Ausstellung "Sport und Gesellschaft":Über Sport scherzt man nicht

Gerade soll der Mensch sein, aber nicht schön: Das Dresdner Hygiene-Museum zeigt in der Austellung "Auf die Plätze: Sport und Gesellschaft", dass Leibesertüchtigung kein Vergnügen ist.

Burkhard Müller

16 Bilder

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Quelle: © Sportmuseum Schweiz, Voltigierpferd, um 1800, Süddeutschland

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Gerade soll der Mensch sein, aber nicht schön: Das Dresdner Hygiene-Museum zeigt in der Austellung "Auf die Plätze: Sport und Gesellschaft", dass Leibesertüchtigung kein Vergnügen ist.

Was, fragt der Katalog der Ausstellung "Auf die Plätze: Sport und Gesellschaft", unterscheidet den Sport im eigentlichen Sinn von der bloßen menschlichen Bewegung? Gleich beim Betreten der Räume im Dresdner Hygiene-Museum springt den Besucher die Antwort mit unwiderleglicher Evidenz an: die Geräte! In einer riesigen Vitrine türmen sie sich auf, eine Pyramide oder ein Scheiterhaufen, in feierlicher Pracht wie an der sakral markierten Grenze von Leben und Tod. Hunderte Gerätschaften sind es, nach Sachgruppen geordnet, Schläger, Ruder, Wurfobjekte, selbst Rollstühle mit nach innen gekippten Rädern.

Text: Burkhard Müller/SZ vom 26. April 2011/sueddeutsche.de/dato/rus

Alle Bilder stammen aus der besprochenen Ausstellung.

Auf die Plätze

Quelle: Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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Bälle! Die kleinsten überschreiten nicht den Umfang einer Daumenkuppe, bei den größten kann man sich kaum den Athleten vorstellen, der sie stemmt und schleudert. Und Schuhe! Keine zwei Sportarten, mögen sie in den Augen des Laien auch noch so nahe verwandt sein, teilen sich denselben Schuh. Die Sohlen nach oben, bietet sich die unendliche Reihe dar, mit und ohne Stollen, profiliert oder glatt, aber immer bunt gestückelt, für Kurz-, Mittel- und Langstreckenläufer, für Baseball, für Basketball, fürs Speerwerfen; Ringerschuhe gibt es, Schützenschuhe und wieder andere für Bogenschützen.

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Quelle: Skateboard Museum, Stuttgart

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Wozu braucht, wer mit den Armen punktet, auch noch so spezielles Schuhwerk? So fragt wahrlich bloß der Ahnungslose. Der Kraftfahrer benötigt seinen Fuß nur noch zum Gasgeben? Aber ja! Diesem und keinem anderen Zweck dient der "Autorennsportschuh Walter Röhrl". So nähert man sich einer ersten Definition: Sport ist, was sich aus dem weiten spontanen Feld menschlicher Körperaktivität systematisch und bis ins Allerfeinste ausdifferenziert und dabei erhebliche Kosten verursacht. Was nichts kostet, das heißt: keine Dingkultur erschafft, ist auch kein Sport; der Unterschied zwischen bloßem Spazierengehen und der Disziplin des Nordic Walking liegt allein in den Stöcken.

Auf die Plätze

Quelle: Oliver Killig

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Diese Dingkultur eben ist es, die eine Ausstellung direkt ergreifen kann, während andere Komponenten - das Regelwerk, der zeitliche Ablauf, die soziale Interaktion der Teilnehmer miteinander und mit dem Publikum - sich ihr ästhetisch sehr viel schwerer öffnen. (Zwar werden Matten, Sprossenwände und Seile dem Publikum durch Schilder "Bitte springen!" und "Bitte klettern!" zur interaktiven Benutzung empfohlen; aber bei der Mehrzahl der Exponate, einschließlich sichtlich robuster und durch Gebrauch geprägter Großgeräte, heißt es wie eh und je: "Bitte nicht berühren!")

Auf die Plätze

Quelle: Lisa Rastl

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Selbst die Nudistenkultur der vorletzten Jahrhundertwende mit ihrer Kampfansage an alles menschliche Accessoire hat doch immerhin, zur Verwendung bei gymnastischen Übungen, ein rotes zungenförmiges Schamtüchlein hinterlassen, ein sogenanntes Lobaufleckerl; erst nach wiederholter Lektüre erschließt sich das offensichtlich wienerische Objekt dem Besucher als "Lobau-Fleckerl".

