Auszeichnung für Syriens Diktator Assad:Russlands letzte Kolonie

Moskauer Schriftsteller verleihen dem syrischen Diktator Assad den Preis "Imperiale Kultur". Gelobt wird dabei "Durchhaltevermögen im Kampf gegen die globale Hegemonie". Die Rechtfertigung liefert die orthodoxe Kirche.

Konstantin Kaminskij

Zu den Kulturpreisträgern des Jahres 2012 zählt ein gewisser Baschar al-Assad. Er kann sich rühmen, im Januar den Preis "Imperiale Kultur" erhalten zu haben, mit dem der Russische Schriftstellerverband und die russisch-orthodoxe Kirche "herausragende Leistungen für die Wiedergeburt der russischen Kultur in Russland und im Ausland" honorieren. Assad wurde diese Ehrung für seinen "Widerstand gegenüber westlicher Expansion und sein Durchhaltevermögen im Kampf gegen die globale Hegemonie" zuerkannt.

Porträt des syrischen Diktators Baschar al-Assad

Ein Porträt des syrischen Diktators Baschar al-Assad. - 2012 geehrt vom Russischen Schriftstellerverband.

(Foto: AP)

Der Preis wurde 2001 gegründet und hat in der Öffentlichkeit nie eine große Rolle gespielt, da er nichts mit Kultur zu tun hat. Der Russische Schriftstellerverband fällt vor allem durch frommen Nationalismus und antiwestliche Rhetorik auf. Im Mai 2011 zählte er zu den Gründern des Russischen Öffentlichen Solidaritätskomitees mit den Völkern Libyens und Syriens. Den Preis "Imperiale Kultur" haben bereits Slobodan Milosevic und Tarik Aziz bekommen, der Außenminister Saddam Husseins. Russische Schriftsteller, die sich für künstlerisches Schaffen interessieren, sind ohnehin in einem anderen Verband organisiert.

Für Entscheidungsträger im postsowjetischen Geflecht zwischen Religion und Politik hat der Preis "Imperiale Kultur" jedoch eine wichtige Signalwirkung. Mancher Funktionär mag sich nostalgisch in jene Tage zurückversetzt fühlen, in denen Moskau das Zentrum eines Weltreiches und Ausbildungszentrale für Sozialrevolutionäre aus dem Nahen Osten war. Hafis al-Assad, der Vater des heutigen Präsidenten, hatte sein Training als Kampfpilot in der Sowjetunion erhalten und wurde später von dort durch großzügige Waffenlieferungen unterstützt. Aus dieser Zeit, als die Region unter dem Vorzeichen eines "arabischen Sozialismus" stand, rühren bis heute enge politische Verbindungen her - auch wenn der Eindruck sicherlich falsch ist, bei Baschar al-Assad handle es sich um einen vom Gutdünken Moskaus abhängigen Marionettendiktator.

"In Syrien liebt man Russland"

Auffällig ist, dass auch die russisch-orthodoxe Kirche in die Pflege der aus der Sowjetära stammenden Beziehungen investiert. Dass sie sich einem Land verbunden zeigt, das nach den militärischen Interventionen in Irak und Libyen das letzte Relikt eines säkularen Autoritarismus im Nahen Osten ist, mag zunächst erstaunen. Aber das Assad-Regime hat sich erfolgreich als Bollwerk gegen die Ausbreitung radikalislamischer Strömungen in Szene gesetzt. Dass Teile der syrischen Opposition Parolen vom Typ "Christen nach Beirut, Alawiten in den Sarg" ausgeben, tut ein Übriges, um Assads Argumenten in Russland Überzeugungskraft zu verleihen. Als warnende Beispiele gelten Libyen und Irak, wo der Sturz der Parteidiktatur nicht zu stabilen demokratischen Institutionen, sondern zur Verschärfung ethnisch-religiöser Spannungen führte.

