Ausstellung zur Zwangsarbeit:Mit der Wehrmacht kam das Arbeitsamt

Opfer, Täter und Zuschauer: Erstmals will eine Ausstellung das ganze Bild des NS-Verbrechens Zwangsarbeit zeigen - viel zu lange hatte sie als unvermeidliche Begleiterscheinung gegolten.

Jens Bisky

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Quelle: Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain

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Die Opfer, die Täter und die Zuschauer: Zum ersten Mal will eine Ausstellung das gesamte Bild des NS-Verbrechens Zwangsarbeit zeigen.

Auf dem Plakat zur neuen Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin über "die Deutschen, die Zwangsarbeiter und den Krieg" ist ein Foto aus dem Herbst 1939 zu sehen: Im gerade besetzten Polen schikaniert ein deutscher Uniformierter einen Juden, der offenkundig zu Schanzarbeiten gezwungen wurde. Gefunden hat man das Foto im ehemaligen Archiv der antisemitischen Wochenzeitung Der Stürmer. Die Redaktion hatte nach Kriegsbeginn deutsche Soldaten aufgefordert, Fotos einzusenden, die dokumentierten, wie sie Juden zur Arbeit zwangen. Veröffentlicht wurde ein Ausschnitt aus einer anderen Aufnahme, die den Gedemütigten beim Graben in etwas anderer Haltung zeigt. Das Blatt kommentierte: "Zum erstenmale produktive Arbeit! Ein jüdischer Wucherer in Polen muss bei Bauarbeiten helfen."

In dem gewählten Bildausschnitt sind weder der Soldat noch die zivilen, neugierig dreinblickenden Zuschauer zu sehen.

Text: Jens Bisky/SZ vom 28.9.2010/ Alle Bilder aus der Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, bis 30. Januar 2011. Der Katalog kostet 19,80 Euro. Info: www.ausstellung-zwangsarbeit.de. Ausstellung "Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg".

Dieses Bild stammt aus der Selektion sowjetischer Kriegsgefangener zur Zwangsarbeit, Kriegsgefangenenlager Zeithain, 1942.

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: G. Gronfeld/Deutsches Historisches Museum, Berlin

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Die Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora will das gesamte Bild zeigen: die Opfer, die Täter und die Zuschauer. Zum ersten Mal soll das NS-Verbrechen Zwangsarbeit insgesamt dargestellt werden. Damit gerät auch die Rolle der deutschen Gesellschaft in den Blick. "Ob als Besatzungssoldat in Polen oder als Bäuerin in Thüringen", so die zentrale These, "alle Deutschen begegneten Zwangsarbeitern, viele profitierten davon. Zwangsarbeit war kein Geheimnis, sie war ein weitgehend öffentlich stattfindendes Verbrechen."

Registrierung im Durchgangslager Berlin-Wilhelmshagen, Dezember 1942

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Bundesarchiv, Koblenz

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Zwangsarbeiter gehörten spätestens seit 1942 zum Alltag, sie waren in städtischen Rüstungsbetrieben ebenso präsent wie auf dem Lande. Während des Krieges mussten 13 Millionen Menschen im "Großdeutschen Reich" Zwangsarbeit leisten, sieben Millionen in besetzten oder deutsch kontrollierten Gebieten. Zwanzig Millionen - das sei, so der Kurator der Ausstellung, Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, konservativ geschätzt. Die Zahl der Toten lässt sich nur für das Reichsgebiet schätzen: etwa 2,7 Millionen Zwangsarbeiter kamen durch Hunger, Krankheiten, Misshandlungen oder Mord ums Leben. Am schwersten hatten es die KZ-Häftlinge und die sowjetischen Kriegsgefangenen.

Abtransport von Frauen und Mädchen zur Zwangsarbeit nach Deutschland. Ukraine, 1943

Ausstellung jüdisches Museum Berlin

Quelle: Bibliothek der Universität Wien

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Angesichts der Zahlen scheint es evident, dass die Mehrheit der Deutschen sich zu den Zwangsarbeitern irgendwie verhalten musste. Man konnte sie nicht ignorieren. Von der anonymen Denunziation bis zur mutigen Rettungsaktion reichen die Beispiele in der Ausstellung. Die Geschichte der Zwangsarbeit berichtet also auch vom Alltag im NS-Regime, von der Verbreitung rassistischer Ideologie, von menschlicher Schäbigkeit oder Mitgefühl und Widerstandskraft.

Eine der zahlreichen Regeln zum Umgang mit Zwangsarbeitern. "Schaubild der Woche", Amstettner Anzeiger, 18. April 1943

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Bundesarchiv Koblenz

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Bevor im besetzten Polen massenhaft Juden drangsaliert und geschlagen wurden, hatte man im Reich gelernt, Wehrlose durch Schläge und Schuften "fertig zu machen". Eine Fotografie aus dem März 1933 zeigt, wie der Sozialdemokrat Bernhard Kuhnt in Chemnitz von SA-Leuten misshandelt wird (Bild). Er sitzt in einem Karren und muss der Gewalt gehorchen. Die Bildbeschriftung lautet: ",Immer vornehm!' Flottenmeuterer Bernh. Kuhnt fährt an seiner neuen Arbeitsstätte (Dreckwaschen) vor."

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Archiv der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, Warschau

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In der Nachkriegszeit hatte die Zwangsarbeit viel zu lange als bedauerliche, aber unvermeidliche Begleiterscheinung des Krieges gegolten. Die Ausstellung korrigiert diese Vorstellung, indem sie in einem ersten, ausführlichen Kapitel zeigt, in welchem Umfang die Demütigung durch zermürbende Arbeit von Anbeginn zu den Kampfinstrumenten des neuen Regimes gehörte. Am 1. September 1939 begann die Phase der Radikalisierung. Mit der Wehrmacht kamen auch die Arbeitsämter ins überrannte, besetzte Polen, das nun ausgeplündert wurde. Für dieses und das folgende Kapitel über Zwangsarbeit als Massenphänomen stand ein großer Fundus von Fotografien zur Verfügung. Dass so viel mit der Kamera festgehalten worden ist, dass so viele Fotos erhalten sind, hat die Kuratoren selbst überrascht.

