Ausstellung:Wettermor­phose

Über die Modifikation von Wolken, Wind und Meeresspiegel: Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet sich unserem Murks mit dem Klima.

Von Alex Rühle

Sandy zum Beispiel. Der Hurrikan, der 2012 große Gebiete New Yorks unter Wasser setzte, darunter Chelsea, einen Stadtteil, in dem jeder zweite Bewohner Künstler, Filmemacher oder Schriftsteller ist. Viele von ihnen wurden schwer getroffen von der Sturmflut, Ateliers versanken, Wohnungen wurden wertlos. Aber hat auch nur einer von ihnen über die konkreten Auswirkungen einen Film gedreht, einen Roman geschrieben, eine Bilderserie gemacht? Nichts dergleichen. Allgemeiner gesprochen: Es gibt mittlerweile haufenweise "Cli-fi"-Szenarios, apokalyptische Totalkatastrophen, Auslöschung in Cinemascope. Aber kaum etwas über das, was konkret vor unser aller Augen passiert. Oder wie der indische Schriftsteller Amitav Gosh es ausdrückt: "Es wurden unzählige Romane geschrieben und Filme gedreht über den möglichen Totaluntergang New Yorks. Aber es gibt kein einziges Werk über seinen tatsächlichen Untergang."

Gosh hat soeben ein Buch in Essayform über dieses rätselhafte Vakuum geschrieben. "The Great Derangement" dreht sich um die Frage, warum die Künste den Klimawandel bislang kaum bearbeiten. "Spätere Generationen", so schreibt er, "werden zu dem Urteil kommen, dass in unserer Zeit die Künste allesamt nur noch dazu dienen, die Wirklichkeit zu verschleiern und abzumildern. Diese Epoche, die so unglaublich stolz ist auf ihre Selbsterkenntnis, wird eines Tages als die Epoche der großen Umnachtung gelten."

Vielleicht sollte man Gosh ein Ticket nach Bonn kaufen. Für die dortige Bundeskunsthalle. In der Ausstellung "Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft" wird nämlich der Versuch unternommen, Kunst und Wetter, Kultur und Klimaforschung miteinander in Beziehung zu setzen. Die Kuratoren Stephan Andreae und Ralf Burmester lassen die Besucher einen Tag durchschreiten, von der Morgendämmerung bis in die Nacht und teilen die verschiedenen Wetterphänomene - Sturm, Regen, Wolken - unterschiedlichen Tageszeiten zu, was so simpel wie stimmig ist, schließlich hängen Wetter und Zeit untrennbar miteinander zusammen, ja in vielen Sprachen verschmelzen die chronologische Zeit und das atmosphärische Wetter zu ein und demselben Wort, man denke an das französische "temps" oder das italienische "tiempo".

Nun ist Wetter das, was wir täglich erleben, während sich Klimazustände erst aus mehreren Jahrzehnten Wetterdaten ablesen lassen. So geht es hier immer zugleich um das Große Ganze und den kleinen Schauer, den örtlichen Sturm und die globale Erwärmung. Und es geht zugleich darum, wissenschaftliche Entdeckungen und Kunstwerke einander spiegeln zu lassen. Wie bedingen Klima und Kultur einander? Was wissen wir über das Wetter? Seit wann? Und wie wurden die jeweiligen Entdeckungen in der Kunst verarbeitet?

Ein Beispiel: Wolken waren in der Geschichte der Menschheit immer nur Wolken. Selbst die klassifizierungswütigen Europäer hatten nie daran gedacht, all diese Haufen und Schlieren am Himmel genauer zu untersuchen, zu flüchtig waren sie in ihrer Erscheinung, Wettamorphose in Reinkultur. Bis sich der Engländer Luke Howard vor den Toren Londons ins Gras legte. Der schweigsame Einzelgänger schaute jahrelang den Wolken beim Ziehen zu. 1802 hielt der völlig unbekannte Apotheker dann vor der Askesian Society in London seinen bahnbrechenden Vortrag "On the modification of clouds", indem er die Wolken in unterschiedliche Kategorien einteilte. In Anlehnung an Carl von Linnés Systematisierung der Pflanzen- und Tierwelt wählte Howard lateinische Bezeichnungen für seine Wolkentypen, seither schweben Cirrus-, Cumulus- und Stratuswolken durch die Welt.