Neben geopolitischen Interessen und kirchlichen Rücksichten werden die regen kulturellen Beziehungen betont. Der syrische Botschafter in Russland, der stellvertretend für Assad dessen Auszeichnung entgegennahm, sagte: "In Syrien liebt man russische Literatur. In Syrien liebt man Russland. Auch heute spürt Syrien die Unterstützung des russischen Volkes und der russischen Regierung und ist dankbar dafür." Seitdem ist eine Delegation russischer Schriftsteller nach Damaskus gereist, um Assad den Preis persönlich zu übergeben. Solche Gesten sagen viel über das opake Geflecht nationalistischer, rechtspopulistischer, restaurativer, antiwestlicher und tendenziell antisemitischer Kultureliten in Russland aus.

Unter dem Begriff "imperiale Kultur" finden zwei ganz unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte zusammen. Das sind zum einen ehemals antisowjetische, monarchistische Gruppierungen mit Verbindungen zum Rechtsextremismus und starkem Rückhalt in der orthodoxen Kirche; auf der anderen Seite Funktionäre des früheren sowjetischen Kulturapparats, die im Zuge der Verstaatlichung russischer Medien den öffentlichen Raum zurückerobern. Zarenreich und Sowjetimperium sind hier eine machtvolle ideologische Allianz eingegangen.

Von beiden Seiten geteilter Antiamerikanismus und Antizionismus

Mit besonderem Eifer trieb der Leiter des Solidaritätskomitees für Libyen und Syrien, der nationalpopulistische Politiker Sergej Baburin, zuletzt den ideologischen Schulterschluss links- und rechtsnationalistischer Bestrebungen voran. Am 4. November des vergangenen Jahres, dem Tag der nationalen Einheit, ließ er zu dem seit 2005 jährlich in Moskau stattfindenden "Russischen Marsch" nationalistisch-fremdenfeindliche Gruppen und rechte politische Parteien unter der schwarz-gelb-weißen Fahne der Romanow-Dynastie auflaufen. Paradoxerweise wird Assads politische Lobby gerade von jenen gebildet, die sonst bei jeder Gelegenheit gegen die aus ihrer Sicht drohende Islamisierung Russlands polemisieren, für die sie illegale Arbeitsmigranten und Flüchtlinge aus den ehemaligen Sowjetrepubliken verantwortlich machen.

Für islamophobe Rechtsnationalisten ist das Syrien Assads, ähnlich wie zuvor das Libyen Gaddafis, wegen eines von beiden Seiten geteilten Antiamerikanismus und Antizionismus attraktiv. Dieser Komplex nährt auch die Verschwörungstheorien, die in solchen Kreisen exzessiv konsumiert werden. Bereits im Jugoslawien-Konflikt formierten sich die Rechtsnationalisten zu einer panslawistischen Bewegung, die erkennbar protorassistische Züge trug. Die Linksnationalisten und Kommunisten tragen solche Ressentiments mit und reichern sie mit ihrer revanchistischen Sowjet-Nostalgie an; sie träumen noch immer sozialistische Imperialphantasien.

Mehr als bloße Zeremonien

Was die russisch-orthodoxe Kirche angeht, so knüpft sie an Traditionen an, die bis zu den Anfängen des Zarenreiches nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 zurückreichen. Nach ihrem Selbstverständnis war sie Erbin des Imperiums von Byzanz und ließ Moskau zum letzten Hort des orthodoxen Christentums als "wahrer Religion" werden, während die nahöstlichen Patriarchate unter die Herrschaft der Araber und der Türken fielen. Im Zuge ihrer Wiedergeburt nach dem Ende des staatlich verordneten Atheismus in der Sowjetunion sieht sich die Kirche nicht nur als wichtigstes Legitimationsinstrument der Putin-Regierung, sondern zusehends wieder als Schirmherrin des orthodoxen Glaubens mit eigenständiger Außenpolitik. Auch im Syrienkonflikt ist sie nicht bloß verlängerter Arm des Putin-Regimes, wie der Besuch Patriarch Kyrills I. bei Assad im November 2011 gezeigt hat. Vielmehr leitet das Moskauer Patriarchat seine Rolle als außenpolitischer Akteur aus der Fürsorge für das Schicksal der orthodoxen Christen in Syrien ab, die dort über zehn Prozent der Bevölkerung bilden.

