Autorinnen-Debüt:Alpen-Apokalypse

Autorinnen-Debüt: Anna Mocikat wählte ganz bewusst eine Frau als Hauptfigur.

Anna Mocikat wählte ganz bewusst eine Frau als Hauptfigur.

(Foto: Renate Hasenfratz)

Anna Mocikat über ihren Roman "MUC"

Von Anna Steinbauer

Wenn Ridley Scott anklopfte, um ihren Roman "MUC" zu verfilmen, würde Anna Mocikat nicht lange überlegen: "Ich würde sagen: Hey Ridley, hast Du schon was vor, hier ist mein Buch", scherzt die junge schwarz gekleidete Schriftstellerin, die Anfang Dezember ihren Debütroman veröffentlichte. Von der Bildsprache her wäre Scott auf jeden Fall ihr absoluter Wunschregisseur. Ihre postapokalyptische Alpendystopie, die im Jahre 2120 in München spielt, selbst zu verfilmen, kann sich Mocikat nicht vorstellen. Obwohl die gebürtige Chiemgauerin zehn Jahre lang als Regisseurin gearbeitet hat, bevor sie zum Schreiben zurückfand.

Zuvor hatte sie Drehbuch an der Drehbuchwerkstatt der Filmhochschule München studiert, danach war sie ein paar Jahre als sogenannte Gamewriterin in der Videospielbranche tätig, bis sie sich entschied, ihren Jugendtraum zu verwirklichen und einen Roman zu schreiben. Dass die Autorin stark visuell geprägt ist und ihre detailreichen Beschreibungen oftmals wirken, als würde eine Kamera über die Szenerie gleiten, kann sie nicht verhehlen: "Ich wollte einen lesbaren Film machen. Beim Schreiben sehe ich den Film vor mir und schreibe, was ich sehe", sagt Mocikat.

MUC ist das Kürzel für den Münchner Flughafen und zugleich Titel ihres Buches. Dieses ist Science-Fiction, Heimat- und Abenteuerroman im Endzeitsetting. Die Apokalypse ist Mocikats bevorzugtes Thema, seit ihrer Jugend schwärmt sie für Stephen-King-Romane und andere Science-Fiction-Klassiker von Orwell oder Asimov: "Als ich die Story zu ,MUC' entwickelte, versuchte ich mir vorzustellen, wie ein postapokalyptisches München und Voralpenland wohl aussehen würden." Das Resultat ist eine wüste Dystopie: Eine Katastrophe führte dazu, dass die Menschheit dezimiert wurde und nur zwei Prozent, fast ausschließlich Rothaarige, überlebt haben.

Die Natur forderte daraufhin Godzilla-mäßig ihr Recht zurück, nun gibt es sumpfartige Wälder, ein subtropisches Klima und wilde Tiere. Die einst sagenumwobene Stadt MUC ist nur noch ein Haufen aus Schutt, Müll und Zerstörung. Ein Ort der Unfreiheit, an dem eine gnadenlose Diktatur und das Recht des Stärkeren herrschen und die Menschen selbst nur noch Fremdkörper sind. "Bevor ich zu Schreiben anfing, malte ich mir zunächst eine Welt ohne Menschen aus. Eigentlich eine Win-Win Situation. So wie wir mit unserem Planeten umgehen, kann es nicht weitergehen", sagt Mocikat, die unter dem Einfluss der Atomkatastrophe von Fukushima ihr Buch entwickelte: "Das ist das gleiche, als würdest du deine eigene Wohnung total zumüllen und dann einfach ausziehen. Je länger man sie vermüllen lässt, desto mehr muss man danach aufräumen."

Warum sie es vorzieht, von den gravierenden Fehlern der Menschen im Umgang mit Natur und Umwelt in Form einer apokalyptischen Zukunftsvision zu erzählen, erklärt sie so: "Man kann so auch darauf eingehen, was heute schief läuft in der Welt, ohne gleich die Moralkeule zu schwingen." Dass die Zukunft in ihrem Roman als rückständig erscheint, sieht sie als "logische Entwicklung". Schwarzhaarige werden aufgrund ihrer Haarfarbe verfolgt, in den Alpendörfern lebt man nach dem überkommenen geschlechtsspezifischen Rollenmuster und wartet auf seine Verheiratung durch die Eltern: "Die leben eigentlich wieder wie im Mittelalter", beschreibt Mocikat die Zustände, aus denen die Hauptfigur Pia ausbrechen will. Sie hat schwarze Haare und ist auch sonst nicht so wie die anderen Leute in ihrem Dorf, denn sie hat eine Vision: Sie will nach MUC und begibt sich auf die beschwerliche Reise in die große Stadt.

Für die Schriftstellerin war eine Frau als Protagonistin wichtig: "Ich wollte gerne eine starke weibliche Hauptfigur, aber auch eine, mit der sich Männer identifizieren können." Wie es so ist, sich als Frau zum begehrten Ziel durchzuschlagen, weiß Mocikat durch ihr liebstes Hobby, das Videospielen. Im Gaming-Bereich, in dem sie auch einige Zeit versuchte, ihre Geschichten umzusetzen, war sie oftmals die Quotenfrau. Viel Schreibinspiration holte sich die "Gamer-Oma", wie sie sich selbst nennt, aus Spielen wie Skyrim, Dragon Age und Deus Ex: "Bei guten Videospielen wird man richtig in die Geschichte hineingezogen und erlebt sie in der Haut von einer Figur". Besonders die Actionsszenen in "MUC" sind von solchen Spielen inspiriert.

Ansonsten lief Mocikat durch München und stellte sich vor, wie die Stadt 2120 aussehen würde: Der Englische Garten ist gerodet und dient als Ackerland, in einer Parallelwelt unter der Stadt, dem "Hades", leben verschreckte Menschen, auf dem Rathausplatz wird rohes Hundefleisch verkauft. Für den Trailer zu ihrem Buch führte die Schriftstellerin doch noch einmal selbst Regie: Die Bilder für das postapokalyptische München fand sie an dem seit den Neunzigerjahren stillgelegten und verwilderten S-Bahnhof im Olympiazentrum. Er ist einer dieser "forgotten places", die Mocikat faszinieren und von denen sie Fotos auf ihrer Homepage sammelt. Ihren Roman verfilmen könnte nur jemand, der Erfahrung mit Action hat, so die Autorin. Eines haben Ridley Scott und Mocikat immerhingemeinsam: Sie haben am selben Tag Geburtstag.

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