Ausstellung "War of Terror" in London:Wie viel Terror sich im "Krieg gegen den Terror" verbirgt

Guantanamo: If the Light Goes OutCamp 6, Shackles; from the series Guantanamo: If the Light Goes Out© Edmund Clark, Courtesy of Flowers Gallery London and New York

Auch in der Ausstellung zu sehen: Fußfesseln aus Guantánamo.

(Foto: Edmund Clark, Courtesy of Flowers Gallery London and New York)

Der Fotokünstler Edmund Clark führt im Londoner Imperial War Museum beklemmende Dokumente eines Kampfes, der keine Kriegserklärung kennt.

Von Thomas Steinfeld, London

Im Innenhof des Imperial War Museum in London stehen Kanonen auf Lafetten, ein paar Raketen und der Jeep einer Nachrichtenagentur mit Schusslöchern in der Frontscheibe. Zu sehen ist dort auch das beinahe bis zur Unkenntlichkeit demolierte Wrack einer Limousine, die im März 2007 bei einem Selbstmordanschlag in Bagdad zerstört wurde. 38 Menschen starben bei der Explosion in der Straße der Buchhändler, mehr als hundert wurden verletzt, die Urheber sind nicht bekannt. Der britische Künstler Jeremy Deller, Gewinner des Turner-Preises im Jahr 2004, verwandelte das flache rostige Gebilde in eine Installation, indem er erklärte, dass sie für die Menschen stehe, die in der Explosion verkohlten - denn deren Körper ließen sich nicht ausstellen. Ein Kunstwerk wollte er deswegen in diesem Wrack nicht erkennen: "It is what it is", sagte er, nach der Bedeutung seines Arrangements befragt, "es ist, was es ist."

Wenn das aber so sein soll, muss auch das Entsprechende gelten: dass der Haufen Schrott auch den Täter repräsentiert, jenen Menschen, von dem man nichts weiß, außer dass er eine Menge Sprengstoff auf einem Lieferwagen in eine Straße fuhr und ihn zündete.

Der "Krieg gegen den Terror", vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush nach den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2001 ausgerufen und später in "Overseas Contingency Operations" umgetauft, gehorcht einer Logik des Verdachts. Denn ein Terrorist gibt sich nicht als solcher zu erkennen, bis zu dem Augenblick, in dem er seine Tat ausführt. Erst im Angriff ist er als Feind zu identifizieren, bis dahin aber ist er Bürger wie alle anderen und hätte also, solange er sich nichts zuschulden kommen lässt, mit Strafverfolgung nichts zu schaffen. Die Logik des Verdachts widerspricht solchen Verhältnissen. Sie erkennt stattdessen in jedem einen potenziellen Terroristen und agiert: nicht um eine Straftat zu verfolgen, sondern um einen Verdacht auszuschließen. Dass dabei auch friedliche Menschen wie feindliche Kombattanten behandelt werden, liegt ebenso in der Natur der Sache wie die Sortierung der Menschheit nach äußerlichen Indizien, der Hautfarbe etwa oder der Barttracht.

Im dritten Stock des Imperial War Museums, immer noch in Sichtweite des Wracks aus Bagdad, ist gegenwärtig eine Ausstellung des britischen Fotokünstlers Edmund Clark zu sehen, die mehrere seiner Projekte unter dem Titel "War of Terror" zusammenfasst. Sie alle sind den praktischen Folgen jener Logik des Verdachts gewidmet.

Da ist die Dokumentation zum Leben eines in Iran geborenen Briten in einem "Control Order House", einer Art erzwungenem Exil im eigenen Land, ohne Adresse, aber unter vollständiger Überwachung. Da gibt es eine fotografische Bestandsaufnahme zu den Gefängnissen und Verhöreinrichtungen, die der amerikanische Geheimdienst in Libyen, Rumänien und Litauen unterhielt. Da sind andererseits Recherchen zu den kleinen privaten Fluggesellschaften, die echte oder vermeintliche "bad guys" von einem dunklen Ort zum anderen brachten, immer im Verborgenen, aber mit exakten Unterlagen für die Abrechnung der Spesen (diese Recherchen unternahm Clark mit Crofton Black, der als Ermittler für eine Menschenrechtsorganisation arbeitet). Und da sind schließlich die Fotografien aus Guantanamo Bay, mitsamt den von der Zensur an vielen Stellen geschwärzten Briefen an einen dort inhaftierten Briten.

Das Imperial War Museum ist der Geschichte des britischen Militärs gewidmet und enthält, neben allerhand zerbeultem Kriegsgerät, auch eine Heldengalerie: Darin werden die Empfänger des Victoria-Kreuzes geehrt, der höchsten nationalen Auszeichnung für Tapferkeit vor dem Feind. Das Werk Edmund Clarks nimmt sich in dieser Umgebung bizarr aus, zumal es zwar mit Erläuterungen versehen ist, aber ohne deutenden Kommentar auskommt: Der Kampf, dessen Zeugnisse in diesen Fotografien und Dokumenten zu sehen sind, kennt keine Kriegserklärung - denn "Krieg" hieße ja, den Feind als Souverän wahrzunehmen. Stattdessen gibt es einen "terrorism act", der die Aussetzung von Rechtsverhältnissen vorsieht. Was von ihm bleibt, ist eine Macht im selbsterklärten Ausnahmezustand: eine Macht, der viele Gewaltmittel zur Verfügung stehen - und die offenbar bereit ist, jedes dieser Mittel zu nutzen.

