder ob es ausreiche, einen männlich weißen Blick auf einen schwarzen Körper zu zeigen, damit ein Werk sich als kritische Auseinandersetzung mit westlicher Hegemonie qualifiziert. Und man hätte sich schließlich dafür interessiert, ob es unter den Kuratoren zeitgenössischer Kunst mittlerweile einen "postkolonialen" Konsens gibt, der sich um Fragen der Provenienz wenig schert, wenn die Gesinnung nur in die passende Richtung zeigt.

Das "Kunsthaus" reagiert nun immerhin erstmals auf das offensichtlich vorhandene Problem der Provenienz. Zum ersten Mal soll ein Blatt aus dem Œuvre "Karl Waldmanns" papiertechnisch untersucht werden. Vierzehn Jahre schon werden Bilder aus diesem Konvolut öffentlich ausgestellt. Es habe für eine solche Prüfung an Geld gefehlt, sagt Pascal Polar, außerdem sei der "semantische" Beweis für die Echtheit des Werkes so überwältigend, dass sich die Frage nach dem Material erübrige. Und überhaupt: Wer, fragt die Kuratorin, wäre denn geschädigt worden, wenn sich das Œuvre als Mystifikation entpuppte? Wer immer bereit gewesen sei, für diese Blätter Geld auszugeben, habe um die Fragwürdigkeit des Werkes gewusst. Doch einmal abgesehen davon, dass ein Blatt aus diesem Konvolut durchschnittlich knapp 15 000 Euro kostet, kann es weder der Kunstgeschichte noch der Kritik, weder der Wissenschaft noch der Kunst gleichgültig sein, ob man es mit Werken zu tun hat, die wirklich sind, was sie zu sein behaupten. Und schließlich hat auch der Markt kein Interesse daran, einen Sack zu kaufen, in dem sich womöglich nicht einmal eine Katze befindet.

Auch der Justiz ist die Frage nach der Echtheit dieses Werkes nicht gleichgültig. Nach der Anzeige eines Berliner Galeristen prüft das Landeskriminalamt, ob es sich hier um einen Fall von Urkundenfälschung oder gar Betrug handelt. Bis all diese Fragen geklärt sind, empfiehlt es sich, Werke mit der Signatur "K.W." nicht zu kaufen, nicht zu verkaufen und vor allem - sie nicht in öffentlichen Ausstellungssälen zu zeigen. Karl Waldmann und sein Werk gehören bis auf Weiteres in Quarantäne.

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