Ausstellung:Sehen des Hörens

PHONOGRAPHIEN NACH ... der Partitur von Arnold Schönberg: A Survivor from Warsaw, op. 46, Serigraphie auf Büttenpapier, 3. Auflage, 90x138 cm

Musik als graphisches Ereignis: Phonographie der Partitur von Arnold Schönbergs Kantate "A Survivor From Warsaw", Serigraphie auf Büttenpapier.

(Foto: S. Effenhauser/Stadt Regensburg)

Peter Androschs Musikkosmos

Von Egbert Tholl, Regensburg

Als ich Musikwissenschaft studierte, meinte der damalige Leiter des Instituts, man müsse Musik nicht aufführen, es reiche, die Partitur zu lesen. Der Komponist Bruno Maderna sagte einmal, eine miserable Aufführung zeitgenössischer Musik könne dieser selbst nichts anhaben, da man anhand ihres graphischen Zeichensystems ihren Wert erkennen könne. Beide, der Professor wie der Künstler, kannten dabei eines nicht: Die Phonographien von Peter Androsch. Hätten sie sie gekannt, ihre Haltungen wären vermutlich noch radikaler geworden. Denn Androschs Werke sind von reiner, grandioser Schönheit. Und starrt man sie lange genug an, dann hört und liest man neu.

Dazu muss man nur nach Regensburg fahren und in die Minoritenkirche gehen. Die ist Teil des Historischen Museums der Stadt und hat für sich schon eine abenteuerliche Geschichte, war Kaserne, Mauthalle und Garage. Die Kirche hat ein spezielles Verhältnis zur Musik, nicht nur wegen ihrer klangveredelnden Akustik. Zwei ihrer Bodenplatten dienten einst der Lithographie, zu erkennen darauf ist Musik, ganz im Sinne von: siehe oben.

Im gotischen Hochchor der Kirche, wenn man so will in vager Korrespondenz zu den Bodenplatten, stehen nun Peter Androschs Phonographien. Es sind Ausschnitte aus Partituren und Texten, vielfach übereinander gelegt - jeder Akt des Librettos von Wagners "Meistersingern" etwa ist eine einzige Seite. An der Rändern kann man lesen, vor allem aber sieht man ein Bild von faszinierender Schönheit. Schaut man auf die Partituren reiner oder mit Text unterlegter Musik, so spürt man die Energie in der graphischen Verdichtung. Und das ist völlig unesoterisch gemeint. Aus der Abbildung der zu hörenden Struktur wird ein Bild, das man glaubt, nicht nur mit dem Augen wahrnehmen zu können. Man könnte auch sagen: Es schaut gut aus und spart Platz. Und wäre sich dann nicht so sicher, ob Androsch ob so einer unverschämten Ignoranz nicht einfach grinsen würde.

Der Mann ist Österreicher, lebt in Linz und hat vermutlich mehr Opern komponiert als jeder andere lebende Komponist. Er ist ein Eulenspiegel, ein Philosoph, eine 53 Jahre alte Dampfmaschine. Er hat auch mal für Zeitungen geschrieben, die alle pleite gingen, wie er mit Genuss bemerkt. Er war musikalischer Leiter der Kulturhauptstadt Linz, erfand dort die "Hörstadt", eine Labor für den Zusammenhang von Akustik und Gesellschaft - eine Leidenschaft, die ihn nun auch durch Regensburg treibt in den fünf Monaten, in denen er die Stadt bespielt. Androsch macht Hörspaziergänge. Das heißt nicht, dass er in der Stadt kleine Installationen des Hörens versteckt. Das heißt, er öffnet Ohren. Androsch ist überzeugt, dass jede Stadt anders klingt. Auf den Spaziergängen weist er auf solche Spezifika hin, er erklärt akustische Ökologie, macht auf Lärm aufmerksam, wo wir schon stumpf geworden sind. Er erklärt Stadtarchitektur über Macht - wo hörte man wie Befehle? Und er macht selbst Musik, das klingt dann ganz anders, als man nach seinem Lehrweg der Sensibilisierung erwarten würde. Seine Drei-Mann-Combo Dr. Didi macht intelligente Schlager-Kolportage mit dem Wissen Neuer Musik im Dampf wahnsinniger Bluesklänge.

Dr. Didi, Sa., 10. Sep., 20 Uhr; nächster Hörspaziergang: Fr., 16. Sep., 15 Uhr, beides Minoritenkriche

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