Wer darin sitzt, dem muss sein Leben unerträglich sein

Die physische Realität dieser Mittel zeigt Clark, und seine Bilder sind umso eindrucksvoller, als keine Menschen darauf zu sehen sind: Mit diesen Dingen ist der Verdächtige physisch konfrontiert - und mit den Räumen, in denen er isoliert ist. Die Macht dahinter verweigert ihm Gesellschaft und Orientierung, und je mehr sie das tut, desto stärker verwandelt sie sich in ein gesichtsloses Subjekt, gegenüber dem es nur Ohnmacht geben kann.

Auf einem Bild der Ausstellung ist ein Stuhl zu betrachten, in dem der Gefangene offenbar festgegurtet wird. Er ist mobil, und sein Zweck erschließt sich dem ersten Blick nicht. Er besteht aus einer eisernen Konstruktion mit einer Art Sicherheitsgurt und Schlaufen für die Extremitäten, ähnelt also einem elektrischen Stuhl, aber man sieht keine Drähte. Erst die Legende klärt die Funktion: Der Stuhl dient der Zwangsernährung von Internierten. Wer darin sitzt, dem muss sein Leben unerträglich sein. Zugleich aber gibt es die staatliche Macht, die sein Los schuf und nicht daran denkt, es zu erleichtern, sondern die Unerträglichkeit zu erhalten trachtet. Man kann diesen Stuhl also nicht anschauen, ohne darin ein Instrument der Folter wahrzunehmen - einen Überschuss nicht nur an Gewalt, sondern auch an Bosheit.

Es mag sein, dass dieses Bild das Wesen einer Einrichtung wie Guantanamo Bay sehr viel genauer erfasst als die bekannten Fotografien von Menschen hinter Drahtzäunen. Denn in diesem Überschuss lässt sich erkennen, wie groß die Vorbehalte sind, die der Staat gegenüber jenen Verdächtigen hegt; sie mögen das Misstrauen rechtfertigen oder nicht. Und auch die Räume des "Control Order House" wecken die Assoziation der Folter.

Im selben Maße, wie ihre Geografie nicht zu identifizieren ist, erscheinen sie als geschlossene, zur Außenwelt hin abgedichtete Kammern. Wer darin schreit, kann nicht gehört werden. Das Wrack jener Limousine, die Jeremy Deller in ein Mahnmal für die Opfer des Terrors verwandeln wollte, ist ein ungleich schwächeres Kunstwerk als diese fotografischen Dokumentationen. Denn das zerstörte Automobil ist bloß ein Gegenstand des Gedenkens. Es ist nur eine Reliquie, und solche Memorabilien des Protests sind mitsamt den Ritualen des Gedenkens überall und zu geringen Tarifen zu haben. Die Bilder und Texte Edmund Clarks hingegen sind von anderer Qualität. Sie offenbaren den Schrecken, indem sie sich das Prinzip der Folter zu eigen machen: Denn das Herzeigen der Instrumente war seit jeher deren erste Stufe. Alle Folter beginnt mit der "Territion" - indem die Geräte zunächst nur von der übergroßen Qual künden, die bei ihrer praktischen Anwendung zu erwarten wäre. In solchem Herzeigen aber bestehen diese Bilder und Schriftstücke.

Dass Staaten sich mit Gewalt schützen, ist normal - und zutiefst unheimlich

Vor einigen Monaten veröffentlichte Edmund Clark seine Dokumentation zu den "extraordinary renditions" (den "Überstellungen von Terrorverdächtigen") des amerikanischen Geheimdienstes in einem ebenso aufwendig gestalteten wie bedrohlich informativen Dossier mit dem mehrdeutigen Titel "Negative Publicity" (Aperture Books, London 2016). Die Dokumente zum "Control Order House" sind in einer Broschur in der Ausstellung erhältlich (Here Press, London 2016). Die Gegenwart dieser Dokumente im Imperial War Museum zeitigt indess eine eigene Qualität: Der Besucher verlässt das Gebäude nicht ohne das Bewusstsein, Zeuge einer beunruhigenden Konfrontation geworden zu sein.

Da gibt es auf der einen Seite ein Museum, in dem sich Großbritannien als militärische Macht schildert und bestätigt und das selbst in der moralischen Brechung - also auf die Gräuel des Kriegs verweisend - von einem grundsätzlichen Einverständnis mit dem Krieg zeugt. Und da ist auf der anderen Seite eine Ausstellung, die vom "Krieg gegen den Terror" berichtet, ohne eine Frage nach Schuld und Verantwortung zu stellen - und die deshalb nicht nur davon handelt, wie viel Terror sich im "Krieg gegen den Terror" verbirgt, sondern auch davon, wie unheimlich eine staatliche Normalität sein muss, in der solche Unternehmungen als notwendig und angemessen erscheinen.

War of Terror. Imperial War Museum, London. Bis 28. August 2017.

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