Ausstellung:Wo die Sehnsüchte blühn

Die Neue Pinakothek lädt unter dem Titel "Pathos und Idylle" zum Lustwandeln durchs historische Italien und zeigt mitten in ihrer Gemäldesammlung Fotografien aus der Sammlung Siegert

Von Evelyn Vogel

Da kann die Welt noch so groß sein, der Deutschen größter Sehnsuchtsort ist und bleibt Italien. Besonders die Münchner als "Bewohner der nördlichsten Stadt Italiens" zieht es regelmäßig hin. Spätestens zu Pfingsten wird die Blechlawine deshalb wieder über die Alpen rollen. Doch eine Erscheinung der Neuzeit ist diese Italiensehnsucht wahrlich nicht.

Lange vor den Teutonenhorden waren es die Künstler, die in Wort und Bild schwärmerisch Licht und Landschaft priesen. Dichter und Architekten, Bildhauer und Maler - und nicht zuletzt Fotografen ließen sich inspirieren. Davon, wie wenig letztere im 19. Jahrhundert alle Mühen scheuten und ihre schweren Plattenkameras herumschleppten, um die Landschaft und die Menschen abzulichten, zeugt die fotografische Sammlung, die der Münchner Filmproduzent Dietmar Siegert zusammengetragen hat. Im vergangenen Jahr hat die Bayerische Staatsgemäldesammlung ein riesiges Konvolut von annähernd 10 000 Fotografien aus der Sammlung erworben - finanziert nur mit Mitteln privater Förderer. Italienische Ansichten aus den Jahren 1846 bis 1900. Ein Teil davon wurde bereits in der Ausstellung "Venedig sehen . . ." gezeigt.

Nun werden etwa 100 weitere Aufnahmen unter dem Titel "Pathos und Idylle" in der Neuen Pinakothek präsentiert. Die mitunter gut 150 Jahre alten, recht großformatigen Abzüge sind von einer faszinierenden Tiefe und Brillanz. Licht und Schatten haben die Fotografen kompositorisch eingesetzt, die oft malerische Anmutung wird mit Hilfe von Tonung statt Farbe verstärkt. Eine Übersicht über Themen, Stile und Gestaltungsmittel geben zwei Räume zu Beginn - in reduziertes Licht getaucht, um die empfindlichen Abzüge zu schützen.

Dann startet man den Rundgang durch die Neue Pinakothek in Erwartung einer Abfolge von Hauptsälen voller Gemälde und Seitenkabinetten mit Fotografien. Stattdessen trifft man auf kleine, schwach beleuchtete Pavillons, die in die Säle hineingestellt wurden. Wo sich sonst Ruhebänke hinducken, schieben sich nun diese temporären Kabinette in die Blickachsen und erlauben sich mit ihrer zarten Anmutung eine ungeheure Behauptung: den Blick auf die großen Meister der Malerei des 19. Jahrhunderts zu versperren. Ein Schock? In jedem Fall ein Signal. Denn plötzlich ist man hellwach, nimmt Malerei wie Fotografie viel intensiver wahr, als man das bei einer gleichmäßig wechselnden Raumabfolge vermutlich getan hätte.

Vier der fünf Kabinette wurden schräg in den Sälen platziert, so dass der Blick aus den offenen Stirnseiten auf freie Ecken und Durchgänge fällt. Man muss hinein und hinaus und drum herum, um die Korrespondenz von Gemälde und Fotografie im schönen Wechselspiel zu erkunden. Und zu erkunden gibt es viel. Berührend, wie unter dem Titel "Roma sacra" die stilisierte Malerei der Nazarener mit der inszenierten Fotografie eines Giacomo Caneva korrespondiert. An anderer Stelle trifft pathetisch und erhaben inszenierte Landschaft wie die in Joseph Anton Kochs Gebirgsbachgemälde "Der Schmadribachfall" von 1822 auf Robert MacPhersons kaum weniger dramatisch anmutende Aufnahme "Cascata delle Marmore bei Terni", die 1858 entstanden ist.

Leicht und heiter - und in absoluter Verkennung der wahren Lebensumstände - verklären Malerei wie Fotografie das italienische Volksleben. August Riedel stilisierte Mitte des 19. Jahrhunderts in seinen Gemälden Hirten und Bauern zu Nachfahren der Römer. Die Fotografen zogen wenige Jahrzehnte später nach und verliehen der Landbevölkerung die Aura des Pittoresken. Viele der Modelle - denn um solche handelte es sich oft - wirken wie idyllisch hingegossen. Vom harten Leben auf dem Land keine Spur. Aber die Aufnahmen sollten auch oft als Vorlage oder Versatzstück für die Maler in ihren Ateliers dienen. Oder sie befriedigten aufkommende touristische Bedürfnisse. Und die Touristen jener Zeit suchten nicht das wahre Leben, sondern die romantische Verklärung. Die Fotografen kamen also nur ihrer Klientel entgegen - und verdienten dabei nicht schlecht.

Inhaltlich wie formal im harten Gegensatz zu den monumentalen Historiengemälden von Kaulbach und Piloty stehen die geschichtsträchtigen Aufnahmen des Risorgimentos, der nationalstaatlichen Einigung Mitte des 19. Jahrhunderts, von Lecchi und Sacchi: statt glühender Helden zerschossene Häuser. Im letzten Saal des Rundgangs, inmitten der Gemälde der Deutsch-Römer, wurde der Pavillon nicht schräg, sondern rechtwinklig in den Raum gestellt. So eröffnet sich ein direkter Blick auf Feuerbachs "Medea" auf der einen und Böcklins "Im Spiel der Wellen" auf der anderen Seite, während Plüschows und Goedens Aufnahmen von Jünglingen, Gärten, Wasserfällen, Felsen und allerhand idealisierter Natur von Caneva und Simelli in "arkadische Idyllen" locken. Zwar sehen wir Italien heute anders, doch als Folie für unsere Sehnsüchte taugt es noch immer.

Pathos und Idylle. Italien in Fotografie und Malerei. Sammlung Dietmar Siegert, Neue Pinakothek, Barer Straße 29, geöffnet täglich außer Di 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, bis 21. September

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