Autos nach dem Diesel-Urteil:Zur Gefahr degradiert

Autos nach dem Diesel-Urteil: Es geht um einen Konflikt, um Täter (schlechte Diesel-Autos) und Opfer.

Es geht um einen Konflikt, um Täter (schlechte Diesel-Autos) und Opfer.

(Foto: Alessandra Schellnegger; Bildcollage Jessy Asmus/SZ)

Ein neues Auto - in Deutschland war das mal rauschhafter Sex und heiliges Sakrament in einem. Inzwischen empfinden wir die Karossen als etwas, das uns vergiftet und von Terroristen missbraucht wird. Was ist passiert?

Von Gerhard Matzig

Vielleicht muss man erst von der früheren großen Liebe und von der amourösen, gelegentlich auch pathologischen Leidenschaft erzählen, um den Hass, der daraus geworden ist, besser verstehen zu können. Wobei einem nun auch der Hass durchaus pathologisch vorkommt. Womit man die BMW-Welt in München betritt.

Das ist ein prunkvoller Auto-Palast im Norden der Stadt, der mehr als eine halbe Milliarde Euro gekostet hat. Palast? Eigentlich ist es eine Kathedrale. Und ein Bordell, ein Lauf- und Lusthaus.

Als das spektakuläre Gebäude in Form eines erstarrten Hurrikans vor einem Jahrzehnt eröffnet wurde, durfte man als Reporter erfahren, wie das hier so läuft. Liturgisch betrachtet. "Also", sagte der BMW-Mitarbeiter mit sehr guter Laune, "wenn Sie hier ihr neues Auto abholen, dann werden sie über diese Show-Treppe geführt wie zum Altar, und dort, auf dem Podest, steht dann ihre neue Frau, hihi, pardon, ihr neues Auto."

Weiter sagte er: "Es ist wie bei einer Hochzeit, nur dass die Braut, ihr Auto, da vorne steht. Und sie kommen dazu." So viel zum Palast, der eine Kathedrale ist - und zur Autoübergabe, die mal eine Trauungszeremonie war.

Gut zehn Jahre sind seither vergangen - und exakt in dieser Dekade wurde aus dem einstigen Lustobjekt ein Hassobjekt. Aus der Geliebten auf vier Rädern wurde der Feind, dessen Auspuffrohre nicht erst seit dem aktuellen Urteil von Leipzig (verbunden mit der Möglichkeit von Verkehrsverboten in den Städten) mit Krankheit und Elend statt mit Hingabe und Liebe assoziiert werden. Autos gelten inzwischen vielen eher als Waffe denn als Geliebte.

Deshalb doch noch kurz ein Wort zum Lusthaus, das die BMW-Welt auch ist. Wie man nämlich außerdem erfuhr beim Besuch damals, werden die Autos so raffiniert ausgeleuchtet und sie stehen zum Betrachter in einem ganz bestimmten, kalkulierten Winkel, mit eingeschlagenen Vorderrädern, dass man sozusagen ein ideales Lustobjekt vor sich hat. Ein käufliches Objekt sinnlicher Begierde. Eines mit herausfordernden Chrombrüsten und wollüstigen Blechhüften.

Der Architekt der BMW-Welt, Wolf Prix vom weltbekannten Büro Coop Himmelb(l)au, hat später noch erzählt, dass er die kurvige Rampe, die der Autoabholer schließlich mit dem neuen Auto in Richtung Ausgang fährt, gern noch etwas kurviger und insgesamt rasanter entworfen hätte. Aber die BMW-Manager hätten Angst gehabt, dass die Kunden zu erregt, zu berauscht und viel zu verliebt seien nach der "Zeremonie" - so dass sie danach in ihrer Ekstase und ihrem Liebesdelirium kaum noch geradeaus fahren könnten.

Ein Auto abholen: In Deutschland war das also einmal der reinste, rauschhafteste Sex. Und ein heiliges Sakrament in einem. Ein sehr großes, bizarres Gefühl also.

Und nun der Bruch: Als am Dienstag das wegweisende und insgesamt auch dringend gebotene, ja begrüßenswerte Urteil bekannt wurde, richteten die Fernsehteams und Bildjournalisten an den mittlerweile berüchtigten Städten Stuttgart, München oder auch Düsseldorf ihre Objektive hübsch auf die Auspuffrohre der Blechlawine. Solche Bilder transportieren immer eine Botschaft. Diesmal lautet sie: Hier lauert der Tod. Ein Auto ist nun auch etwas, vor dem man sich schützen muss.

Also: Barrikaden, Schutzwälle, Durchfahrtsverbote! Fast alle Medien zeigten die Chiffre des Verbots, den bekannten signalroten Kreis. Es ist der Bannkreis, der die einen schützt. Aber auch: die anderen aussperrt. Es geht um einen Konflikt, um Täter (schlechte Diesel-Autos) und Opfer. Zu den Opfern zählen nicht nur die durch Giftstoffe belasteten Anwohner, sondern auch die gutgläubigen Käufer von Dieselautos, die eigentlich nur Autos sind für Menschen, die mobil sein wollen oder mobil sein müssen - und keine Waffen für Gefährder und potenzielle Irre. Und alle zusammen erlebten sie das Resultat einer in vielerlei Hinsicht fatal fehlgesteuerten Verkehrspolitik, die diesen Namen nicht verdient, weil sie in Wahrheit zu Lasten aller eine an Dummheit und Fahrlässigkeit kaum zu überbietende Verkehrt-Politik ist.