Schon bei der Allianz mit Serbien im Jugoslawienkrieg haben Bemühungen der orthodoxen Kirche und des Russischen Schriftstellerverbandes eine Rolle gespielt. 1994 erkannte der Schriftstellerverband dem Serbenführer Radovan Karadzic den Scholochow-Literaturpreis zu, der persönlich vom russischen Präsidenten verliehen wird. Diese Auszeichnung teilt Karadzic übrigens mit Fidel Castro (1995) und dem weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko (1997). 1995 empfing Karadzic zudem die höchste Auszeichnung der russisch-orthodoxen Kirche, den Orden des Heiligen Apostels Andreas des Erstberufenen. Und noch 2009 wurde Karadzic und seinem General Ratko Mladic der Preis "Imperiale Kultur" zugesprochen, für "Widerstand gegen die westliche Expansion und Stärkung der slawischen Bruderschaft".

Im weitesten Sinn Mythopoeten

Solche Ehrungen sind mehr als bloße Zeremonien. Zwar ist über eigene literarische Verdienste Baschar al-Assads nichts bekannt - im Gegensatz zu mehreren anderen arabischen Potentaten und zu Radovan Karadzic, der bekanntlich nicht nur Politiker und Massenmörder, sondern überdies Psychiater, Fußballcoach und eben Dichter war. Doch besteht auch unabhängig von persönlichem literarischen Engagement ein enger Zusammenhang zwischen Fiktion und Diktatur.

Man muss die Gewaltherrscher des 20. Jahrhunderts, von denen einige noch ins 21. Jahrhundert überdauern, im weitesten Sinn als Mythopoeten begreifen: Erfinder der Gemeinschaften, über die sie herrschen, ebenso wie Erfinder ihrer eigenen, zumeist äußerst prekären politischen Existenz. Mit Blick auf die Verhältnisse im zerfallenden Jugoslawien hat Slavoj Zizek von einem "militärisch-poetischen Komplex" gesprochen. Diese Formel lässt sich auch auf Saddam Husseins Irak oder Gaddafis Libyen anwenden. Die meisten arabischen Nationen sind postkoloniale Kunstgebilde, die sich ihren symbolischen Ort in der Welt erst schaffen müssen. Sie bedürfen einer ständigen Nachbearbeitung im gesellschaftlichen Imaginären, um als politische Fiktionen plausibel zu sein.

Auch Preise wie "Imperiale Kultur" tragen zur Mythenbildung bei. Die Preisverleihung an Assad ergänzt Russlands diplomatische Hilfe an Syrien und die Waffenlieferungen. Es ist eine ironische Pointe, dass das syrische Regime, das aus dem antikolonialistischen Befreiungskampf hervorging, sich als letzte Kolonie einer russischen imperialen Imagination wiederfindet. Noch bemerkenswerter ist die strategische Allianz, die zu dieser Umarmungsgeste geführt hat: eine Allianz aus den Schriftstellerverbänden, denen die Pflege des Staatsatheismus in sozialistischen Ländern überantwortet war, und den orthodoxen Kirchen Russlands, Serbiens und Syriens. Religiöser Nationalismus und sozialistischer Internationalismus sind ein ideologisches Bündnis eingegangen. Nach Jahrzehnten von Staatsatheismus ist der russisch-orthodoxen Kirche das Kunststück gelungen, den imperialen Machtwillen der Sowjetunion in ihre eigene Ideologie eines fortbestehenden byzantinischen Reiches einzuverleiben.

Der Autor ist Slavist an der Universität Konstanz. Zusammen mit Albrecht Koschorke gab er 2011 den Band "Despoten dichten. Sprachkunst und Gewalt" (Konstanz University Press) heraus.

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