Władysław Kołopoleski wurde zur Zwangsarbeit verschleppt und schwer misshandelt

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Sammlung Vernon Schmidt, Veteran der U.S. Army

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So sind es die Bilder, die nach einem ersten Rundgang in Erinnerung bleiben: ausgemergelte sowjetische Kriegsgefangene, dem Hungertod entgegensehend; die Hinrichtung eines polnischen Zwangsarbeiters; ein fröhlich wirkendes Erinnerungsfoto, dass aber Ermittlungen zur Folge hat: Man unterstellte der Arbeitgeberin in Würmla (Niederösterreich) ein Verhältnis zu dem Franzosen Nobile Citerneschi. Er kam vor ein Kriegsgericht. Seine Arbeitgeberin wurde von einem Sondergericht freigesprochen, über sein weiteres Schicksal ist nichts überliefert.

Nach einer Exekution werden polnische Zwangsarbeiter an den Hinrichtungsort geführt und belehrt, Bayern undatiert

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: National Archives, Washington

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Zwangsarbeit war nicht gleich Zwangsarbeit. Neben den 8,4 Millionen "Fremdarbeitern" gab es die etwa 4,6 Millionen Kriegsgefangenen, die in der Rüstungsindustrie arbeiten mussten, dann etwa 200.000 Strafgefangene, Sinti und Roma, KZ-Häftlinge und - im Reichsgebiet - etwa 110.000 "Arbeitsjuden". Wie mit den einzelnen Arbeitern und Arbeiterinnen umzugehen sei, war nach rassistischen Kriterien geregelt. Für Juden sowie Sinti und Roma war die Arbeit nur ein Schritt auf dem Weg der Vernichtung, obwohl manche an eine "Rettung durch Arbeit" glauben wollten.

Ukrainische Zwangsarbeiter erhalten nach ihrer Befreiung eine Mahlzeit, März 1945

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: National Archives, Washington

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Manchmal gelang das ja auch, wie im Fall Schindler oder im Fall von Eberhard Helmrich, der in Galizien jüdische Zwangsarbeiter auf einem eigens eingerichteten, bald von der SS aufgelösten Gut rettete. Sowjetische Kriegsgefangene und "Ostarbeiter" wurden ebenso wie Polen als rechtlose Sklaven angesehen. Arbeitskräfte aus Frankreich dagegen umwarb man zunächst und griff erst später zum Mittel der Zwangsverpflichtung.

Jüdische Frauen nach ihrer Befreiung aus einem Zwangsarbeitslager in Kauritz südlich von Altenburg in Thüringen, 1945

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Mercedes-Benz Classic, Archive

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Deutsche Firmen waren an all dem beteiligt. Im zerstörten Minsk unterhielt Daimler-Benz bald einen großen Reparaturbetrieb, bei BMW, im Flugmotorenwerk München-Allach, waren gegen Kriegsende neunzig Prozent der Beschäftigten ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge. Erst spät haben sich die Unternehmen auch diesem Teil ihrer Geschichte gestellt. Gemeinsam mit der Bundesrepublik hat die Wirtschaft im Jahr 2000 die "Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" begründet. Damals habe man endlich, so sagte Bundespräsident Christian Wulff zur Eröffnung der Ausstellung am Montagabend in Berlin, Verantwortung übernommen "für das Unrecht, das Zwangsarbeitern unter deutscher Herrschaft angetan wurde".

Zwangsarbeiterinnen auf dem Gelände des Daimler-Werkes in Minsk, September 1942

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Süddeutsche Zeitung Photo

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Bis 2007 wurden durch die Stiftung ehemalige Zwangsarbeiter mit insgesamt 1,66 Milliarden Euro entschädigt - wobei die sowjetischen Kriegsgefangenen und die italienischen Militärinternierten leer ausgingen. Die Stiftung hat auch diese Ausstellung gefördert, die nach dem Beginn in Berlin als Wanderausstellung in ganz Europa gezeigt werden soll.

Zwangsarbeiter beim Bau des Atlantikwalls, 1943

Jüdisches Museum - Ausstellung Zwangsarbeit

Quelle: Bundesarchiv, Koblenz

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Zu deren Stärken gehört es, dass sie der Versuchung zur Selbstbeweihräucherung der Gegenwart nicht nachgibt. Sie dokumentiert ausführlich den jahrzehntelangen Streit um die Anerkennung der Zwangsarbeit als Verbrechen und die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Einem Polen, der Flugblätter gegen die Zwangsarbeit verbreitet hatte, ins KZ kam und nun auch Zwangsarbeit verrichten musste, beschied 1959 das Oberlandesgericht München, dass die "Heranziehung zur Arbeit" auch außerhalb der Heimat, "noch kein Eingriff in die Sphäre der der Menschenwürde zugrundeliegenden Persönlichkeitsrechte" sei. Der Antrag auf Entschädigung wurde abgelehnt. Diese Kaltschnäuzigkeit ist überwunden. Damit an ihre Stelle nicht "historisch entkernte Pietät" trete, habe man, so Volkhard Knigge, diese Ausstellung erarbeitet: in "anteilnehmender Lakonie".

KZ-Häftlinge auf der IG Farben-Baustelle, Auschwitz, um 1943

© SZ vom 28.9.2010/kar
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