Ausstellung:Winnetous Freunde

Der Maler Julius Seyler im Museum Fünf Kontinente

Von Christoph Wiedemann

Winnetous Freunde sind wir doch eigentlich alle, die als Jugendliche in den Siebzigerjahren Freiheit und Abenteuer in den einschlägigen Lesebüchern suchten. Ein Romantizismus Halbwüchsiger, gewiss. Aber insgeheim ließ er eine ganze Generation von Blutsbrüderschaft mit Winnetou, dem Edelsten aller Wilden, träumen. Für all jene, die sich noch heute - wenn auch nur noch mühsame zu alten Jugendsünden bekennend - an diese Schwärmereien erinnern, ist der Besuch der neuen Ausstellung im Museum Fünf Kontinente ein höchst amüsantes Muss.

Denn das ehemalige Völkerkundemuseum präsentiert Werke eines Münchner Malers, den der Zufall in den beiden Jahren vor dem Ersten Weltkrieg nach Amerika an die Grenze des Bundesstaates Montana zu Kanada in die Reservationen der Schwarzfuß-Indianer verschlug. Julius Seyler hieß der akademisch ausgebildete, 1873 als Apothekersohn in Memmingen geborene Künstler und war so etwas wie ein Münchner "Edelstenz". Nach dem frühen Tod des Vaters nahm ihn der Bruder der Mutter, der Landtagsabgeordnete und Bankdirektor Gottfried August Christoph in München unter seine Fittiche. Der Onkel hatte eigentlich eine Offizierslaufbahn für sein Mündel vorgesehen. Aber der Junge war dafür wohl immer schon zu lebhaft und vor allem auch viel zu vielseitig. Aus der Kadettenanstalt bricht er aus und nimmt stattdessen Malunterricht, um dann 1892 an der Münchner Kunstakademie bei Wilhelm Diez und Heinrich von Zügel mit dem Studium zu beginnen.

Und er ist ein großer Sportler. Als Kind schon trainiert er Eisschnelllauf auf den Spritzeisbahnen des Kleinhesseloher Sees. 1895 gewinnt er die Meisterschaften des Deutsch-Österreichischen Eislaufverbandes und als Ruderer den Kaiserpreis im Vierer. Segler ist er natürlich auch. Ein Tausendsassa, dem scheinbar alles mit großer Leichtigkeit zufällt. Im Stil der Impressionisten malend, wird er 1901 bei der Glaspalast-Ausstellung für seine Bilder ausgezeichnet. Die Galerie Thannhauser vertritt ihn und verkauft seine Landschaften und Milieustudien so erfolgreich, dass Seyler sich 1902 ein Domizil am Ammersee leisten kann, wo er malt, segelt, eine Hundezucht betreibt und von dort aus immer mal wieder auch auf große Reise geht.

Letzteres führt 1910 zur Heirat mit der Amerikanerin Helga Boekmann, einer ehemaligen Kommilitonin an der Münchner Kunstakademie. Was insofern von weiterer Bedeutung sein wird, als Helga Boekmann verwandtschaftlich verbunden ist mit einem amerikanischen Eisenbahnmagnaten. Der, Louis Hill, Eigner der Great Northern Railway-Gesellschaft, hat gerade ein größere Investition in eine mondäne Hotelanlage im just eröffneten Glacier National Park von Montana getätigt. Hill braucht eine Werbekampagne. Seyler ist Maler. Und so lädt der Eisenbahn-Tycoon den deutschen Maler nach Montana ein, in Erwartung gegenseitiger Behilflichkeit. Und da man mit der Eisenbahn reist, bestellt Hill an jeden Bahnhof das passende Willkommens-Komitee.

Zu der Zeit waren das die Insassen der örtlichen Indianerreservate. Hill heuerte die ehemals stolzen, nunmehr eingepferchten, arbeitslosen und jeglicher Perspektive beraubten Krieger und Häuptlinge der Schwarzfuß an, auf dass sie für ein paar Dollar am Bahnhof Spalier stünden und das Wilde in der Wildnis suchende Touristen empfingen. Seyler, vom Indianermärchen-Erzähler und Winnetou-Erfinder Karl May geprägt oder auch nicht, sprang natürlich sofort an und begann, Freundschaften schließend, umgehend zu malen. "Boss Ribs", wie ihn seine neuen Pfadfinder-Helfer auf dem Weg zum "Zurück zur Natur" bald nannten, hütete sich freilich davor, die grausige Wirklichkeit darzustellen, in der - völkerkundliche Zugabe des Hauses - einstige Medizinbeutel längst zu Brieftaschen für die Essenmarken im Reservat umgearbeitet worden waren.

Statt dessen stellte er seine neuen Freunde wie in ehemals freien Tagen als Herrscher der Prärie auf ihren Mustangs dar und inszenierte bildlich heroische Büffeljagden, obwohl es längst schon keine Büffel mehr gab. Diese Bilder sind leidenschaftlich, romantisierend, die Wahrheit negierend, vor allem aber von einer ins Abstrakte spielenden Expressivität, die Seyler als Werbemaler für den Eisenbahnkönig unbrauchbar erscheinen ließen. Hinzukam für das einstige Glückskind der derbe Schicksalsschlag des Ersten Weltkriegs. Bei dessen Ausbruch befand er sich noch immer in den USA und konnte wegen der britischen Seeblockade bis auf Weiteres nicht mehr zurück in seine Heimat. Bis 1919 musste Seyler als Autodidakt auf der Farm seines Schwiegervaters überleben. 1921 kam er zurück nach München, konnte aber nie mehr an frühere Erfolge anknüpfen. Als "Indianermaler" wurde er freilich transatlantisch so intensiv gesammelt, dass man heute problemlos eine Ausstellung mit den Arbeiten jener Phase organisieren konnte.

Farben, Kunst, Indianer. Der Münchner Impressionist Julius Seyler bei den Blackfeet, Museum Fünf Kontinente, Maximilianstr. 42, bis 3. April 2016

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