Ausstellung:Poetische Seelenwanderung

Ausstellung: Ein Feld voller klingender Glöckchen, die Stimmen schwebender Seelen: Christian Boltanskis "Animitas" (2014).

Ein Feld voller klingender Glöckchen, die Stimmen schwebender Seelen: Christian Boltanskis "Animitas" (2014).

(Foto: Francisco Rios)

Das Münchner Espace zeigt "Animitas"-Werke von Christian Boltanski

Von Evelyn Vogel

Was für eine schöne, poetische Installation. Da ist dieses Video aus der Atacama-Wüste in Chile. Unter einem glasklaren, blauen Himmel weht der Wind über das gelbe, trockene Land, fasst dünne Stäbe wie Halme an, spielt mit ihnen, und bringt eine kaum überschaubare Zahl japanischer Glöckchen zum Klingen. Vor der Projektion, also im realen Raum, breitet sich über mehrere Meter hinweg ein Feld aus vertrockneten Gräsern und Blumen aus, ein Totenbett, doch so intensiv duftend nach Heu und Stroh, dass man sich hineinlegen möchte, um zuzusehen, um zuzuhören. Um sich zu verlieren in dieser audio-visuellen Seelenwanderung von Christian Boltanski im Espace von Louis Vuitton in München.

"Animitas" hat der französische Künstler das Installationskonzept genannt, das er 2014 erstmals in Chile realisierte. Die Glöckchen sind gleichsam Symbole der verlorenen Seelen, in diesem Fall der toten Regime-Kritiker, die während der Pinochet-Diktatur zu Tausenden verschwanden. Gequält. Gefoltert. Ermordet. Doch Boltan-ski, dessen Werk sich seit Jahrzehnten um Erinnerung, Vergänglichkeit und Zeit dreht, will damit nicht nur an diese verlorenen Seelen erinnern. Für ihn findet sich im Kollektiven immer auch das Individuelle und im Individuellen zeigt sich das Ganze.

Christian Boltanski hat vor 20 Jahren die Edition 46 des SZ-Magazins "Verloren in München" und die dazugehörige Ausstellung im Haus der Kunst gestaltet. Seither hat er eine besondere Verbindung zu München und besonders zu Karl Valentin, wie er vor Beginn der Ausstellung im Espace bei einem Künstlergespräch mit Heinz-Peter Schwerfel im Haus der Kunst erzählte. Auch den Münchnern dürfte Boltanski noch gut in Erinnerung sein. Seine Installation "Résistance", 1993/1994 für die Außenfassade des Hauses der Kunst entworfen, wurde 2015/2016 dort reinszeniert.

Das Konzept von "Animitas" hat Boltanski mehrfach realisiert: 2016 auf der japanischen Insel Teshima und 2017 in der Nähe des Toten Meeres. Ebenfalls in diesem Jahr installierte er "Animitas" (Blanc) auf der Île d'Orléans im Sankt-Lorenz-Strom nahe Québec in Kanada, wo sich die Glöckchen in einer weißen, schneebedeckten Landschaft verloren. Die Videos der beiden Installationen, die in Echtzeit von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gefilmt sind, werden im Espace gezeigt. Die Schneelandschaft ist dabei von weißen Papierbällen umgeben. Ebenfalls zu sehen sind zwei Lichtkunstobjekte mit den Wörtern "Départ" und "Arrivée". Und zwischen Abfahrt und Ankunft bewegt sich das gesamte Werk Christian Boltanskis.

Schrift, Film, Bildhauerei und Fotografie fließen in seine Arbeit ein. Er benutzt viele Fotos für seine Arbeiten, fotografiert aber nicht selbst. Er sei ein schlechter Fotograf, sagt er. Fotos seien für ihn aber der beste Beweis, dass es die Menschen gegeben habe. In seinen Arbeiten schwingt immer der Vanitas-Gedanke mit. Ein Kindheitstrauma. Der Vater war Jude und wurde während der deutschen Besatzung in Frankreich vor den Nazis versteckt. Im Glück des Überlebens steckt das Wissen um die Vergänglichkeit. Er arbeite nicht in Bronze oder Marmor, denn er wolle keine Denkmäler für die Ewigkeit setzen, sagt er.

Auch die Original-Installationen sind nicht für die Ewigkeit gedacht. Als Parabeln auf die Vergänglichkeit des Lebens sind sie dem Verfall, aber nicht dem Vergessen preisgegeben. Auch wenn die einsamen "Stimmen der schwebenden Seelen" in alle Himmelsrichtungen verstreut sein werden. Boltanski ist mittlerweile 73, und er setzt sich in seinem Werk zunehmend auch mit dem eigenen Tod auseinander. Seine Kunst wird vermutlich eine ewige innere Suche bleiben. Manchmal kann das sehr poetisch sein.

Christian Boltanski: Animitas. Selected Works, Espace Louis Vuitton, Maximilianstraße 2a, bis 31. März, Mo-Fr, 12-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: