Aust und der "Spiegel":Frank und frei

Die Welt aus den Tiefen von Porsche-Sportledersitzen: Ex-Chefredakteur Stefan Aust redet über den Spiegel. Was aber hatte die SPD mit seiner Entmachtung zu tun?

Hans-Jürgen Jakobs

Niemand wird sagen können, dass sich Stefan Aust nicht mit Verschwörungen auskennt. Wann immer es um Macht geht oder um Geheimdienste, gerne auch um Historisches wie das Bernsteinzimmer - der langjährige Spiegel-Chefredakteur bewies im Gespräch stets Wissen und Weitsicht.

Aust und der "Spiegel": Langjährige Duzfreunde: Stefan Aust und Gerhard Schröder 2005 in der Ausstellung "Die Kunst des Spiegel" in Berlin

Langjährige Duzfreunde: Stefan Aust und Gerhard Schröder 2005 in der Ausstellung "Die Kunst des Spiegel" in Berlin

(Foto: Foto: Marco Urban)

So erschien es zunächst als glaubhaft, was die Nachrichtenagentur AP mit Verweis auf ein Porträt über den Weitsichtigen in der Zeitschrift Cicero meldete: Dass der einstige erste Journalist im Lande die SPD mit für seinen Sturz als Spiegel-Chef verantwortlich mache. Danach hätten die Sozialdemokraten in der Berliner Parteizentrale beschlossen, einen eigenen Mann im Management des Spiegels zu platzieren: Mario Frank, vormals Chef der Sächsischen Zeitung in Dresden. Die gehört einer SPD-Verlagsfirma sowie der Bertelsmann-Tocher Gruner + Jahr (G + J). Ein klares Indiz?

Doch dann dementierte Aust die ihm von Cicero zugeschriebenen Äußerungen - und AP zog die Meldung zurück. Dumm nur, dass der 61-Jährige zur Tatsache, dass Frank seinen Spiegel-Posten bald wieder verlieren soll, wörtlich zitiert wird: "Das ist so wie in der Komödie: Wie werd ich meinen Auftragskiller wieder los." Und Wolfram Weimer, Chefredakteur von Cicero, sagt: "Alle Zitate in dem Artikel sind von Aust autorisiert." Darauf habe er Wert gelegt.

Tatsache ist, dass es sich nicht um eine Mini-Meldung in dem Monatsmagazin handelt, sondern um ein üppiges persönliches Porträt, das Erich Wiedemann geschrieben hat. Der war 28 Jahre beim Spiegel und mit Aust durchaus gut im Benehmen. Jener Erich Wiedemann also saß bei Familie Aust zweieinhalb Stunden auf der Terrasse eines Häuschens im idyllischen Hamburg-Blankenese, erspürte Plastikreste vom Korken einer Champagnerflasche und notierte so allerlei aus dem Leben eines Chefredakteurs im Ruhestand.

Auch flaue Phasen

Es darf vermutet werden, dass Aust im Dialog aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. Der Mann, der auch als Landwirt und Pferdezüchter in Stade bekannt wurde, breitete sich über feige, treulose Mitarbeiter aus, über seine beiden Nachfolger ("Die machen das eben auch so gut wie sie können"), über Spiegel-TV sowie über die Spiegel-Mitarbeiter als Mehrheitsgesellschafter.

Die würden wohl ihre Anteile verkaufen - wenn irgendjemand einen Preis in der Größenordnung von 100.000 Euro pro Mann bieten würde. Und dann gibt der Reporter den Porträtierten in indirekter Rede mit der Einschätzung wieder, der Ex habe beim Spiegel natürlich auch flaue Phasen gehabt, aber von den anderen sei fast gar nichts gekommen. Das jetzige Blatt wiederum sei politisch zu korrekt.

Im zweiten Teil wird offenbar Krieg erklärt.

Frank und frei

Ein Symptom für Austismus? Es ist jedenfalls einigermaßen erstaunlich, dass sich ein leitender Angestellter wenige Wochen nach seinem Abschied über den alten Arbeitgeber so frank und frei äußert. Zumal im Falle Aust eine Abgeltung auf vertraglich zugesicherte Betätigungen in Höhe von 4,5 Millionen Euro geflossen sein soll. Bis Jahresende kann Aust nicht für Konkurrenzfirmen aktiv werden - dann aber könnte der Veteran so richtig loslegen. Das Cicero-Psychogramm ist ein Hinweis, dass er genau das tun will. Er erklärt dem Spiegel den Krieg. Er will noch einmal zeigen, was eine Harke ist.

Schröder in dessen ersten Kanzlerjahren regelrecht hofiert

An Selbstüberschätzung hat es Stefan Aust nie gemangelt. Er begriff sich als der von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein Gesalbte, als Erbe des Systems Nachrichtenjournalismus. So gibt er in Cicero nun zum Besten, er habe sich nach seinem Abschied diszipliniert, "um des toten Rudolf Augstein willen, dem ich verpflichtet bin". Über den Tod hinaus, das klingt groß - so groß, wie die Rache der SPD in der Phantasie mancher vielleicht sein kann.

Schließlich hat Aust seinen langjährigen Duzfreund Gerhard Schröder in dessen ersten Kanzlerjahren regelrecht hofiert. Spätestens im Wahlkampf 2005 dann wechselte die Gunst in Richtung Angela Merkel (CDU). Der SPD-Mann erschien auf dem Cover - mit dem Untertitel: "Schröders letzter Freund".

Womöglich hat der geübte Reporter Wiedemann, der in seinen Stücke stets aufs Wunderbarste Bildhaftes einfügte, auch beim Blankeneser Terrassen-Talk den richtigen Zugang zur Seele seines einstigen Chefs gefunden. Vielleicht hat er tief in die Psyche seines Gegenübers geblickt. Schließlich hat Wiedemann Bücher geschrieben wie: "Die deutschen Ängste - ein Volk in Moll". Oder "Die Ängste der Welt". Er kennt sich aus mit Wichtigtuern, die in Wahrheit Angst haben.

Nur fünf Telefonate

Der Cicero-Autor lässt in seine Erzählung durchaus Mokantes einfließen. Er vergisst nicht zu erwähnen, dass Aust seinen Kritikern auch als "Chefredakteur für Deutschland" gegolten habe. Dass er "Enthüllungsgeschichten kastriert und forsche Redakteure gedeckelt" habe, und dass es in dem Zweieinhalbstunden-Gespräch nur fünf Telefonate gegeben habe - "ein Anruf von Murdoch, Burda oder Springer ist nicht dabei".

Autor Wiedemann resümiert, die Mehrheit der Spiegel-Redaktion wollte "lieber einen sanften und linken Chefredakteur, der die Welt nicht aus den Tiefen seiner Porsche-Sportledersitze betrachtete. Einen Chef ohne Springpferdezucht und ohne enge Beziehungen zum großen Geld."

Mag sein. Das alles ist wirklich schön geschrieben. Aber wie jemand glauben kann, die SPD habe Einfluss auf einen Bertelsmann-Manager wie Mario Frank, und überhaupt, wie sich diese Partei derzeit zu einer erfolgversprechenden Medienbeeinflussungsstrategie entschließen könnte - das bleibt nach diesem Intermezzo des deutschen Enthüllungsjournalismus rätselhaft.

Vielleicht sollten wir lieber nach dem Bernsteinzimmer suchen.

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