Die Bundeskunsthalle zeigt Howards Skizzen, luftig-zarte und dabei sehr akkurate Aquarelle, die aber so leise wirken wie die auf ihnen abgebildeten Wolken. Ihnen gegenüber hängen Gemälde von John Constable, wuchtige Landschaftsbilder, hochdramatisches Wolkengequirl über scharf ausgeleuchteten Hügellandschaften. Constables Bilder sind direkte Antworten auf Howards Studien: Der Maler kannte dessen "Modification of clouds", seine Bilder wirken wie subjektive Antworten auf Howards kühle Feststellungen. Das wirkt in der Gegenüberstellung, als hätte Wagner mathematische Formeln vertont.

Hinter Constables aufgebauschten Dramen hängen Himmelsstudien des New Yorker Zeichners Saul Steinberg, die unsere öde, menschenzentrierte Perspektive radikal umdrehen: Jedes Mal steht da dasselbe schwarze Strichmännchen auf dem Boden des Bildes. Über ihm aber breitet sich ein immer anderer Himmel aus, mal kompakt, mal rosa zerfließend, mal dramatisch schwarz, mal lieblich blau. Was ist der Mensch schon gegen die Natur.

Im Grunde will diese ganze Ausstellung den Blick so umdrehen: Wir Menschen sind nur zu Gast, winzige Wesen in einem großartigen Spektakel, dessen Zusammenhänge uns erst langsam und vielleicht zu spät klar werden. William Turners Atmosphärenbilder, die letzten Exponate in diesem Raum über Wolken, sind im Vergleich mit Constable und Steinberg von unglaublicher Farbintensität, flirrend, schlierig und verschwommen. Direkt daneben steht ein filigranes Messgerät für Aerosole, das angibt, wieviele Schwebeteilchen sich in einem Gas befinden. So wird angedeutet, welche unsichtbaren Ingredienzen durch viele Turnersche Sonnenuntergänge schweben: Der Ausbruch des Tambora auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien 1815 führte in den darauffolgenden Jahren zu einem globalen Kälteeinbruch und zu spektakulären Sonnenuntergängen. Turner wusste nichts davon, als er seine rosalila Farbsalven komponierte.

"Mir bleibt nichts anderes übrig, als fest an die Möglichkeit zu glauben, dass wir eine komplette Destabilisierung des Klimas noch verhindern können." Hans Joachim Schellnhuber

Eine Vitrine erinnert an den Engländer Robert FitzRoy, den tragischen Erfinder der Wettervorhersage. Der Seemann und Wissenschaftler wurde nach einem Schiffsunglück 1861 mit dem Aufbau eines landesweiten Sturmwarnsystems beauftragt. Da er dafür aber nur auf Messdaten auf den britischen Inseln zurückgreifen konnte, ohne etwas über die Wetterverhältnisse auf dem Atlantik zu wissen, lag er so oft falsch und erntete soviel Spott, dass er in Depressionen verfiel und sich 1865 das Leben nahm. Geradezu tragisch liest sich in dem Zusammenhang das Interview im Katalog mit dem Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der auf die Eingangsfrage, ob er als Berater der Bundesregierung nicht oft verzweifle, salomonisch antwortet: "Mir bleibt nichts anderes übrig, als fest an die Möglichkeit zu glauben, dass wir eine komplette Destabilisierung des Klimas noch verhindern können." Er gibt der Menschheit eine Chance von 1:5, dass sie das Schlimmste noch verhindert. FitzRoy wusste noch nichts über das Wetter, einer wie Schellnhuber weiß enorm viel über Klimazusammenhänge, trotzdem hört die Politik kaum wirklich zu.

Im November findet in Bonn die 23. Weltklimakonferenz statt. Hoffentlich schauen viele der Teilnehmer in einer der Verhandlungspausen hier vorbei.

Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft. Bundeskunsthalle Bonn, Bonn. Bis 4. März 2018. Der Katalog kostet 45 Euro.

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