Wie eine Bombe mit Sicherheitsgurt

Das könnte die Opfer auch zusammenschweißen. Aber an einem bestimmten Punkt der Eskalation gehen die Grautöne, die Zwischenstufen leicht aus. Zur Dramaturgie einer solchen Eskalation gehört dann auch der Rahmen, in dem etwas eskaliert.Und am kalten Tag der Urteilsverkündung waren die Abgase der Vehikel besonders gut zu sehen. Man hatte förmlich das Gefühl, aus den Autos kröchen toxische Schwaden.

Was ja auch stimmt. Allerdings nur für bestimmte, frühere Dieselmotoren. Die aktuelle Generation ist sehr viel sauberer. Wenn jetzt alle Autofahrer auf Benziner umsteigen, was an Hysterie grenzt, wird die Welt nicht gesünder, sondern nur noch giftiger. Eine teuflische Situation, der man nur entkäme, wenn man den Fetisch Auto insgesamt hinterfragte und zu einer Mobilität fände, die der Komplexität des Lebens Rechnung trägt, also vielgestaltig und durchdacht ist.

Bis dashin wird es zunehmend schwierig, einem Auto zu begegnen, das einem nicht wie ein potenzieller Aggressor gegenübersteht. Terroristen haben das Auto längst schon zur Waffe degradiert. Jeder Kleinlaster, den man früher mit "Bäcker" oder "Blumenlieferung" assoziiert hätte, birgt heute die unheimliche Möglichkeit, er solle vielleicht in die nächste Menschenmenge gesteuert werden wie eine Bombe mit Sicherheitsgurt.

Und abgesehen von Terroristen: Der nächste Unfall, bei dem ein Opa Bremse und Gaspedal verwechselt, um seinen Wagen in die Kita zu rammen, kommt bestimmt. Außerdem steigen die Unfallzahlen auch deshalb, weil es immer mehr jugendliche Raser gibt. Die illegalen Rennen einiger PS-getriebener Wahnsinniger bedrohen die Gesellschaft mindestens so wie der Wahnsinn des sogenannten IS.

Es ist ein Jammer, was aus dem Sehnsuchtsort Auto wurde, dieser großen Utopie der Moderne. Das Auto war neben der Industrialisierung und der Elektrifizierung jenes Versprechen, das vor allem dem Individuum galt. Das Auto war das Sinnbild für die persönliche Utopie der Freiheit. In Deutschland, kaum hatte sich der Brenner mit dem VW-Käfer als bezwingbar erwiesen, sprach das Fernweh aus Modellnamen wie "Ascona" oder "Capri". Die Hoffnung auf ein anderes Ich sprach anderswo aus dem "Mustang", der das triste Leben im amerikanischen Vorort wieder zum wilden Westen machen sollte.

Autos hatten Heckflossen, um uns als Raketen in ferne Galaxien zu befördern. Der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright brachte das utopische Potenzial der Erfindung "Auto" auf den Punkt, als er einmal erzählte, dass er grundsätzlich die Rückspiegel seiner Autos abmontiert. Warum? "Weil ich nicht wissen will, woher ich komme - sondern wohin ich fahre."

Das Leben ist kein Bond-Film und auch kein Terror-Camp

Die Futuristen feierten das Automobil als ästhetisches Ereignis (das muss wohl vor der Zeit des VW Sharan gewesen sein). Ein Rennwagen, schrieben sie in ihr Manifest am Beginn des 20. Jahrhunderts, sei schöner als eine antike Skulptur. Roland Barthes schließlich verglich das Auto mit den Kathedralen der Gotik.

Dann wurde klar, dass die Ressourcen endlich sind. Dass ein Leben als Pendler im Stau so stressig ist wie das eines Kampfjetpiloten (und zwar wissenschaftlich gemessen). Dass Autos die Städte entstellen. Dass sie giftig, gemein und gefährlich sind.

Nichts davon ist ganz richtig oder ganz falsch. Wenn die Kühlerfigur eines Rolls-Royce "Spirit of Ecstasy" genannt wird, so kommt darin doch nicht der Geist der Ekstase über uns (wie das die Queen in ihrem Dienstwagen vermutlich gern bestätigt). Aber Autos sind normalerweise auch keine tödlichen Waffen, denn das Leben ist kein Bond-Film und auch kein Terror-Camp.

Vielleicht wird es einfach Zeit, dass wir zum Auto ein vernünftiges Verhältnis entwickeln. Etwas, was zwischen Liebe und Hass liegt. Vielleicht also sollten wir alle mal in die Paartherapie. Danach können wir das Auto womöglich als das begreifen, was es ist: eine Möglichkeitsform der Mobilität. Eine unter vielen anderen Möglichkeiten. Eine mit Vergangenheit und Zukunft. Eine, die man weder lieben noch hassen sollte. Es gab schon schlechtere Beziehungen.

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