"Sarahs Gesetz" von Silvia Bovenschen:Lob der Unschärfe

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Silvia Bovenschen erinnert sich an ihr Leben mit der Malerin Sarah Schumann: Ihr Buch ist Liebeserklärung und Selbstporträt zugleich.

Von Jutta Person

Eines von Sarahs Gesetzen, berichtet Silvia Bovenschen über ihr Leben mit der Malerin Sarah Schumann, verfügt, dass es im gemeinsamen Haushalt keine Untertassen gibt: wieder ein paar Dinge weniger, die in die Spülmaschine müssen. Die Schriftstellerin, die der Malerin vor vierzig Jahren zum ersten Mal begegnet ist, beschließt, darin kein Problem zu sehen. Ein anderes Gesetz besagt, Frauen in fortgeschrittenem Alter sollten keine Jeans und Rollkragenpullover tragen; im selben Kapitel versichert Bovenschen, ihre Freundin sei keine Despotin: "Sie erlässt keine Gesetze. Sie IST das Gesetz."

Das könnte furchteinflößend klingen. Aber nur Mut. Wir halten nicht nur die schönste Liebesgeschichte aus diesem Herbst in Händen, sondern auch ein faszinierendes Doppelporträt zweier Feministinnen, die viel gesehen, man könnte auch sagen: viel durchschaut haben. Nur die andere nicht, denn das wäre traurig. "Ich glaube nicht an die Möglichkeit endgültiger Befunde. Ich glaube nicht, dass wir einander wahrhaft erkennen können. Bei aller Liebe nicht. Und wir sollten es auch nicht wollen", schreibt Silvia Bovenschen.

Ihre "Sarah-Hermeneutik" will nicht an ein klar umrissenes Ziel kommen, sondern im Gegenteil ein Lob der Unschärfe anstimmen. Vereinbarungen oder Versprechen gab es nie, sie hätten nicht das Bedürfnis danach gehabt, erklärt Silvia Bovenschen. In den gemeinsamen Jahrzehnten hat sie zwar einiges, aber längst nicht alles aus Sarah Schumanns Lebensgeschichte erfahren; jetzt trägt sie das Bekannte zusammen und befragt die eher wortkarge Freundin (mit der gebotenen Zurückhaltung): zur Flucht vor der russischen Armee im Frühjahr 1945, die sie als Mädchen erlebt hat, zur Künstlerinnenwerdung, zu den Jahren in London und Italien, zu Bildern und Ausstellungen.

Das Buch erinnert auch daran, wie erbärmlich rückständig die Siebzigerjahre doch waren

Während Sarah Schumann erzählt, erinnert sich Silvia Bovenschen an die gemeinsame und die eigene Geschichte - so wohnt man einem persönlichen, nie privatistischen Erinnerungs-Zwiegespräch bei, in dem sich das intellektuelle Klima der bundesrepublikanischen Jahrzehnte abzeichnet. 1975, als die beiden sich kennenlernen, plant Sarah Schumann gerade die groß angelegte Ausstellung "Künstlerinnen International 1877-1977", mit Werken von Diane Arbus, Frida Kahlo, Georgia O'Keefe oder Louise Bourgeois, von denen einige noch kaum bekannt waren.

Der Radau rund um die Ausstellungseröffnung im Berliner Schloss Charlottenburg wirkt aus heutiger Sicht aberwitzig (und erinnert daran, wie erbärmlich rückständig die gepriesenen Siebzigerjahre in vielem waren): Die einen empören sich, dass Frauen überhaupt als gleichberechtigte Künstlerinnen in Erscheinung treten. Die anderen behaupten, alle Frauen seien Künstlerinnen. "Ich habe das misogyne Schmähgebrüll noch im Ohr ebenso wie das der schrillen Fundamentalfeministinnen", schreibt Bovenschen, die gegen den "Protestschwachsinn" Stellung bezog. Vielleicht gab es da noch ein anderes Motiv, ergänzt sie. "Ich wollte Sara gefallen."

In Tonlage und Stil kommt "Sarahs Gesetz" dem Besteller "Älter werden" am nächsten, mit dem Bovenschen vor neun Jahren Furore machte; seither hat sie drei Romane und die Geschichtensammlung "Verschwunden" veröffentlicht. Die knappen, aufs Äußerste verdichteten Miniaturen in diesem Buch über das Leben zu zweit klingen manchmal fast wie gebundene Sprache: etwa, wenn Bovenschen das Kapitel über die gemeinsame Wohnung, die das Paar 2002 in Berlin bezieht, mit einem Vierklang beschließt: "So blieb ich in Berlin. So nahm mich Sarah auf. So kam meine schwerste Zeit (Krankheit). So kam meine glücklichste Zeit (Sarah)". Zuvor hatte die Literaturwissenschaftlerin an der Frankfurter Universität gelehrt; über ihre Krankheit, die Multiple Sklerose, hat sie früher schon geschrieben. In "Sarahs Gesetz" zeigt sich vor allem die "eherne Verlässlichkeit" der Freundin.

Dass die Liebesgeschichte, die hier erzählt wird, in keinem Moment etwas Enthüllendes hat oder gar ein Geheimnis verrät, versteht sich bei dieser Autorin von selbst. Die Adorno-Schülerin, die 1979 mit ihrer Dissertation über "Die imaginierte Weiblichkeit" bekannt wurde, hat sich immer wieder mit Fragen der Scham und mit dem Betroffenheitsterror, jener Tyrannei der Intimität beschäftigt, die Liebes- oder Leidens-Bekenntnissen oft anhaftet.

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Aus der SZ-Redaktion

Die Eleganz dieser Texte möchte man Esprit nennen, wäre das Wort nicht so "versaut" worden

Wie alle Bovenschen-Texte ist auch "Sarahs Gesetz" von einer ironischen Eleganz geprägt, die man gern Esprit nennen würde, wäre das Wort nicht längst zum Label versaut worden. Besser passt vielleicht der scharfkantige Lichtenbergsche Witz, wie überhaupt Lichtenberg, über dessen Buckel Bovenschen einen fantastischen Essay geschrieben hat, ihr direkter Ahnherr sein könnte. Versauen ist übrigens ein Bovenschen-Wort - sie fürchtet, sie versaue der Freundin mit ihrer Krankheit ihre alten Tage -, ebenso wie "karg" in den Varianten "wortkarg", "kargen" oder "Verkargungs-Dogma". Gegen die dürre Sinnlichkeitsfeindschaft nämlich, die viele Achtundsechziger pflegten, gegen alles Dogmatische und Stramme, hat Bovenschen immer schon auf Schönheit und Stil gesetzt.

Es gibt aber noch eine andere, positive Seite des Kargen - dann, wenn es um die Wortkargheit der Freundin geht. Diese Reduktion geht mit einer Opulenz in den Bildern einher, fast so, als ob das Weniger an Worten ein Mehr an Farbe und Form mit sich brächte. Auch "Sarahs Gesetz" macht nur wenige Worte: kunst- und schwungvoll, melancholisch und freundlich.

Silvia Bovenschen: Sarahs Gesetz. Erzählung/en. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 256 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 17,99 Euro. (Foto: verlag)
© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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