Australischer Jugendroman:Heulende Bücher

Cath Crowleys außergewöhnliche Liebeserklärung an die Welt des Lesens. Und gleichzeitig eine Lebensgeschichte zwischen zwei Jugendlichen, erzählt in einer ungewöhnlichen Sprache.

Von Siggi Seuss

Eigentlich gehört solch eine Institution in jede größere Kleinstadt, ein Buchladen. Oder noch besser: ein antiquarischer Buchladen wie "Howling Books" in einem Vorort von Melbourne, in den uns die australische Schriftstellerin Cath Crowley in ihrem Roman "Das tiefe Blau der Worte" entführt, übersetzt von Claudia Feldmann .

Dort, in dem schmalen Haus, das einst ein Blumengeschäft beherbergte, wohnen der 18jährige Henry und seine jüngere Schwester George, zusammen mit ihrem Vater. Dort, in Henrys mittlerweile bedrohtem Refugium, erwartet uns eine Welt, die sich jeder Bücherfreund erträumt, der noch nicht durch ein Schwarzes Loch in die E-Book-Galaxie gezogen wurde. Wir können in "Howling Books" nach Herzenslust schmökern, plaudern, schweigen, im Lesegärtchen Scrabble spielen, mit den Stammkunden philosophieren und uns an der Erkenntnis erfreuen, dass wir die Bücher sind, die wir lesen, und die Dinge, die wir lieben. Man könnte sich hinter das große Schaufenster fläzen und in David Mitchells "Der Wolkenatlas" versinken. Hinten im Laden befinden sich eine Ratgeberecke und das Herzstück für den Fortgang des Romans, die Briefbibliothek. Sie verwahrt Lieblingsbücher der Kunden, in die nicht nur jeder offen seine Anmerkungen und Unterstreichungen kritzeln darf, sondern die auch als Briefkasten zum Austausch von Botschaften der Leser dienen.

Die Schilderung des Interieurs geschieht so ausführlich, weil die Atmosphäre mit ihren vielfältigen Möglichkeiten des Austausches das Fundament des Romans bildet. "Howling Books" ist nicht nur die Metapher für eine leidenschaftliche Liebeserklärung ans Lesen. Der Laden ist vielmehr der Ort, an dem sich die teils tragischen Geschichten der Menschen auf wundersame Weise mit den Geschichten in Büchern verknüpfen. So werden die Leser immer wieder in die Gedankenwelten von Jorges Luis Borges, T. S. Eliot, Charles Dickens, F. S. Fitzgerald, Jane Austen und anderen gezogen, wo sich ihr kleines, unscheinbares und trotzdem so reichhaltiges Leben in den Ideen und Fantasien der Schriftsteller spiegelt. An sich sind die bewegenden Elemente der Handlung die Frage, ob der Laden überlebt, und die vertrackten Liebesnöte von Henry, der sich lange Zeit nicht entscheiden will, ob er nun Rachel, seine beste Freundin, oder Amy, eine wankelmütige Pragmatikerin, liebt. Herz und Verstand tendieren zur Büchernärrin Rachel. Aber ob sich die beiden finden, hängt von einigen Unwägbarkeiten ab, vor allem davon, wie es ihr gelingt, mit dem Verlust ihres jüngeren Bruders umzugehen, der im Südpazifik ertrank.

Würde man diesen Handlungsbogen der Geschichte allein in den Vordergrund stellen, befänden wir uns in einem nicht gerade übermäßig originellen Liebesroman. Cath Crowley verbindet jedoch das Leben der vorgestellten Menschen, ihre Motive und Erkenntnisse sehr geschickt mit der Literatur, die sie berührt, beeinflusst oder gar in den Bann zieht. Bleibt am Ende die Frage, ob ein solch magischer Ort wie "Howling Books" außerhalb der Fantasie überleben kann. Cath Crowley findet darauf eine überraschende Antwort. (ab 14 Jahre)

Cath Crowley: Das tiefe Blau der Worte. Aus dem Englischen von Claudia Feldmann. Carlsen Verlag, Hamburg 2018. 396 Seiten, 17,99 Euro.

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