Auszeichnung:Stimmung gut, Kleider dran

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"Wir ziehen uns alle nackert aus und laufen im Kreis" - diese Vorstellung eines Künstlers wird zwar nicht wahr. Aber auch so gerät die zehnte Tassilo-Preisverleihung höchst unterhaltsam

Von Udo Watter

Den Mann mit den Blinkerschuhen als exaltiert zu bezeichnen, wäre fast eine Untertreibung. Tom Jahn, Leiter der Bigband Dachau, wirkt so, als würde der Mix aus wuchtigen Beats, treibenden Rhythmen, schrägen Bläserriffs und funky Bässen, den sein Ensemble beim Intro entfaltet, direkt in seinen Körper fahren und mit Energie durchpulsen. Als "positiv verrückt" werden er und seine rund 30-köpfige Band gerne bezeichnet, und das sollten sie an diesem Abend, an dem das Lokalressort der Süddeutschen Zeitung zur Verleihung des Tassilo-Kulturpreises ins Technikum im Werksviertel geladen hatte, klangmächtig demonstrieren.

Eines schafften die jungen, teils mit Glitter dekorierten Musiker aus Dachau allerdings nicht. Den Wunsch des Künstlers, der ihnen einen der drei Hauptpreise überreichte, Wirklichkeit werden zu lassen. "Wir ziehen uns alle nackert aus und laufen im Kreis", hatte sich Jazzpianist und Sänger Martin Schmitt mit Blick auf das Publikum und leiser Hoffnung auf kollektiven Exzess vorgestellt - bevor er zusammen mit der Bigband ein knackiges Arrangement vortrug. Nun, die Kleider blieben dran, die Stimmung war dennoch gut.

Die Dachauer Bigband, hier mit dem als Freiheitsstatue kostümierten Sänger JJ Jones und Bandleiter Tom Jahn. (Foto: Robert Haas)

Schmitt, selbst Tassilo-Preisträger und Mitglied der Jury, die vor einigen Wochen die diesjährigen Gewinner ermittelte, fungierte an diesem Abend als Pate für einen der drei Hauptgewinner - die sympathisch durchgeknallten Dachauer mit ihrem sympathisch durchgeknallten Leiter.

Senta Berger und Michael Verhoeven zeichneten die anderen beiden Hauptgewinner - insgesamt wurden zwölf Preise vergeben - aus. Die Schauspielerin und der Regisseur, seit 1966 miteinander verheiratet und prägend für die deutsche Film- und Fernsehlandschaft, hatten es dabei mit signifikant unterschiedlichen Protagonisten zu tun bei dieser zehnten Auflage des Tassilo-Wettbewerbs. Heuer standen ja erstmals auch Kandidaten aus dem Stadtgebiet zur Auswahl - bisher waren mit dem Preis nur Künstler und Kulturmacher aus den Landkreisen rund um München prämiert worden. Und Anja Uhlig, die aus einem ehemaligen Männer-Pissoir an der Großmarkthalle in Sendling einen schillernden Kunstort namens "Klohäuschen" gemacht hat, hatte gleich einen Hauptpreis abgeräumt.

Sie kam indes nicht alleine auf die Bühne. Dem "Klohäuschen" selbst, mit dem Uhlig augenzwinkernd eine sehr persönliche Beziehung zu inszenieren pflegt, war zwar laut ihrer Aussage der Weg ins Werksviertel zu weit gewesen, dafür hatte sie 21 Künstler mitgebracht, die dort schon ausgestellt oder anderweitig aktiv waren. Das demonstrierte, wie anziehend und inspirierend dieser nur acht Quadratmeter große Ort auf die kreative Szene wirkt. Susanne Hermanski, leitende Kulturredakteurin bei der SZ, die zusammen mit Sabine Reithmaier, ebenfalls SZ-Kulturredakteurin, den Abend moderierte, stellte eine sich durchaus aufdrängende Frage: "Gibt es von Seiten der Künstler nicht Ressentiments gegen so einen Genius Locus?" Ja, antwortete Uhlig. Es sei vor allem der Name "Klohäuschen" mit dem manche haderten, weil der sich in einer Künstlerbiografie als Ausstellungsort eben nicht so gut mache. Die gebürtige Österreicherin Senta Berger stimmte dem zu, wenn auch aus anderen Gründen, wie sie in ihrer charmanten Art erklärte: "Mir als Wienerin gefällt der Namen Klohäuschen nicht: Das heißt nämlich Klohäusl."