Auf die Plätze

Quelle: Gute und schlechte Haltung, Foto 1928. Deutsches Hygiene-Museum Dresden

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Notwendig zieht sich so die Praxis der jeweiligen Sportart ins Anekdotische zusammen; vom Bergsteigen bleibt das Gipfelbuch und das gerissene Seil, vom Turnerfest der verwelkte Eichenkranz. Ein Komplex wie das Doping gar lässt sich nur noch durch symbolische Unterpfänder vertreten: ein paar Kontrollgeräte und Pillenschachteln, dazu der "Doping-Koffer", den ein Fahrer der Tour de France ganz selbstverständlich zum Rennen mitbrachte, denn ein Problembewusstsein erwuchs hier nur langsam. Und in der Tat, warum sollten die Sportler sich nicht dopen?

Auf die Plätze

Quelle: Deutsches Hygiene-Museum Dresden

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Es passt ins Gesamtbild einseitiger Leistungsoptimierung, es ist kaum gesundheitsschädlicher als das bänderzerrende Training, und die erzielte Steigerung erfüllt das allerwichtigste Kriterium im Spitzensport: Sie ist messbar. Auf die Dauer wird sich das Dopingverbot so wenig halten lassen wie der Amateurstatus der Olympiateilnehmer, einfach deswegen, weil auch hier der Gesetzestreue automatisch viel schlechter abschneidet als sein illegal geförderter Konkurrent.

Auf die Plätze

Quelle: Ulrike Lienbacher, Courtesy Galerie Krinzinger, Wien

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Die Ausstellung ist nach dem Prinzip des Parcours angelegt, das heißt, sie folgt dem Vorbild des in den Siebzigern blühenden Trimm-dich-Pfads, wo es längs einer vorgegebenen Strecke Übung nach Übung zu absolvieren galt; das Phänomen des Sports zerfällt hier fast zur Gänze in seine Sparten. Als gestaltendes Material für die Wände und teils sogar für den Fußboden hat man Pressspanplatten verwendet, die Beschriftung erfolgt (manchmal fast unleserlich) auf bräunlichem Karton, ...

Auf die Plätze

Quelle: "Pop-Gymnastik" Aerobic, 1986. Foto: Claudia Mokrzki. Deutsches Hygiene-Museum Dresden

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... so zeigt sich der Sport von seiner unglamourösen Seite, es werden Schulsport und Umkleide in all ihrer müffelnden Schäbigkeit aufgerufen. Damit ist zweifellos etwas Richtiges getroffen; aber es bedrückt den Besucher doch. Diese Anmutung steht jedenfalls in sehr fühlbarem Gegensatz zur lichten Großzügigkeit, die das Gebäude des Hygiene-Museums als Ganzes auszeichnet.

Auf die Plätze

Quelle: Oliver Killig

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Auch sonst wird, wer den Sport bislang nicht liebte, ihn hier nicht lieben lernen. Vieles von dem, was man zu sehen bekommt, von den folterkellerhaften Trainingswerkzeugen bis zu den orchestrierten Massenveranstaltungen nordkoreanischen Stils, die der Schuhhersteller Nike mit ganz argloser Ironie als Werbefilm zeigt, lässt die Nähe zu Zwang und Gewalt erkennen. Was als Befreiung begann, kommt in kürzester Zeit bei der Beherrschung heraus: Die Lebensreformer um 1900 wetterten gegen die Modetorheit des weiblichen Korsetts, das starr machte und die inneren Organe quetschte - aber schon zehn Jahre später wird der Turnerhaltung durch vom Zweck her neue, sonst jedoch ganz ähnliche Streckvorrichtungen nachgeholfen.

Auf die Plätze

Quelle: Oliver Killig

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Gerade soll der Mensch sein, aber nicht schön in einem weichlichen Sinn - ein Ideal, das besonders dem kulturgeschichtlich immer formbaren weiblichen Körper schwer zusetzt. Überhaupt gibt das reiche Bildmaterial Anlass zur Betrachtung, mit welcher Konsequenz der sportliche Leib den erotischen Leib aufzehrt und vernichtet.

