Autobiographie von Eels-Musiker:Ist das Leben nicht schön? Nein.

Autobiographien von Popmusikern sind eigentlich überflüssig. Nur die von Mark Oliver Everett von den Eels nicht.

Alex Rühle

Wer heute Abend in die Münchner Muffathalle geht in Erwartung eines magenstärkenden Eels-Konzerts, sollte sich darauf gefasst machen, dass er erstmal eine einstündige Dokumentation zu sehen bekommt: Mark Oliver Everett, der Sänger, Komponist, Multiinstrumentalist und Frontmann der ansonsten in permanent wechselnder Besetzung auftretenden Eels, hat sich für die BBC auf Spurensuche gemacht nach seinem Vater und dessen Werk.

Autobiographie von Eels-Musiker: Mark Oliver Everett, aka E, und sein Hund Bobby Jr., den man auf einigen Liedern seiner Alben im Wechselgesang mit Tom Waits heulen hört.

Mark Oliver Everett, aka E, und sein Hund Bobby Jr., den man auf einigen Liedern seiner Alben im Wechselgesang mit Tom Waits heulen hört.

(Foto: Foto: AP)

Hugh Everett III, Quantenphysiker, CIA-Mitarbeiter und Erfinder, entwickelte 1957 die Theorie der Paralleluniversen, die seinerzeit als kompletter Humbug verlacht wurde. Everett senior, wohl ohnehin ein schweigsamer Typ, zog sich daraufhin in ein dunkles Paralleluniversum zurück, er war innerhalb der Familie eine Art schwarzes Loch, das allen die Lebensenergie abzog und stumm um sich selbst kreiste. Mark Oliver Everett fand ihn eines Morgens, da war er selber 19 Jahre alt, tot im Bett, der Vater war in der Nacht an einem Herzinfarkt gestorben.

Everett erinnert sich noch gut daran, wie er ihn schüttelte, war es doch die erste Berührung zwischen den beiden seit Jahren. "Ich wusste nicht mal, wie ich mich fühlen sollte," schreibt er in seiner Autobiographie. "Mein Vater war gerade gestorben, aber ich hatte keinerlei Beziehung zu ihm. Das Schlimmste war, den Ärzten dabei zusehen zu müssen, wie sie ihn in einen schwarzen Sack steckten, den Reißverschluss zumachten und dann den Sack mit ihm darin heraustrugen. Sie haben ihn nicht auf eine Bahre gelegt. Sie haben einfach diesen schwarzen Sack rausgetragen wie eine Mülltüte."

Kein "oh my god, leider hab ich dann einen Filmriss"

Autobiographien von Rockmusikern, das ist so ziemlich das letzte Genre, was einen vernünftigen Menschen interessiert. Wie wir da bekokst im Kronleuchter hingen, und dann die Tournee die Westküste runter, oh my god, leider hab ich dann einen Filmriss und weiß absolut nicht, was in den Jahren zwischen den beiden großartigen Alben passiert ist. . .

Everetts soeben erschienene Autobiographie "Things The Grandchildren Should Know" (Little, Brown, 228 Seiten, 14,99 Pfund) ist eine Art Gegenprogramm zum Narzissmus des Popgeschäfts. Es ist geschrieben aus der Mitte seines Schmerzes und des familiären Schweigens heraus, als hätten ihm die Stille daheim und seine lebenslange Einsamkeit das Gehör geschärft für alle falschen Töne und Sätze.

Sein Vater wollte, dass man seine Hinterlassenschaften in den Müll wirft, ein Wunsch, dem die Mutter nachkam. Seine Schwester, die er in Kinderjahren abgöttisch geliebt hat, die dann aber in Alkoholexzesse, Drogendelirien und schizophrene Wahnwelten abdriftete, brachte sich um. Seine Mutter starb an Krebs. Die letzte Verwandte, die ihm blieb, seine Cousine, schickte ihm am Morgen des 11. September 2001 eine Postkarte: "Ist das Leben nicht schön?" Eine Stunde später kam sie in dem Flugzeug um, das ins Pentagon gesteuert wurde, Hugh Everetts letzten Arbeitsplatz.

Graben durch den Schmerztunnel

Es wäre untertrieben zu sagen, dass das Leben Mark Oliver Everett mit einem ziemlich rauen Schmirgelpapier bearbeitet hat. Solche Menschen entwickeln oft einen Leidenshochmut, ach, ihr Jammerlappen, was wisst ihr schon von Schicksalsschlägen, schreiten durch ihren Text wie ein Gesalbter und tragen ihr Schicksal vor sich her wie eine Hostie.

