Ausstellung:Platz nehmen

Besetzt Ausstellung Nürnberg

Des modernen Menschen Hang zur Innenraumgestaltung macht auch vor der Toilette nicht halt. Dieses Wohnklo überzeugt fast jeden mit seiner Puscheligkeit.

(Foto: Heinrike Paulus / Museum für Kommunikation Nürnberg)

Im Nürnberger Museum für Kommunikation wird die Kulturgeschichte der Toilette erzählt

Von Florian Welle

Andere Zeiten, andere Sitten. Zwar fegen täglich Shitstorms über uns hinweg, doch einen Brief, wie ihn Liselotte von der Pfalz, Gemahlin Philipps von Orléans und somit Schwägerin des Sonnenkönigs, einst aus Frankreich in die Heimat sandte, findet man heute nicht mehr. Nicht, weil wir so gut wie keine Briefe mehr schreiben, sondern weil es Themen gibt, über die wir uns nicht mehr frank und frei äußern. Der Gang zur Toilette gehört dazu. Liselotte ließ damals über die Umstände im Schloss Fontainebleau wissen: "Sie sind in der glücklichen Lage, scheißen gehen zu können, scheißen Sie also nach Belieben! Wir hier sind nicht in derselben Lage ... es gibt nämlich keinen Leibstuhl in den Häusern. Ich habe das Pech ..., hinausgehen zu müssen, wenn ich scheißen will, das ärgert mich, weil ich bequem scheißen möchte, und ich scheiße nicht bequem, wenn sich mein Arsch nicht hinsetzen kann."

Wie sich unsere Schamgrenzen seit Jahrhunderten verschoben haben - Norbert Elias nannte das den Prozess der Zivilisation -, dafür liefern die Zeilen Liselottes einen eindrücklichen Beleg. Lesen kann man sie in der Ausstellung "Besetzt! Geschichten im stillen Örtchen", die derzeit im Museum für Kommunikation Station gemacht hat. Die (Kunst-)Historiker Martina Padberg und Stefan Nies erzählen darin die Geschichte des Aborts von der Antike bis in die Gegenwart. Die Ausstellungsarchitektur basiert auf einer simplen Idee, auf die man aber erst einmal kommen muss. Der Besucher wird eingeladen, zwölf mobile Toiletten zu betreten. In jeder von ihnen wird an den Innenwänden ein anderes Thema in Wort und Bild aufgespannt. Im übertragenen Sinn könnte man auch sagen: Der Geruch dieser Kabinett-Ausstellung ist im doppelten Sinne des Wortes ein anderer.

Die ersten Klos beleuchten die Historie der Hygiene und befinden sich aus Platzgründen nicht im Sonderausstellungsraum, sondern sind auf die Dauerausstellung verteilt. So besteht die Gefahr, dass man an ihnen vorbeiläuft. Wer sich mit der Kultur- und Sittengeschichte auskennt, wird hier kaum Neues finden, doch "Besetzt"! richtet sich an ein breites Publikum. Was man erfährt, ist lehrreich. So liest man von antiken Abwasseranlagen, wie man sie heute noch im Archäologischen Park Xanten bestaunen kann. Oder man studiert einen Latrinenentwurf von Leonardo da Vinci und betrachtet danach ein floral verziertes Nachtgeschirr aus dem 19. Jahrhundert.

Die anderen Klos, hübsch auf Kunstrasen drapiert, führen unter anderem die Bearbeitung des Themas in den Künsten vor. Natürlich gibt es eine Abbildung von Marcel Duchamps Ready-made "Fountain" zu sehen. Und spätestens wenn man an der Hörstation im Literatur-Klosett Robert Gernhardts Poem "Als er sich auf einem stillen Örtchen befand" lauscht, wird man sich auf den Deckel der aus Plastik nachgebauten Kloschüssel setzen, zusperren und genießen: Verweile Augenblick, du bist so schön! Auch zeithistorische Themen kommen nicht zu kurz. Etwa die Bedürfnisanstalt als anonymer Ort für Sex, besonders unter Homosexuellen. Bis 1969 stand einvernehmlicher Sex zwischen Männern hierzulande unter Strafe, und so traf Mann sich heimlich in der sogenannten Klappe. Die Wände sind hier mit Abbildungen aus der öffentlichen Toilette am Platz der Luftbrücke ausgekleidet - die originalen Türen befinden sich im "Schwulen Museum*" Berlin.

Wer Geschlechtsverkehr sucht, wird fündig: Alles ist mit Telefonnummern und Annoncen bekritzelt, und so wird verständlich, was den Ausstellungsmachern mit ihrer Schau über das "kleine und das große Geschäft" auch am Herzen liegt: Die Toilette respektive Privé respektive Pinkulatorium als vielschichtigen Kommunikationsort sichtbar zu machen. Wände sprechen Bände. Je nach Ort und Geschlecht erzählen sie unterschiedliche (Graffiti)Geschichten. Während Frauen häufig über Liebe schreiben, sind die Männer vulgärer: "Ohne Fleiß, kein Scheiß." Liselotte von der Pfalz allerdings hätte dies wohl gefallen.

Besetzt! Geschichten im stillen Örtchen; Museum für Kommunikation, Lessingstr. 6, Di-Fr, 9-17 Uhr, Sa, So und Feiertag 10-18 Uhr, bis 2. Juli, www.mfk-nuernberg.de

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