Ausstellung:Menschliche Beatbox trifft visuelles Poem

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Grüße an den Ostpol: Aus Projektionen und einfachen Alltagsgegenständen hat Funda Gül Özcan eine poetische Guckkasten-Welt kreiert. (Foto: BBK)

Der Berufsverband Bildende Künstler vergibt seine Förderpreise. Zu denen zählt neuerdings auch eine Auszeichnung für "Sound und Geräusche"

Von Jürgen Moises, München

Als Henry Millers Roman "Schwarzer Frühling" im Jahr 1936 herauskam, empfand man ihn in den USA als dermaßen obszön, dass er genauso wie Millers weitere Bücher bis 1964 offiziell verboten wurde. Heute gilt eher die Mischung aus Autobiografie, surrealen Visionen, lyrischer Prosa und Zivilisationskritik als das Besondere daran, und genau diese Mischung könnte man auch als Vorbild für Anna McCarthys Videoarbeit "Drink Cold Piss Warm" sehen. Deren Titel ist einer Textstelle aus "Schwarzer Frühling" entnommen, in der "Mutter Natur" mit einem Ei und einer Honigwabe verglichen wird.

Zu sehen ist "Drink Cold Piss Warm" in der Galerie der Künstler, wo sich die Bayerischen Kunstförderpreisträger Bildende Kunst 2016 mit ausgesuchten Werke präsentieren. Neben Anna McCarthy zählen dazu Jakob Egenrieder, Funda Gül Özcan und Felix Leon Westner aus München sowie Miho Kasama aus Nürnberg. Unter vierzig Jahre müssen die Künstler sein und eine "außergewöhnliche Begabung" aufweisen, so lauten die Kriterien für die Förderpreise, zu denen neuerdings auch ein Spezialpreis für "Sound und Geräusche" zählt. Genau den hat McCarthy im November für ihr multimediales Gesamtkunstwerk erhalten.

In Form von Sprache und Musik spielt der Sound auch in "Drink Cold Piss Warm" eine zentrale Rolle. Darin rezitiert McCarthy mit raunender Stimme ihr eigenes, gleichnamiges Gedicht, das sie bei einem Aufenthalt in Los Angeles geschrieben hat. Surreale, fragmentarische Sprachbilder treffen auf ebensolche Videobilder. Der Text nimmt zunehmend die Form eines fieberhaften, inneren Monologs an, was an einem weiteren Einfluss für die Arbeit liegen kann: Einem Krankenhaus-Erlebnis ihrer Großmutter, die unter Medikamenteneinfluss halluzinierte, sie sei eine Friedenskönigin. Diese Vision bildet auch für die rätselhaften Objekt-Installationen den Hintergrund, die das Video begleiten.

Als Rätsel stellen sich ebenfalls die Arbeiten von Felix Leon Westner dem Betrachter dar. Und zwar, weil sie die Relikte einer bei der Eröffnung aufgeführten Performance sind. In dieser trat Westner als menschliche Beatbox in Erscheinung und rezitierte Texte, in denen es unter anderem um "Superfood" ging. Eine humorvolle Zivilisationskritik? Humor ist auch das zentrale Element des Stop-Motion-Videos, das Jakob Egenrieder zusammen mit Lea Becker gedreht hat. Darin sieht man Egenrieder, wie er sich von einem Anzugträger in einen Künstler verwandelt und der leere Raum hinter ihm in ein Atelier. Ein Film, der zumindest eine Ahnung davon gibt, dass sich Egenrieders eigentliche künstlerische Arbeit um die Inszenierung von Räumen dreht. Wie man wissenschaftliche Ordnungs- oder Messsysteme künstlerisch nutzt, diese Frage treibt Miho Kasama um. In der Galerie hat die gebürtige Japanerin Winkelreflektoren, die für die Steuerung von Radarsignalen dienen, mit einem Hörspiel zum Thema Radartechnik kombiniert. Da die Winkel die Akustik beeinflussen, wird die Radartechnik hier doppelt Thema.

Aus mehreren Schichten besteht auch das multimediale Diorama "It's time to say hello to the East Pole", das Funda Gül Özcan aus Videos und Dingen wie Zigarettenschachteln, Fließen oder Glasscheiben kreiert hat. Man sieht einen Wasserfall, einen Regenbogen, fliegende Wolken. Ein "visuelles Poem", das seine Gemachtheit nicht verbirgt, aber gerade dadurch umso mehr beeindruckt.

Bayerische Kunstförderpreise Bildende Kunst 2016, Ausstellung bis 26. Februar, Galerie der Künstler, Maximilianstraße 42

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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