Auf die Plätze

Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig/Sportmuseum Leipzig

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Und noch etwas fällt auf am Sport, wie er sich hier präsentiert: seine gänzliche Humorlosigkeit. Über den Sport macht man keine Witze! Es gibt einen einzigen zaghaften Versuch: ein paar satirische Plakate der angeblichen Firma "iners", die durch Parallelisierung bestimmter Kraftübungen mit besonders öden Arbeitsvorgängen vor Augen führen, wie sehr beim systematisch betriebenen Sport der enthusiastische Entschluss eine entfremdete Daseinsform kaschiert; sie fügen sich nicht ins Bild, sie gehen völlig unter. Eine Wandinschrift verkündet, der Sport sei "mehr als Spiel und doch nicht Arbeit".

Olympia-Waldi

Quelle: Olympia-Waldi, Axel Thünker. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn

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Dieser frohgemute Satz enthält noch anderes, als er meint. Mehr als Spiel heißt: Es wird ernst. "Und doch keine Arbeit" verrät etwas von der Leere dieser Anstrengungen in einem vollkommen symbolisch durchstrukturierten Raum. Warum hat der Sport, der medial wirksame Sport jedenfalls, seinen Ursprung im Spiel aufgegeben und ist völlig zum Kampf geworden, zu etwas, das man nicht mit jemandem, sondern gegen ihn treibt?

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Quelle: Diorama der Internationalen Hygiene-Ausstellung 1930/31. Deutsches Hygiene-Museum Dresden

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Diese Frage wird hier nicht aufgeworfen. Am modernen Sport ist so ziemlich alles erstaunlich; am meisten jedoch, dass er die physische Leistung des menschlichen Körpers gerade dann zu vergöttlichen beginnt, als die Maschinen sie entbehrlich gemacht haben und weit in den Schatten stellen. In Dresden aber wird der Zustand, den wir haben, der Breiten- wie der Spitzensport, bei aller Bizarrerie im Detail, insgesamt als etwas Gegebenes hingenommen und vorgewiesen.

Auf die Plätze

Quelle: Matthew Barney. Foto: Chris Winget, Courtesy Gladstone Gallery, New York

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Mit dem Programm "Sport und Gesellschaft" hat das Hygiene-Museum möglicherweise zu viel auf einmal gewollt. Der Sport ginge ja noch so - aber wie präsentiert man Gesellschaft? Anders als bei einigen der früheren Ausstellungen, etwa zu Schlaf und Traum, zu Krieg und Medizin, fehlt es den meisten Exponaten hier auch an jenem teils bestürzenden Schauwert der Neuigkeit, den zum Beispiel (bei "Krieg und Medizin") jenes Set besessen hatte, mit dem ein schwer Kriegsversehrter sich jeden Morgen eine Nase aus Paraffin goss, damit er, wenn er das Haus verließ, wie ein Mensch aussah.

Auf die Plätze

Quelle: École nationale supérieure des beaux-arts, Paris. Foto: Jean-Michel Lapelerie

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Was den Sport betrifft, kennen wir eben das Meiste schon; und auch wenn ein Dutzend Fernseher mit Fußball-Übertragungen nebeneinander stehen, hebt sie das noch nicht über die Sportschau hinaus. Dass der Sport, wie der Begleittext verheißt, wirklich alle betrifft, selbst und gerade seine geschworenen Feinde, trifft zweifellos zu; aber es hilft der Veranstaltung nicht, im Gegenteil. Der Katalog freilich hat andere Möglichkeiten. Über das Verhältnis von Sport und Gesellschaft liefert er einige kluge und lesenswerte Essays. Indem er es tut, hört er freilich auf, Katalog speziell dieser Ausstellung zu sein (ein Problem, das viele Kataloge haben). Da er zudem überwiegend ganz anderes Bildmaterial enthält, wird der Faden, der beides verbindet, sehr dünn.

"Auf die Plätze: Sport und Gesellschaft". Deutsches Hygiene-Museum Dresden. Bis 26. Februar 2012.

© SZ vom 26.April 2011
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