Ausstellung:Zwischen Traum und Albtraum

Ausstellung: Lyonel Feiningers "44 elegante Schirm- und Zylinderherren" von 1912 ist eines der Bilder, die im Franz Marc Museum zu sehen sind.

Lyonel Feiningers "44 elegante Schirm- und Zylinderherren" von 1912 ist eines der Bilder, die im Franz Marc Museum zu sehen sind.

(Foto: Christoph Münstermann)

"Blaues Land und Großstadtlärm" - Expressionisten aus der Fondazione Braglia im Kochler Franz Marc Museum

Von Sabine Reithmaier, Kochel am See

Auf der einen Seite der Fortschritt, der Siegeszug der Technik, der Wunsch nach neuen Formen. Auf der anderen Seite die Sehnsucht nach dem Primitiven, Ursprünglichen, Paradiesischen, die Flucht in mystisch-spirituelle Erneuerungen - die Strategien, mit denen Künstler in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf die sich so rasant verändernde Welt reagierten, waren ganz unterschiedlich. Im Kochler Franz Marc Museum bietet die Ausstellung "Blaues Land und Großstadtlärm" die Gelegenheit, in diese Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg einzutauchen und sich auf den gelungenen Versuch einzulassen, Perspektiven von Schriftstellern und Malern parallel zu erleben. Die Museumschefin Cathrin Klingsöhr-Leroy schätzt es ja immer, vordergründige Erwartungshaltungen des Besuchers zu unterlaufen. Das ist nicht leicht beim Thema Expressionismus, wo das Gefühl, alles schon einmal gesehen zu haben, überwiegt. Die Möglichkeit für echte Neuentdeckungen aber liefert ihr die Fondazione Braglia in Lugano. Die Werke aus dieser Sammlung, die vor zwei Jahren nur für einige Wochen in Lugano gezeigt wurden, kennt nämlich kaum jemand, auch wenn die Namen der Künstler altbekannt sind. Allein das stellt einen großen Reiz dar, durch die Ausstellung im ersten und zweiten Obergeschoss zu spazieren.

Der Schwerpunkt der Schweizer Kollektion liegt auf der Kunst des Blauen Reiters, insbesondere auf Paul Klee, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin; dazu gesellen sich Arbeiten von Lyonel Feininger und Max Pechstein. Ergänzt durch Werke aus dem eigenen Bestand und der inzwischen im Museum beheimateten Ahlers-Collection gliedert sich die Ausstellung in neun Kapitel, deren Titel eine lockere Richtung des Spaziergangs vorgeben: "Die Farben des Himmels" etwa - fast jeder Expressionist entdeckte eine eigene, jedes Blau ist ein bisschen anders - oder "Kinderspiele", "Paare, Passanten", "Traumland", "Städtischer Rhythmus".

Natürlich passen zu letzterem Zitate aus Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz", zu denen Feiningers 44 Schirm- und Zylinderherren durch die Straße marschieren. Elegant, aber doch eine eher anonyme Masse, die auf irgendetwas zugeht - Feininger lässt das Ziel in seinem grandiosen Bild einfach offen. Grundsätzlich begegnen die ausgestellten Maler dem städtischen Raum eher misstrauisch. Georg Grosz' "Drei Männer in der Stadt" wirken nicht gerade vertrauenerweckend, Ludwig Meidners Stadt zerfällt, weil sie beschossen wird. Nur Paul Klee entwickelt "Geplante Bauten", die sich aber zu verselbstständigen scheinen. Viel positiver dagegen das "Blaue Land": Klaus Mann schwärmt von den Sommertagen seiner Kindheit in Bad Tölz, während Kandinsky, Münter, Werefkin oder Jawlensky ihre farbintensiven Visionen von Murnau und Umgebung bieten.

Ein kleines Kabinett entführt ins "Traumland", hier ist Franz Marc mit seinen Tieren zu Hause, aber auch Else Lasker-Schüler. Die "Lebenslust" dominieren hinreißende Aktdarstellungen von August Macke, Otto Mueller oder Erich Heckel, während sich Max Pechstein an eine Auseinandersetzung mit dem Ortsgendarm in Moritzburg erinnert. Der gute Mann war nur schwer davon zu überzeugen, dass Aktmalen am Seeufer eine berufliche Tätigkeit darstellt.

Blaues Land und Großstadtlärm. Die Fondazione Braglia; Franz Marc Museum, Kochel am See; bis 3. Oktober; der Katalog zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag erschienen

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