Autobiografie:Feminismus ist nicht genug

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Die Journalistin Gloria Steinem, Jahrgang 1934, ist eine der wichtigsten Feministinnen Amerikas. "My Life on the Road" heißen ihre Erinnerungen - sie beweisen: Gloria Steinem wollte immer die Revolution. Aber was für eine?

Von Susan Vahabzadeh

Vielleicht erledigt sich die Frage nach der Gleichberechtigung von allein, wenn man sowieso gleich die ganze Welt rettet; für Gloria Steinem war Feministin sein jedenfalls nie genug, und sie gab sich nicht zufrieden mit kleinen Lösungsansätzen. Sie hat es vielleicht nicht geschafft, die Gleichberechtigung zu einem globalen Konsens zu führen, aber eine Wegbereiterin und Ikone ist sie allemal; ein Stückchen einer flammenden Rede, die sie 1971 gehalten hat, hört man am Anfang von Jennifer Lopez' Video zu "Ain't your Mama". "Es geht nicht bloß um eine Reform. Es ist eigentlich eine Revolution." Von der Popkultur ist der Weg zum Konsens gar nicht mehr so weit.

Gloria Steinem ist inzwischen 82 Jahre alt, geboren 1934. Wenn sie nun ihre Erinnerungen aufschreibt, dann ist das schon deswegen eine spannende Sache, weil sie damit die Frage beantwortet, wie die überhaupt zustande gekommen ist: Kleine Mädchen wurden zwischen den Kriegen ja nicht gerade zum Aufrührertum erzogen, zumindest nicht mit Absicht. Das mit der Anpassung ging im Fall von Gloria Steinem aber von Anfang an schief, und Grund Nummer eins findet sich gleich im ersten Kapitel - richtig zur Schule gegangen ist sie erst mal nicht, der Vater war so eine Art fahrender Händler, so dass ihre Kindheitserinnerungen ein bisschen so klingen, als sei sie in dem Film "Paper Moon" aufgewachsen.

Die Vagabundin - Gloria Steinem in den Siebzigern. (Foto: HEM/AP)

Der Vater stand mit der Sesshaftigkeit auf Kriegsfuß, so ist auch seine Tochter eine Nomadin geworden, und später hat sie als Reporterin einen Beruf daraus gemacht. Die Mutter war Reporterin gewesen, bevor sie ihre Töchter bekam und depressiv wurde, die Oma war eine Suffragette gewesen, wie eigentlich hätte aus Gloria Steinem jemand anders werden sollen? Und ob es wohl Zufall ist, dass alle großen Feministinnen ohne Brüder aufgewachsen sind - also zumindest als ganz kleines Kind ohne männliche Konkurrenz?

Gloria Steinem jedenfalls hält sich, innerlich, für das Ebenbild ihres Vaters - dass sich Frauen in ihre Mütter verwandeln, ist eben auch nur ein überholtes Klischee -, schon weil sie, bis sie über fünfzig war, so lebte, wie er es getan hat: Immer im Dialog mit anderen und vorwiegend aus dem Koffer.

Die Weißen hätten klagen müssen, als man sie zwang, in weißen Ghettos zu leben

Vagabundieren ist der rote Faden in den Geschichten, die sie erzählt, was sehr schön ist, denn meistens kreisen Autobiografien ja ausschließlich um den Autor. Sie ist um die Welt gereist, und das formt, behauptet Gloria Steinem, den Geist - sie würde es jedem empfehlen. Für sie war der Einstieg eine Indienreise, noch in den Fünfzigern, als Reporterin schrieb sie dann Prominentenporträts, aber mit dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung wechselte sie das Fach. Manchmal kommt sie einem in diesem Buch vor wie ein sehr gescheiter Forrest Gump, immer da, wo etwas geschieht. Sie war dabei, als John F. Kennedy sich aus dem Weißen Haus aufmachte zu seiner Reise nach Dallas, sie berichtete über den Marsch auf Washington, und so kam es, dass die junge Journalistin dabei war, als Martin Luther King, als Reaktion auf einen Zuruf von Mahalia Jackson, er solle von seinem Traum erzählen, seine wohl wichtigste Rede hielt - "I have a dream".

Steinem hat Feuer gefangen, und aus dem Protestieren kam sie dann nicht mehr heraus. Man merkt den Beschreibungen ihrer ersten Erfahrungen an, dass sie damals noch keine Frauenrechtlerin war, dass die Begegnungen mit schwarzen Frauen bei den Protesten in Washington, die Diskussionen in indischen Eisenbahnwagen, in die Männer nicht hineindurften, auch für sie selbst ein bisschen Spurensuche sind: Wo fing das an? Von außen betrachtet war es jedenfalls 1969 dann schon klar, als Steinem für das New York Magazine einen Artikel schrieb, der "After Black Power, Women's Liberation" schrieb. Sie war fortan eine der wichtigsten Stimmen der Frauenbewegung, immer noch wenig anpassungsfähig, sie wurde irgendwie keinem Klischee gerecht. Pin-up für die Intelligentsia wurde sie genannt. Quatsch: Gloria Steinem war anti-akademisch und, ja: cool.

Eine wie sie, mit ihrer Mischung aus Feminismus, Kampf um soziale Gerechtigkeit und unschlagbarer antirassistischer Logik ("Wir Weißen hätten dagegen klagen müssen, dass wir gezwungen wurden, in weißen Ghettos zu leben. Wenn Menschen getrennt werden, gibt es am Ende nur Verlierer.") wird in Amerika und anderswo jedenfalls immer noch gebraucht; vielleicht mehr denn je, in einer Ära, die mehr auf Donald Trump setzt als auf "I have a dream". Eigentlich, hat sie damals in dieser berühmten Rede von 1971 gesagt, geht es eben immer nur um - Humanismus.

Gloria Steinem: My Life on the Road. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Btb, München 2016, 384 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 13,99 Euro .

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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