Auf der nächsten Seite findet Everett trotz allem betörend schöne Momente.

Ist das Leben nicht schön? Nein.

Everett ist ein grumpy young man, ein misanthropischer Einzelgänger, aber er findet in seiner merkwürdigen Kindheit, umgeben von spießigen CIA-Familien, plötzlich, überraschend, ebenso betörend schöne Momente wie in der totalen Einsamkeit am Anfang seiner Karriere, jahrelang demütigende Jobs und abends, nachts, an den Wochenenden, das Komponieren, ein manisches Anrennen, ein Graben durch den Schmerztunnel, das ihn als Einziges am Leben hält.

Das Buch endet mit der Beschreibung, wie unangenehm es ihm ist, wenn er beim Arzt das Anmeldeformular ausfüllen muss, weil er nicht weiß, was er eintragen soll in der Spalte Im Notfall zu kontaktieren. "Keine Familie zu haben ist das einsamste Gefühl. Feiertage sind einfach ekelhaft, ich tu immer so, als fänden sie nicht statt. Wenn ich morgen sterben würde, könnte man auf meinen Grabstein schreiben: ,Merkwürdigerweise betitelte Everett, der zum Zeitpunkt seines Todes keine Kinder hatte, ganz zu schweigen von Enkelkindern, seine Autobiographie 'Dinge, die die Enkel wissen sollten.' "

Akustisches Pendant zum Bart

Womit wir endlich bei Everetts Musik wären. "Things The Grandchildren Should Know" ist nicht nur der Titel seiner Autobiographie sondern auch der letzte Song auf seinem großen Album "Blinking Lights", an dem er sieben Jahre gearbeitet hat. Und dieses Album, das ist nun das Wunder an Everett, ist, genau wie seine Autobiographie, am Ende eine Hymne an das Leben, gerade weil sie sich so am Schmerz abarbeiten.

Ja, "Blinking Lights" ist eines dieser Kunstwerke, die wie ein Schlag auf den Kopf wirken, als würden sie einem jäh das ganze Leben von außen zeigen, schau doch endlich hin, bevor es vorbei ist. Oder wie er es in dem Song "Hey Man" mit dieser aggressiven Stimme, die das akustische Pendant ist zu seinem filzig-struwweligen Bart, selbst ausdrückt: "Do you know what it's like to fall on the floor / And cry your guts out 'til you got no more/ Hey man now you're really living."

Man kann dieses Lied jetzt neu hören. Beziehungsweise dabei zuschauen, wie Everett es singt: Parallel zu seiner Autobiographie hat Everett zwei Doppel-CDs herausgebracht, "Meet The Eels". und "Useless Trinkets" (beide bei Geffen erschienen). Das erste ist eine Art Best of Eels, von ihm selbst zusammengestellt, inklusive Video-DVD.

Das zweite, das man mit "Nutzlose Wertlosigkeiten" übersetzen könnte, enthält 50 Auskopplungen, B-Seiten, Neuinterpretationen, Remixes und es zeigt, was für ein fulminant vielseitiger Musiker Everett ist, teils hat er alte Songs alleine nochmal aufgenommen, teils mit Freunden neu interpretiert, und so ziehen die fünf wichtigsten Alben nochmal in komprimierter Form an einem vorüber.

In mehreren parallelen Klanguniversen

Er sagt in seiner Biographie, dass er in theoretischer Hinsicht keinen Schimmer davon habe, was es mit den Paralleluniversen seines Vaters auf sich habe. Rein praktisch aber, das merkt man beim Hören der "Useless Trinkets" nochmal, ist Mark Oliver Everett seit vielen Jahren in mehreren parallelen Klanguniversen unterwegs.

So komponierte er zeitgleich die Stücke des lauten, rockgeschrubbten Albums "Souljacker", der melancholischen "Daisies of the Galaxy" und einige Songs des Gesamtkunstwerks "Blinking Lights". Und warum, so fragt er sich auf der letzten Seite seines Buches, "warum, wenn ich doch so ein ausgesprochener Atheist bin, erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich im Hinterhof sitze, in den Nachthimmel schaue und mit Mom, Liz und Dad spreche?"

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