Alle Augen richten sich auf den Dirigenten: Die jungen Sänger des Syrischen Friedenschors gehörten zu den umjubelten Show-Acts der Tassilo-Preisverleihung 2018 im Technikum im Werksviertel. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Trotz dieser nicht ganz ernsten Kritik, genoss die international erfolgreiche Schauspielerin, die in München aber besonders als Mona in "Kir Royal" unsterblich wurde, den Abend. "Heute Nachmittag bei dem schönen Wetter habe ich mir erst ein bisschen leid getan, weil ich ja hierher kommen musste", erzählt sie, "aber das hier ist so ein interessanter und inspirierender Abend." Zustimmung kam von Mann Michael Verhoeven ("Ein sehr schönes Miteinander hier"), der sich als Regisseur, der 1990 sogar für den Oscar nominiert war, besonders über den dritten Hauptgewinner gefreut haben dürfte: Die Filmgruppe "Movie Jam Studios" aus Taufkirchen. Die 16- und 17-jährigen Gymnasiasten um Alexander Spöri und Luca Zug drehen Dokumentarfilme mit schwieriger, gesellschaftlich relevanter Thematik. Vor allem ihr jüngstes und ambitioniertestes Werk "Unvergessen", das sie den Opfern des Anschlags am Olympia-Einkaufszentrum widmeten, erfuhr Aufmerksamkeit und Anerkennung. "Das Aufregendste sind die Anfänge", sagte Berger mit Blick auf die Jungfilmer. "Ideen haben viele, aber ihr setzt es um." Einige Mitglieder wollen dabei bleiben, Spöri jedenfalls hat viel vor: "Ich will gar nicht groß studieren. Ich will in die praktische Richtung gehen und gleich etwas bewegen." Mit Verhoeven tauschten die Movie Jams später Karten aus. So eine Tassilo-Preisverleihung, die die vergangenen zwei Male noch in Krailling statt fand, ist immer auch ein guter Ort für Künstler und Kulturschaffende, um ins Gespräch zu kommen und sich untereinander zu vernetzen.

Ewas bewegen wie Spöri und seine Freunde wollen dabei alle Ausgezeichneten. Der frühere Brucker Kreisheimatpfleger Toni Drexler, erster Tassilo-Hauptpreisträger überhaupt, schwärmte: "Das ist so vielfältig hier. Und die Leute so erfrischend." Der alle zwei Jahre vergebene Preis richtet sich ja an Kulturschaffende in Landkreisen und Stadt, an junge Künstler und Talente, an Ideengeber und Macher, die zu einer bunten Kulturszene beitragen. Und davon gibt es mehr als man denkt. Sabine Reithmaier, die federführend den Tassilo-Wettbewerb betreut, durfte auch stolz verkünden: "Diesmal hatten wir immens viele Kandidaten." 118 wurden insgesamt vorgestellt. Die siebenköpfige Jury - zwei SZ-Redakteure und fünf externe Kulturkenner - hatten nach einer Vorauswahl aus 60 Alternativen auszuwählen. An diesem Abend im stimmungsvoll illuminierten Technikum inmitten eines neu entstehenden Münchner Kulturquartiers wurden vor mehr als 300 Gästen noch weitere sieben Tassilo-Preise vergeben sowie je ein Sonderpreis fürs Lebenswerk wie für soziales Engagement. Unter den weiteren Ausgezeichneten war mit Maximilian Leinekugel ein junger Dirigent, der, obwohl erst Anfang Zwanzig, bereits ein eigenes Orchester gegründet hat, aber auch ein Veranstalter wie Thomas Breitenfellner, der ohne kommunale Förderung dafür verantwortlich zeichnet, dass Gröbenzell keine kulturelle Diaspora ist. Die 1991 geborene Starnberger Künstlerin Elena Carr, die den Betrachter ihrer installativen oder performativen Werke gerne zum Akteur macht und ihre Arbeit mit politischem Engagement verbindet, zeigte sich auf der Bühne nicht ganz so enthusiastisch wie etwa Tom Jahn - Kreativität macht einen nicht automatisch zur Rampensau.

Prämiert wurden noch die fünf Frauen von "Wir sind Paul", die 2017 das "White Paper Festival" auf einer Industriebrache in Dachau organisiert haben, der Künstler Florian Hüttner, der die einstige Wandelhalle in Bad Tölz zu einem spannenden Ausstellungsort gemacht hat, Barbara Reimold, die in ihrem Ickinger Garten unter dem Etikett "Gesellschaft unterm Apfelbaum" ein Theaterfestival veranstaltet, Anette Reindel und der Verein Zeitreise Gilching der innerhalb von fünf Jahren ein historisches Ortsmuseum aufgebaut hat.

Den Sozialpreis erhielt der Bühnenbildner Thomas Goerge, der schon mit Christoph Schlingensief zusammenarbeitete und einen eindrucksvollen Film zeigte über sein inklusives Theater-Projekt in Hallbergmoos mit Flüchtlingen und Menschen mit oder ohne Behinderung. Fürs Lebenswerk prämiert wurden Hedwig Rost und Jörg Baesecke, die ihre "Kleinste Bühne der Welt" vorführten. Keinen Preis, aber die Chance, sich vor größerem, geladenem Publikum zu präsentieren, bekam der Syrische Friedenschor. Die jungen "am besten frisierten Männer des Abends", wie eine Besucherin anmerkte, schafften es zwar genau so wenig wie die Bigband Dachau, die Zuhörer zum Entledigen ihrer Kleider zu animieren, aber dazu, bei einer bewegenden Version von "Freude schöner Götterfunken" mitzusingen.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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